Als Abschiedsgeschenk hatte der Wanderer den Thoogondu das Pedgondit mit auf den Weg gegeben, aus dem diese unter anderem den Thron des Gondus gefertigt und mit einem gestohlenen Vitalenergie-Akkumulator bestückt hatten. Er verlängerte das Leben des Herrschers beträchtlich, allerdings um den Preis, dass er ihn nicht über einen längeren Zeitraum verlassen konnte. Das meinte ich damit, dass er nicht nur Begünstigter, sondern auch Gefangener seines Throns sei.
Ich hatte Respekt vor Narashim, nicht nur, weil er der Gondu war, ein fast allmächtiger Herrscher, sondern wegen seiner Persönlichkeit. Er wirkte alt, aber machtvoll, geradezu machterfüllt. Er repräsentierte das Goldene Reich nicht bloß, er verkörperte es. Er hatte die Ausstrahlung eines alt gewordenen John F. Kennedys, der mich als jungen Mann geprägt hatte, oder auch eines uralten alexandrinischen Herrschers, über die ich viel gelesen hatte.
Narashim hatte mich auf sein Flaggschiff eingeladen, die POTOOLEM, sein fliegendes Heim. Es war ein Pentasphärenraumer, wie die Thoogondu sie für den Flug innerhalb der Galaxis nutzen. Er bestand aus fünf an den abgeplatteten Polen zusammengekoppelten Kugelsegmenten unterschiedlicher Größe.
Bei der GARANT-Klasse, der größten der Pentasphärenraumer, zu der auch die POTOOLEM gehörte, durchmaß die Zentralkugel 1500 Meter, die beiden an den Polen aufgesetzten Kugelsegmente 2000 und die den Polen dieser beiden Segmente aufgesetzten Sphären immerhin noch 1000 Meter. Die Pentasphäre bestand aus Pedgondit; dabei handelte es sich um ein terkonitähnliches Metallplastik, das zwar grundlegend weiß, aber in diesem Fall mit einem perlmuttartigen Schimmer ergänzt worden war, von dem sich reichhaltige Ziermosaike in wechselnden Goldtönen fast dreidimensional abzuheben schienen.
Die POTOOLEM befand sich aktuell im Orbit um Taqondh, knapp 35.000 Lichtjahre vom Zentrum der Galaxis Sevcooris entfernt. Ich war nicht allein an Bord des fremden Schiffes. Meine Begleiter waren Angehörige eines Einsatzteams der RAS TSCHUBAI, Dean »Cashew« Tunbridge, Penelope Assid und Báron Danhuser. Penelope war während des Anschlags auf den Gondu am 11. Oktober verletzt worden.
Ich hatte den Gondu trotzdem gebeten, das Team an Bord holen zu dürfen, nachdem ich letztmals aus dem Schlaf erwacht war, in dem ich Narashims Erinnerungsgast gewesen war. Penelope war von den Medikern der Thoogondu erstklassig versorgt worden und litt nicht mehr unter etwaigen Folgen ihrer Verletzungen.
Ich hatte als Erinnerungsgast in der POTOOLEM einen Teil der Geschichte der Thoogondu und des Gondunats hautnah miterlebt, ihre Vergangenheit in der heimatlichen Milchstraße bis hin zu ihrem Exodus aus unserer Galaxis. Doch ich misstraute dem, was ich gesehen hatte. Zum einen waren die Thoogondu Meister darin, Erinnerungen zu manipulieren, wie einige Besatzungsmitglieder der RAS TSCHUBAI hatten erfahren müssen. Zum anderen ...
Nun ja. Es war eher ein Bauchgefühl. Ein Instinkt, der tief in meinem Inneren Alarm schlug. Ihre Geschichte kam mir einerseits zu glatt vor, zu geschliffen. Als wäre sie eigens für mich durchkomponiert worden.
Andererseits steckte sie voller ... nein, nicht unbedingt Widersprüchlichkeiten, aber zumindest Ungereimtheiten, die ich mir nicht erklären konnte. Ich spürte, sie lauerten irgendwo dicht unter der Oberfläche, wobei ich den Finger nicht auf sie legen konnte, sie nicht packen und schütteln, bis sie jeden Widerstand aufgaben und mit der Wahrheit herausrückten.
Diese Wahrheit, deren Existenz ich erahnte, musste ich unbedingt erfahren.
*
Da saß er also, der ehrwürdige Gondu Narashim, auf seinem Thron, den er längstens für 62 Stunden verlassen konnte ... und ich hockte auf meinem seltsamen, aber nicht unbequemen Sitzmöbel direkt vor dem in Blau, Grün und Weiß schillernden Gebilde, das den Gondus mittels eines Vitalenergie-Akkumulators Langlebigkeit verlieh.
