Diese Überraschungen entstehen, weil er zwangsläufig drei Realitätsebenen miteinander verzahnt: erstens das, was wir grob vereinfacht unsere Realität nennen, zweitens die Historie des Perryversums, und drittens die mittlerweile Legende gewordene Gründungsgeschichte der PERRY RHODAN-Serie selbst.
So beginnt die hier geschilderte Familiengeschichte mit Perrys Großvater:
»Alois Roden, geboren am 17. Mai 1889 in Scheernsting, einem kleinen, heute nicht mehr existierenden Dorf in Oberbayern, einer Region in Deutschland, einem der Länder im damaligen Europa.« (Seite 15)
Dieser kleine Absatz leistet einiges. Es wird einmal mehr die deutsche Namensaussprache zementiert. Oberbayern wird, sowohl als Perrys Urheimat in der Serie selbst (siehe PR-Band 620) als die tatsächliche Entstehungsregion der Serie in die Historie eingebracht, aber auch die beiden Gründerväter Scheer und Ernsting sozusagen kulturgeografisch verewigt.
Andere Spielereien dieser Art sind ein kleines bisschen weniger offensichtlich, verleihen dafür der Geschichte mehr Farbe: Dem Genrekenner wird relativ schnell klar, dass der Nevada Space Port an der geografischen Position entstehen wird, an der in unserem Universum die Groom Lake Base liegt, besser bekannt als Area 51 – Außerirdische fühlen sich offensichtlich in allen Welten dort schnell heimisch.
Ein Weltenmix
Auch wenn die beiden genannten Beispiele hart an der Grenze höheren Blödsinns lavieren: Der Weltenmix – und Eschbachs präzise Recherche in allen Welten! – zeigt seinen wahren Wert, als die Geschichte, um ein wunderbares Sprachbild von Terry Pratchett aufzugreifen, ins andere Hosenbein der Zeit schlüpft und (ab Seite 591) von einer möglichen realistischen Biografie zur Alternativweltgeschichte wird.
Denn an der Nahtstelle steht eine reale Person, ein lange etwas unbekannterer Teilnehmer des Apollo-Programms namens Jim Lovell: Er wird als Testpilot und zunächst gescheiterter NASA-Astronaut eingeführt, der sich mit Perry befreundet. Er ist es, der Perry mit seinem zukünftigen Vorgesetzten, General Lesly Pounder, bekannt macht.
Aber wo Lovell in unserer Welt wegen technischen Versagens mit Apollo 13 eben nicht auf dem Mond gelandet ist, gerät er in Eschbachs Roman in eine ganz andere Notlage: Hier geht seine (historisch korrekt begonnene) Apollo 8-Mission derart gründlich (und unhistorisch) schief, dass sie zum Auslöser einer Kette von Ereignissen wird, die Neil Armstrong zum Crewmitglied der in PR-Band 1 erwähnten Raumstation Freedom 1 macht. So schafft er Armstrong nur bis in den Erdorbit – und dafür eben Perry auf den Mond.
Der Beispiele sind Legion. Eschbach schafft eine Welt, in der John F. Kennedy und Ernst Ellert koexistieren können. Er gönnt Walter Ernsting alias Clark Darlton einen kaum getarnten Kurzauftritt als Radioverkäufer, der von Technik keine Ahnung hat, aber mit seinem Charme der Kundschaft auch wirklich alles andrehen kann. Der Beispiele mag das genügen, an dieser Stelle soll nicht die Lust am Selbstentdecken genommen werden. Nur noch so viel: Die Geschichte hält all das sehr gut aus.
Welcher Perry?
Das kann nicht laut genug gesagt werden, denn als Andreas Eschbachs Roman angekündigt wurde, wurden des Öfteren bange Fragen laut, die sich auf die eine zusammenfassen ließen: »Ist ›sein‹ Perry dann ›der Perry‹?«
Die beruhigende Antwort muss lauten: »Nein, natürlich nicht. Denn den Perry, ›den es gibt‹, gibt es nicht.« Gerade in der Zusammenschau so unterschiedlicher Elemente zeigt Andreas Eschbach, dass Perry Rhodan als Romanfigur letztlich ein Paradoxon ist: eine hyperdimensionale Projektionsfläche, die, je nachdem aus welchem Winkel man sie betrachtet, in beliebigen Abtönungen schillert.
