Doch mir geht es gar nicht darum, wie die Lösung aussieht, sondern darum, wer sie trifft: nämlich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter an der Rezeption. Eigenverantwortlich. Der Mitarbeiter am Kunden trifft die Entscheidung. Wann immer das irgendwie möglich ist. Und ich als Führungskraft bleibe schön oben in meinem Büro sitzen, wo ich sowieso selten genug bin, und treffe die Entscheidungen, die ich am besten treffen kann.
Aber das klappt nur, wenn sowohl ich als auch die Führungskräfte auf der mittleren Ebene als auch die Mitarbeiterin am Kunden in ihrem Verantwortungsbereich autonom entscheiden können.
Damals in Dresden konnte von einer solchen Entscheidungskultur keine Rede sein. Da konnte ich nicht einmal als Gastronomie-Direktor grundlegende Entscheidungen selbst treffen. Darunter habe ich massiv gelitten.
Dort habe ich die Konsenskultur hassen gelernt. Weil sie nicht funktioniert. Nicht, wenn Sie Ihren Gästen außergewöhnlichen Service oder außergewöhnliche Produkte bieten wollen. In Ihrem Unternehmen ist das gewiss ganz genauso: Wenn Sie den Kunden aus den Socken hauen wollen, dann müssen Sie schneller werden. Flexibel. Persönlich. Handlungsfähig, jederzeit, immer und überall. Egal, was Sie machen, ob Sie Hotelier sind oder Schrauben verkaufen.
Wie geht es Ihnen? Wie oft kommen Sie zu dem Schluss, dass Sie Ihrem Kunden besser dienen könnten, wenn die Entscheidungsbefugnisse anders verteilt und die Prozesse anders aufgestellt werden? Und haben Sie diese Frage schon einmal Ihren Mitarbeitern gestellt?
Schnelle, persönliche Lösungen sind nur umsetzbar, wenn sie nicht erst durch die Hierarchiestufen hindurch debattiert werden müssen. Nahe am Kunden kann ein Mitarbeiter nur sein, wenn er selbst operative Entscheidungen treffen kann. Wenn er auf die Bedürfnisse des Kunden eingehen kann.
DIE UMVERTEILUNG DER ENTSCHEIDUNGSMACHT
In den letzten Jahren ist die Forderung laut geworden, Mitarbeiter müssten mehr wie Mitunternehmer denken. Eine nachvollziehbare Forderung – aus Sicht des Unternehmers. Nur leider schrecken die meisten Unternehmer und die meisten Führungskräfte davor zurück, aus dieser Überlegung auch Konsequenzen für die Führungskultur zu ziehen. Das würde nämlich bedeuten, dass die Corporate Monkeys auf allen Führungsebenen einen Teil ihrer Entscheidungsmacht abgeben müssten. An, oh Graus, die Mitarbeiter. Oder – noch schlimmer – an die Führungsebene unter ihnen. Um dieser logischen Konsequenz auszuweichen, werden stattdessen allerlei Kammerstücke aufgeführt. Nichts gegen Maßnahmen, um die Motivation zu erhöhen – auch das ist ein wichtiger Teil von Führungskultur, und auch das wird in diesem Buch noch Thema sein. Motivation kann aber keine strukturellen Mängel ausgleichen. Genau dafür werden derartige Maßnahmen gern missbraucht: Gib ihnen ein gutes Gefühl, dann schlucken sie die nächste Kröte mit einem Lächeln.
Teambuilding-Maßnahmen zum Beispiel können das Arbeitsklima verbessern und damit die Produktivität steigern. Was sie nicht können, ist, Abteilungen und deren Arbeitsabläufe verbessern, also operative Veränderungen ersetzen, wie mancher Veranstalter am Markt für Teambuilding-Maßnahmen das in seiner Kommunikation schon mal darstellt. Den Zusammenhalt und die Kommunikation zu verbessern, ist oft eine sinnvolle Maßnahme; ohne damit einhergehende Anpassungen des operativen Vorgehens ist das aber nichts als Kosmetik für die Produktivität und vor allem für die Kundenbegeisterung.
