Der Taubenhasser und das Fenster zum Hof. Michael Möseneder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Möseneder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783709939475
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am 3. Oktober folgte daher die Untersuchungshaft. Die Zeit im Krankenhaus nutzte J. allerdings dazu, ihren Enkel anzurufen und zu drohen, sie werde sich und die gesamte Familie anzünden, weshalb nicht nur Brandstiftung, sondern auch gefährliche Drohung angeklagt ist.

      Auch zu diesem Faktum ist die Angeklagte geständig, der Staatsanwalt regt daher an, auf die Einvernahme von Sohn und Enkel zu verzichten, um den Familienstreit nicht weiter anzuheizen. Der Konflikt scheint aber bereinigt zu sein. Der Sohn verzichtet auf Schadenersatz und stellt klar: „Ich möchte keine Anklage, sie ist ja meine Mutter!“

      Da die Herbeiführung einer Feuersbrunst, wie Brandstiftung juristisch definiert ist, ein Offizialdelikt ist, kann dem Sohn dieser Wunsch nicht erfüllt werden. Stattdessen wird J. zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt.

      Während sich die Angeklagte mit ihrem Verteidiger im Nebenraum berät, ergreift ihr Sohn im Verhandlungssaal noch einmal das Wort. „Drei Jahre sind schon viel. Kann man nicht eine längere Strafe, aber auf Bewährung, geben? Es ist ja eigentlich ein Familienstreit“, bittet er die Vorsitzende, die ihm mit Engelsgeduld den Instanzenzug der heimischen Strafjustiz erklärt. „Aber meine Mutter ist eine alte Frau, die überlebt drei Jahre nicht“, ist der Sohn überzeugt. „Ich bin auch 59“, merkt Zbiral daraufhin an.

      Der Staatsanwalt ist mit der Strafe einverstanden, J. kündigt schließlich Berufung gegen die Strafhöhe an. Mit Tränen und Küssen verabschiedet sie sich von ihren Angehörigen, ehe sie zurück in die Haftanstalt gebracht wird.

      Zur Ehrenrettung von Transdanubien muss gesagt werden, dass es auch in sogenannten nobleren Bezirken und besseren Kreisen der Bundeshauptstadt mitunter zu Auseinandersetzungen kommt, die vor Gericht enden. Wie Boris S., ein 38-jähriger Selbstständiger, der sich vor Richter Thomas Kreuter wegen gefährlicher Drohung und Sachbeschädigung verantworten muss. Er soll am 9. Februar dem über ihm wohnenden Nachbarn einen schmerzhaften Kontakt mit einem Messer in Aussicht gestellt und dessen Wohnungstür beschädigt haben.

      Vor sechs Jahren sei er in die Eigentumswohnung in Wien-Währing gezogen, sagt der Angeklagte, nie habe es Probleme gegeben. Bis im vergangenen Herbst Marco W. die 90-Quadratmeter-Wohnung im Stockwerk über ihm besiedelt hat. Plötzlich habe regelmäßig die Polizei geläutet und ihm zumindest einige Strafmandate wegen Lärmerregung ausgestellt. Der Anzeiger: Herr W., wie der Angeklagte erfuhr.

      „Herr W. ist ein extrem hochsensibler Typ, der möglicherweise pathologisch ist“, beschreibt der unbescholtene S. seinen Nachbarn. „Er nimmt mich als Zielscheibe.“ Oder seine Besucher, denn am 8. Februar habe ein Gast bei ihm zur Mittagszeit geduscht und Musik gehört, und auch da sei die Exekutive vor der Tür gestanden. „Ein Gast kann sich nicht einmal duschen, aber wenn im Winter die Straßenbahn vor dem Fenster über den Rollsplitt fährt, stört ihn das nicht!“, empört sich der Angeklagte.

      In der darauffolgenden Nacht kam S. gegen 0.30 Uhr mit einem Freund nach Hause. „Mich hat das dann so aufgeregt mit dem Polizeieinsatz am Nachmittag, dass wir nach oben gegangen sind. Ich wollte ihn zynisch fragen ‚Lieber Marco, bin ich dir eh leise genug nach Hause gekommen?‘“

      Man habe an der Fensterscheibe zum Gang und an der Eingangstüre geklopft und mit dem Fuß ein oder zwei Mal dagegengetreten, erinnert S. sich. Eine halbe Stunde später sei er alleine nochmals nach oben gegangen. „Ich wollte das freundschaftliche Gespräch suchen und habe mir gedacht, vielleicht hatte er vorher Angst, da wir zu zweit gewesen sind.“ Es sei aber weder eine Drohung gefallen, noch sei die Tür beschädigt worden, wie W. behauptet.

      Richter Kreuter interessiert sich für die Tonanlage in der Wohnung des Angeklagten. „Dem Akt habe ich entnommen, dass Sie Lautsprecher in der Decke haben? Stimmt das?“, will er wissen. Tut es, worauf der Richter dem Angeklagten den wohlmeinenden Rat gibt, sich Kopfhörer zuzulegen. „Habe ich auch schon überlegt. Ich habe auch der Polizei schon angekündigt, dass ich die Lautsprecher abisolieren will“, meint S. dazu.

