Freiheit gibt keine Garantie für Glück und Sinn, aber sie ist eine Voraussetzung dafür.
Dr. Florian Langenscheidt
Mit einem dumpfen Geräusch schlägt mein Sitznachbar auf dem Boden der Flugzeugkabine auf. Er ist mit dem Fuß im Riemen meiner Umhängetasche hängen geblieben, die vor mir liegt. Meine Papiere verteilen sich quer über den Kabinenboden. Und er liegt dazwischen, der Länge nach im Gang ausgestreckt, zu Fall gebracht von meiner Tasche.
Normalerweise würde ich mich jetzt wahnsinnig schlecht fühlen. Sie kennen den Effekt, wenn man jemanden stürzen sieht: Man leidet förmlich mit und will sofort helfen. Umso mehr, wenn man auch noch eine Mitschuld trägt, wenigstens gefühlt. Eigentlich würde ich jetzt aufspringen und mich vergewissern, dass nichts Schlimmes passiert ist. Ich würde dem Mann im Business-Anzug auf die Beine helfen und mich dafür entschuldigen, dass mein Gepäckstück an dem Unheil beteiligt war.
Nicht in diesem Fall. Zu meiner eigenen Überraschung muss ich mir eingestehen, dass sein Sturz mir so gar nicht leidtut. Irgendwie hebt er sogar meine Laune. Ich fange den Blick der Flugbegleiterin ein. Die ist besser als ich darin, ihre Gefühle zu verbergen, aber so ganz gelingt es auch ihr nicht. Die Schadenfreude, professionell unterdrückt, zeigt sich in einem Zucken ihrer Mundwinkel. Und mich selbst höre ich sagen: „Hochmut kommt vor dem Fall!“
„Ernsthaft, Carsten?“, denke ich bei mir. „Du machst dich über jemanden lustig, der über deine Tasche gefallen ist?“ Aber der Appell an mein Gewissen verhallt weitestgehend ungehört, während der Gestürzte sich wortlos aufrappelt und sich einige Reihen weiter nach hinten auf einen anderen Sitzplatz verzieht.
Was war denn hier passiert?
Beim Boarding ging es schon los. Eigentlich wollte ich mich entspannen, vielleicht ein bisschen Arbeit erledigen. Doch dann kam er: der König der Lackaffen. Schon als er ins Flugzeug einstieg, erregte er meine Aufmerksamkeit, und nicht nur meine. Lautstark zog er am Handy über einen Kunden her, während er sich neben mir auf dem mittleren Platz niederließ. Dabei machte er sich so breit wie möglich. Ließ keinen Zweifel daran, dass die beiden Armlehnen zwischen seinem und den anderen Sitzen in dieser Reihe ihm gehören. Seine ganze Körpersprache sagte: Hier geht es um mich und nur um mich. Das ist mein Flugzeug, denn ich bin hier der Wichtigste. Dann ließ er sich – mutmaßlich zur Erleichterung seines Gesprächspartners – weiterverbinden und machte dem Vernehmen nach noch einen Mitarbeiter zur Schnecke.
Mit allen anderen Passagieren als unfreiwilligen Zeugen. Also auch mit mir als Zeugen.
Als die Durchsage „Boarding completed“ aus den Lautsprechern kam, fand das immens wichtige Telefonat plötzlich ein jähes Ende – mein Sitznachbar hatte einen neuen Anlass gefunden, sich zu produzieren. Das Flugzeug war nämlich nur zu einem Drittel ausgebucht. „Und da quetschen Sie mich hier in eine Reihe mit zwei anderen Typen auf den B-Platz in die Mitte? Was für eine Scheiß-Airline ist das eigentlich?“, brüllte er die Flugbegleiterin über mehrere Sitzreihen hinweg an. Und sprang schwungvoll auf, um sich umzusetzen. Doch dabei kam meine Tasche ihm in die Quere. Und dann fiel er und mit ihm die unangenehme Anspannung in der Kabine.
Vom ersten Moment an hat sein Verhalten bei mir extremes Unwohlsein erzeugt. Nun, da das Schauspiel vorbei ist, beginne ich mich zu fragen, woran das liegt. Was an diesem Kerl treibt mich zur Weißglut? Warum kann ich ihn nicht einfach ignorieren? Welche missgestimmte Saite schlägt er in mir an?
Irgendwo auf der Strecke zwischen München und Zürich wird es mir klar: Er hat in mir die Erinnerung an andere sogenannte Führungskräfte wie ihn geweckt, denen ich schon begegnet bin. Es gibt sie in den meisten Unternehmen. Überall zerstören sie Motivation mit mieser Führung. Überall auf der Welt blockieren sie Excellence. „Me, myself and I“ ist ihr Motto. Und in manchen Unternehmen ist das leider noch immer die richtige Haltung, um es nach oben zu schaffen.