Wir können nicht von Mitarbeitern erwarten, dass sie Unternehmergeist zeigen, und ihnen gleichzeitig keine Befugnisse übertragen. Wir können ihnen nicht die Verantwortung des Unternehmers überstülpen und ihnen dabei sämtliche Freiheiten des Unternehmers vorenthalten. Das geht nicht. Wenn Sie wollen, dass Ihre Mitarbeiter sich unternehmerisch verhalten, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als ihnen auch den nötigen Handlungsspielraum zu geben.
„Die Freiheit ist unteilbar“, hat John F. Kennedy am 26. Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin gesagt. Als Deutschland geteilt war. In derselben Rede, in der er sagte: „Ich bin ein Berliner.“ Ich finde: Erst in Kombination entfalten die beiden Zitate, von denen nur das eine so richtig berühmt wurde, ihre volle Wirkung.
„Die Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur einer versklavt ist, dann sind alle nicht frei. Aber wenn der Tag gekommen sein wird, an dem alle die Freiheit haben und Ihre Stadt und Ihr Land wieder vereint sind, wenn Europa geeint ist und Bestandteil eines friedvollen und zu höchsten Hoffnungen berechtigten Erdteiles, dann, wenn dieser Tag gekommen sein wird, können Sie mit Befriedigung von sich sagen, dass die Berliner und diese Stadt Berlin 20 Jahre die Front gehalten haben. Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt West-Berlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner.“
Der Präsident fand mit diesen Worten deshalb so großen Anklang, weil er eine Einheit herstellte, ein Wir-Gefühl. Er sprach von einer größeren Mission, in der alle freien Menschen vereint sind – einem Projekt, bei dem alle Beteiligten gleich sind. So baut man Motivation auf: indem man einer gemeinsamen Mission auch eine gemeinsame Handlungsgrundlage gibt.
Das ist der Weg, wenn es gilt, etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Wenn wir eine Unternehmenskultur wollen, die Spielräume für Excellence lässt, dann gibt es gar keine andere Option, als dass diese Kultur für alle gilt. Nicht nur für die Teppich-Etage. Entscheidungen können kein Führungsprivileg sein.
Genauso wie die Verantwortung. Wenn wir die Verantwortung innerhalb der Führung und bei der Mitarbeiterführung aufteilen wollen, dann gibt es keinen anderen Weg, als auch die Freiheit aufzuteilen. Und das bedeutet zuerst: die Entscheidungsmacht verteilen. Ein Mitarbeiter, der keine Entscheidungen treffen kann, der kann auch keine Kunden begeistern! Und wissen Sie was: Das ist ganz nebenbei eine richtig gute Strategie zur Personalentwicklung. Diejenigen, die nur die Freiheiten wollen, aber nicht die Verantwortung – die Corporate Monkeys also –, entlarven sich mit wachsender Entscheidungsmacht ganz schnell selbst. Sie werden an den entscheidenden Schnittpunkten von Unternehmensinteressen und Eigeninteressen nämlich gerade nicht unternehmerisch entscheiden, sondern ihre Macht ausnutzen und Entscheidungen treffen, die vor allem ihnen selbst nützen.
DIE EINSAMKEIT DES ENTSCHEIDERS
Auch mit einer weiteren Überzeugung, die sich organisch in das Prinzip der geteilten Freiheit bei geteilter Verantwortung fügt, stand ich im Laufe meiner Engagements in großen Konzernen oft allein da. Ich glaube nämlich: Führung darf keine einsame Veranstaltung sein, aber:
Diese Erkenntnis ist aus dem Erleben vieler Entscheidungsrunden geboren, die alles Mögliche gezeitigt haben: Langeweile, Egotrips, erhöhter CO2-Ausstoß im Konferenzraum, nur keine brauchbaren Entscheidungen.
Wo viele mitreden, kommt meistens am wenigsten raus, oder? Am Ende vieler Meetings steht irgendeine halb gare Lösung, die obendrein auch noch ewig dauert. Je höher die Führungsebene, desto häufiger und ergebnisärmer die Versammlungen. Und je mehr Stufen eine Entscheidung durchlaufen hat, je mehr Arbeitszeit in Form von Meetings ihr geopfert wurde, desto weniger Sinn macht sie am Ende in aller Regel für den Kunden.
Denn je länger wir über Entscheidungen reden und je mehr „Entscheider“ wir einbeziehen, desto weniger geht es um den eigentlichen Sachverhalt. Stattdessen geht es um irgendwelche starren Richtlinien, Prozesse und Abläufe. Und was da nicht reinpasst, fällt durchs