      Um gleich darauf zu kontern: Er habe zwar Lautsprecher in der Decke, dafür würde W. absichtlich durch die Wohnung trampeln. Entgegen des Ratschlags von Freunden und Juristen würde er den Nachbarn aber deshalb nicht anzeigen. „So tief würde ich nicht sinken!“, kommentiert er, dass W. neben dem straf- auch ein zivilrechtliches Verfahren angestrengt hat.

      Der durchaus eloquente und gegelte Angeklagte nimmt auf der Beschuldigtenbank Platz, Zeuge W. betritt den Saal. Wer möglicherweise damit gerechnet hat, dass es sich bei ihm um einen grantigen Pensionisten mit viel Tagesfreizeit und wenig sozialen Kontakten handelt, wird überrascht: S. ist ein smarter 29 Jahre alter Verkäufer, der ruhig und überlegt auftritt.

      Er schildert, dass er in der fraglichen Nacht aufgewacht sei, da gegen seine Tür gehämmert und getreten wurde. „Ich bin aufgestanden und habe mich etwa 30 Sekunden sammeln müssen. Das Pumpern und Hämmern habe ich im Vorraum weiter wahrgenommen, dann habe ich Herrn S. rufen hören: ‚Komm raus, ich stech dich ab!‘“

      Er habe sich daher in sein Schlafzimmer zurückgezogen und den Notruf getätigt. „Die Polizei ist aber erst nach 50 Minuten gekommen“, rügt der Zeuge. „Es hat da ein Missverständnis gegeben, offenbar hat die Polizei das unter Lärmbelästigung abgespeichert, da es schon mehrere Vorfälle gab.“ Der Altbau sei recht hellhörig, stimmen Angeklagter und Zeuge zumindest in einem Punkt überein.

      Im Laufe der Befragung stellen sich aber mehrere interessante Dinge heraus. So scheint W. bereits bald nach seinem Einzug begonnen zu haben, ein Protokoll über Lärmbelästigungen durch S. zu erstellen. Persönlich angesprochen hat er den Nachbarn darauf aber erst später, und das nur telefonisch. Dennoch ist er sich sicher, in der Tatnacht die Stimme seines Widersachers vor der Tür erkannt zu haben.

      Für die Beschädigungen an der Tür, primär abgesplitterter Lack, will er 2855,40 Euro, zusätzlich 200 Euro für die psychische Beeinträchtigung. „Ich bin danach immer wieder aus dem Schlaf geschreckt und hatte einen Leistungsabfall in der Firma“, begründet er.

      Dass in der ursprünglichen Anzeige die Polizei protokolliert hat, ihm sei mit: „Mach die Türe auf, sonst steche ich dich ab!“ gedroht worden, führt W. auf einen Irrtum der Beamten zurück.

      Ein weiteres Malheur sei, dass der Zeuge von dem angeblichen Vorfall keine Videoaufzeichnung hat, beziehungsweise nur Teile davon. Denn nur wenige Tage zuvor hatte W. in 2,70 Meter Höhe eine Kamera mit Nachtsichtfunktion installiert, die den Gang filmt, sobald sich dort etwas bewegt.

      „Das wird in einer Cloud gespeichert. Als ich es mir angeschaut habe, war auch noch Ton dabei. Als ich es heruntergeladen habe, fehlte der Ton leider“, sagt er. Da darüber hinaus sich die Aufnahmen angeblich nach einer Woche selbstständig löschen, habe er der Polizei nur einige stumme Sekunden abliefern können, wo S. vor der Wohnungstür zu sehen ist.

      Überraschenderweise sagt W. auch, dass, als er das Video noch mit Ton sehen konnte, eine zweite Person mit dem Angeklagten im Gang gestanden sei. Dennoch ist er fix davon überzeugt, dass die Drohung vom Angeklagten stammen müsse, dessen Stimme er primär vom Telefon kenne. Und vom Gang, wenn er im Stockwerk darüber bei offener Tür lauschte, wie die von ihm ausgelösten Amtshandlungen wegen Lärmbelästigungen so liefen.

      Auch S. bietet ein Video an: Das habe sein damaliger Begleiter aufgenommen, als sie zu zweit vor die Wohnungstür des Zeugen gingen. Er habe davon gar nichts gewusst, es sei aber deutlich zu hören, dass das Duo nur flüstere. S. klappt sein Apple-Notebook auf und fragt Kreuter, ob er den Film vorspielen soll, der Richter winkt allerdings ab. Da S. ja in dieser Nacht zugegebenermaßen zwei Mal vor W.s Tür gestanden ist, seien Aufnahmen von einem Vorfall irrelevant.

      Staatsanwalt Filip Trebuch fasst die Sache in seinen Schlussworten konzis zusammen: „Es ist immer wieder erschreckend, wie weit solche Nachbarschaftsstreitigkeiten führen können.“ Die Beurteilung überlässt er alleine der Beweiswürdigung des Gerichts, das S. rechtskräftig freispricht.

      Es stehe Aussage gegen Aussage, begründet Kreuter. Er finde es allerdings bemerkenswert, was man alles an technischem Gerät aufstellt,