Nach dem Aussteigen sehe ich ihn in der Ankunftshalle verschwinden – in null Komma nichts verschmilzt er mit seiner Umgebung. Genauer gesagt: in einer Gruppe von anderen Ego-Junkies, die irgendwie alle gleich aussehen. Mit entblößten Zähnen klopfen sie sich gegenseitig auf die Schulter – etwas zu fest, als dass es ehrlich wirken könnte. In ihren Blicken sind Jovialität und Wachsamkeit gleichermaßen. Fehlt nur noch, dass sie vergleichen, wer den dicksten Füller im Gepäck hat.
Und plötzlich klingt eine andere Saite in mir. Plötzlich tut er mir nun doch leid, mein Sitznachbar. Ob er es sich ausgesucht hat, dieses Affenkostüm von einer Attitüde? Oder ob es ihm übergestülpt wurde von einem Senior-Affen, der ihn nach seinem Vorbild erschaffen hat? So geht es den meisten von ihnen. Denn sie wissen nicht, was sie tun (könnten). Sie kennen es nicht anders. Gerade als ich ein bisschen Mitleid entwickle für diesen Zeitgenossen, läuft eine Gruppe von Kindern an mir vorbei. Gut gelaunt, noch weit von der Corporate-Welt entfernt. Oder doch nicht? „Wer hat die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss, wer hat die Kokosnuss geklaut?“, singen sie wie aus einer Kehle.
Und plötzlich fällt mir ein, zu welcher Spezies der Typ aus dem Flieger gehört. Und all die anderen, an die er mich erinnert.
Dieser Flug war die Geburtsstunde der Figur COMO® – kurz für Corporate Monkey. Auf den nächsten Seiten werde ich Ihnen noch viel darüber erzählen, was ich damit meine. Und warum ich damit manchmal auch mich selbst meine.
Dieser Flug hat so viele Erinnerungen wachgerufen. An echte Affen, die ich in Afrika und Thailand in freier Wildbahn beobachten konnte – immer auf der Suche nach der Kokosnuss. Und an Menschen in Affenkostümen, mentalen Uniformen sozusagen, die auch nichts anderes im Kopf haben als ihren Vorteil. Die nur aus einem Grund an der Palme hochklettern, nämlich um an den nächsten geldwerten Vorteil zu kommen. Für ihren Status, für ihr Ego – und notfalls auch gegen das Unternehmen. Denn sie selbst kommen immer zuerst und dann lange nichts. Und das nennen sie dann: Führung.
Ich habe mehr als einmal darunter gelitten. Haben wir das nicht alle? Und genauso oft habe ich festgestellt: Sie selbst leiden auch darunter. Denn schlechte Führung ist ein Perpetuum mobile, genauso wie gute Führung. Sie fühlt sich für niemanden gut an, und doch wird sie von einem COMO zum nächsten durchgereicht.
Dieser Erkenntnismoment hat mich ein Stück weit mit den COMOs versöhnt oder vielmehr mit den Menschen hinter der Affenmaske. Und vor allem hat er mich erkennen lassen:
Mich selbst eingeschlossen. Auch ich wurde vom Monkey Business erzogen, auch ich hatte falsche Vorbilder. Der Typ im Flugzeug – er hat mich nicht zuletzt an mich selbst erinnert. Kein Wunder also, dass er so starke Gefühle bei mir ausgelöst hat. Immer wieder gab es Momente, wo der COMO in mir sich gezeigt hat, wo ich gegen ihn ankämpfen musste, und es gibt sie manchmal auch heute noch. Einige dieser Geschichten werden Sie in diesem Buch lesen. Manchmal bin ich an meinem inneren COMO gescheitert, manchmal habe ich ihn besiegt. So wie jeder, der führt. Sie und ich – wir laufen jeden Tag Gefahr, in die COMO-Falle zu tappen.
Aus der Beobachtung eines Prachtexemplars von einem COMO in freier Wildbahn – und all den Erinnerungen – habe ich zwei Schlüsse gezogen: Erstens bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir den COMO in uns akzeptieren können und dürfen. Er ist ein Teil von uns, Teil unserer Sozialisierung im Unternehmen. Eine Nebenwirkung der Karriere sozusagen. So wie ich Rheinländer bin, so bin ich auch COMO.
Wir bekommen diese Attribute durch Sozialisierung mit auf den Weg und verbringen unser Leben damit, uns zu ihnen in Beziehung zu setzen. Wir sind, wie der Soziologe Georg Simmel festgestellt hat, Schnittpunkte sozialer Rollen. Eine davon ist der COMO. Am besten mit dem COMO umgehen können wir, davon bin ich überzeugt, indem wir ihn als einen Teil unserer Führungspersönlichkeit akzeptieren. Ihn verstehen