Jede Lesergeneration hat ihren Perry. Und Teil der Spannung für uns Initiierte besteht beim Lesen mindestens der Jubiläumsbände darin, welcher Perry auf uns wartet – beziehungsweise wozu wir ihn machen können. In den Händen Andreas Eschbachs wird der »Mythos Perry Rhodan« auf eine Art und Weise greifbar, die eben genau das ist: eine Art und Weise.
Die uns neue Blicke auf unseren »Mann im All« eröffnet, ohne irgend eine der vertrauten Perspektiven geringzuschätzen – indem sie ihn gleichzeitig menschlich macht und uns als Fans sanft ermahnt, ihn auf einen nicht allzu hohen Sockel zu heben. Der Chronist schreibt von der Landung in der Wüste Gobi am Abend des 29. Juni 1971:
»Auch alles andere, was über diesen Tag berichtet wird, ist wahr. Dass Perry Rhodan als Erster ausstieg und sich umsah, fast, als hätten sie eine neue Welt betreten. [...] Und es stimmt auch, dass er daraufhin die Schulterstücke mit den Rangabzeichen eines Majors von seiner Uniform entfernte. Es war nur eine Geste, aber sie war wichtig, wie es alle Gesten sind. Er tat es nur weit weniger dramatisch, als es in Aufführungen eifriger Schultheater gern dargestellt wird.« (Seite 745)
Um noch einmal dem Autor das Wort zu geben:
»[Ich hoffe, dass man Perry Rhodan] mit viel größerem Genuss lesen wird, wenn man endlich weiß, was dieser Perry Rhodan eigentlich für ein Mensch ist. Denn was das betrifft, bin ich auf ein paar ganz überraschende Dinge gestoßen ...«
Da hat er recht.
Andreas Eschbach und PERRY RHODAN
Die Vorgeschichte zum »großen« PERRY RHODAN-Roman
von KLAUS N. FRICK
Andreas Eschbach und ich haben zwei grundsätzliche Dinge gemeinsam.
Eines davon: Wir sprechen dieselbe Sprache. Andreas Eschbach ist in Ulm geboren und in Stuttgart aufgewachsen. Er würde sicher sagen, dass Lichtjahre sein Schwäbisch von dem meinen trennen – aber wir sind beide Schwaben.
Das andere ist, dass wir in früher Jugend von etwas fasziniert waren, das unser Leben mehr oder weniger beeinflussen sollte: Wir lasen PERRY RHODAN-Romane. Daraus entwickelten sich unsere Berufe. Andreas Eschbach wurde ein bekannter Schriftsteller. Ich wollte immer ein Schriftsteller werden, wurde aber »nur« Redakteur. Bei der gemeinsamen Arbeit haben wir uns dann doch getroffen.
Das Perryversum
und Andreas Eschbach
Der erste Roman, bei dem ich mit Andreas Eschbach zusammenarbeitete, war »Der Gesang der Stille« und erschien am 22. September 1998. Er war der erste Gastautor, der bei PERRY RHODAN veröffentlicht wurde.
Zuerst wollten wir, dass Andreas Eschbach einen speziellen Roman schrieb. Er wollte aber unbedingt einen Roman haben, der in der eigentlichen Serie spielte, und er wollte nach einem typischen Exposé schreiben. Trotzdem wurde es ein Roman, der sich aus dem üblichen Rahmen hervorhob.
Wenn man sich noch einmal anschaut, wie »Der Gesang der Stille« abläuft, kann man sich kaum das Exposé vorstellen. Dieses sah vor, dass Reginald Bull zusammen mit einem anderen Menschen eine fremde Welt besucht, dort in allerlei Gefahren verwickelt wird und am Ende entkommt.
Was macht man aus dieser Geschichte? Es gibt zwei Hauptfiguren, die auf einer Welt voller feindseliger Roboter sind und eigentlich keine Überlebenschance haben, dort aber wertvolle Informationen suchen ...
Man könnte eine einfache Geschichte erzählen, in der viel geballert wird. Man könnte Nebenfiguren erfinden, mit denen die zwei Helden mehr oder weniger gelungene Dialoge führen würden. Oder man würde eine Schnitzeljagd als Hilfsmittel benutzen, in deren Verlauf die zwei Hauptfiguren über den Planeten gehetzt werden, um alle möglichen Informationen einzusammeln.
Andreas Eschbach entschied sich für eine originelle Lösung: Weil die eine Figur, eben Reginald Bull, relativ unsterblich ist, macht er die andere zu einem Todgeweihten.
Sein