Mir war nicht ganz wohl in meiner Haut. Narashim hatte mich mit überschwänglicher Begeisterung willkommen geheißen, mir bislang jeden Wunsch erfüllt. Er wollte etwas von mir, das war klar. Etwas, auf das die Sprache bislang nicht gekommen war. Ich fragte mich, was das sein mochte.
Wollten die Thoogondu nicht bloß ein Bündnis, wie sie angekündigt hatten, sondern höchstselbst in die Milchstraße zurückkehren? Und was würde das für die Menschheit bedeuten? Was für unsere Verbindung zu ES und für ES selbst, wo immer die Superintelligenz nun sein mochte? Oder waren sie hinter etwas her, das wir uns nicht auszumalen vermochten?
Es gab keine konkreten Hinweise, nur dieses vage Bauchgefühl.
Ich war der einzige Galaktiker an Bord des gondischen Flaggschiffs. Wie konnte ich so dumm gewesen sein, mich in solch eine Lage zu begeben? Ein Befehl des Gondus, und ich war tot.
Nun, der Köder war zu verlockend gewesen, hatte zu gut auf mich gepasst. Hauptsächlich hatte ich mich von der Aussicht treiben lassen, auf einen Schlag die Vergangenheit eines Volkes zu erfahren, dass einmal in der Milchstraße gelebt und von dem bis vor Kurzem niemand etwas gewusst hatte. Diese Enthüllung war mir einfach zu unglaubwürdig vorgekommen.
Die Neugierde, mit der ich in den letzten Jahrtausenden zwar durchaus zu hadern gelernt hatte, aber die mich dennoch immer wieder vorantrieb, konnte durchaus meinen Tod bedeuten.
Manchmal war, einem alten englischen Sprichwort zufolge, tatsächlich die Neugier der Katze Tod.
Ich sah mich verstohlen im Thronsaal um.
Mindestens vier Gäonen hielten sich im Raum auf, die Leibwächter des Gondus, die einem mir bislang unbekannten Volk – oder mehreren? – angehörten. Ich wusste nicht einmal mit Sicherheit, ob Gäonen ihr Amt bezeichnete, ihren Rang innerhalb des gondischen Militärs oder ihre Volkszugehörigkeit.
Was ich hatte beobachten können: Sie trugen Ganzkörperrüstungen aus weißem Pedgondit, mit goldenen Mosaiken verziert, die Gesichter dahinter verborgen. Nicht zuletzt dadurch kamen sie mir rätselhaft und verschlossen vor, und sogar die Thoogondu brachten ihnen gehörigen Respekt entgegen. Offenbar wusste kaum jemand etwas über die Gäonen, und Unwissenheit erzeugt oft Furcht und Antipathie.
Einer der Leibwächter setzte sich in Bewegung, näherte sich dem Thron. Ich gestand mir ein, dass er mich beeindruckte. Er verstand es, sich unsichtbar zu machen, wie eine irdische Hauskatze. Man wusste, sie war da, aber wenn sie es nicht wollte, sah man sie nicht.
Ich achtete genau auf ihn.
Er beugte sich zum Gondu hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Die Thoogondu waren humanoid und zweigeschlechtlich. Sie waren im Schnitt größer als Terraner, erreichten mitunter 2,20 Meter. Sie wirkten im Vergleich mit Menschen ziemlich fragil. Ich hatte bei Frauen und Männern noch keine signifikanten Größenunterschiede festgestellt.
Ich hatte genug von ihnen gesehen, um zu wissen, dass sie an Kopf und Rücken sowie auf den Außenseiten der Arme von der Stirn bis in Höhe des Beckengürtels von einem Knochenpanzer bedeckt waren, der aus überlappenden, in der groben Grundform sechseckigen daumennagelgroßen Platten bestand. In beweglichen Bereichen herrschten länglichere Platten vor. Thoogondu liefen meist etwas vornübergebeugt, sodass sie dem Himmel nur ihren Panzer zuwendeten.
Der Panzer wirkte auf mich zumeist grau und war dies bei den Männern sogar. Bei Frauen war der Panzer tatsächlich vielfarbig-bunt – allerdings nur in den Augen der Thoogondu, die verschiedene Bereiche des Infrarot als unterschiedliche Farben wahrnahmen.
Die Augen der Thoogondu waren groß und dunkel. Sie lagen tief in den Höhlen und konnten durch zwei Lider geschlossen werden: einer sich von der Nasenwurzel her horizontal nach außen schließenden Nickhaut und einem wie beim Menschen von oben nach unten schließenden normalen Lid.
Die Thoogondu waren unbehaart, ihre Haut weiß; die durchscheinenden blauen Adern musterten das Gesicht. Starke Gefühle führten bei den Herrschern von Sevcooris gelegentlich zu einem sichtbaren Anschwellen der Adern. Das war bei uns Menschen nicht anders.
Der Gäone richtete sich wieder auf.
Narashim hob zwei Daumen an. »Shoou!«
Ich wusste, das hieß eigentlich