Grundlagenforschung. Anke Stelling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anke Stelling
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957324665
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      »Tja«, Wolfgang nickt entschuldigend. »Ist eben nur ein Mechanismus unter vielen.«

      Christian fallen die Infusionsnadeln und Gundas Handrücken ein.

      »Was ist mit den Dingen, an die man ständig denkt, obwohl man gar keinen Einfluss auf sie hat?«, fragt er.

      »So genau kann dein Gehirn eben nicht aussieben. Und woher willst du überhaupt wissen, worauf du Einfluss hast und worauf nicht?«

      Auf Krankheit nicht und auf Tod nicht. Oder vielleicht doch. Vielleicht will er keinen Einfluss darauf haben können. Weil es dann auch eine wirkungsvolle und eine falsche Art gäbe, darüber nachzudenken.

      »Als Kind habe ich immer geglaubt, wenn ich vorher bedenke, dass etwas schiefgehen kann, geht es mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht schief. Weil ich aus Erfahrung wusste, dass es einen am schlimmsten trifft, wenn etwas unerwartet schiefgeht. Ich hab das Schicksal für so ehrgeizig gehalten, dass es nur die perfekten Gelegenheiten nutzt, um zuzuschlagen.«

      Wolfgang lacht. »Und dich für so schlau, ihm diese Gelegenheiten zu vermasseln.«

      »Natürlich. Als Kind war ich doch noch Herr über mein Leben.«

      Katrin schnaubt wieder. »Ob du dich da auch vollständig und im Sinne der Evolution korrekt erinnerst?«

      Christian starrt ins Feuer. »Ich glaube schon. Schließlich mach ich diesen Fehler jetzt nicht mehr.«

      Das Feuer ist so gut wie niedergebrannt. Jemand muss aufstehen und Holz aus dem Schuppen holen.

      »Ich gehe«, sagt Renate. »Aber nicht allein.«

      »Also gut.« Christian steht auf. »Damit der Stapel nicht über dir zusammenbricht wie heute Morgen über Gunda.«

      Es ist doppelt kalt draußen, wenn man so lange am Feuer gesessen hat. Renate hakt sich bei Christian ein.

      »Komm, schnell.«

      Im Schuppen ist kein Licht, und sie haben die Taschenlampe vergessen.

      »Geh aus der Tür«, sagt Christian, und Renate tritt zu ihm in den Schuppen.

      Sie füllen den Wäschekorb mit Scheiten und packen jeder einen Griff.

      »Hält der das aus?«, fragt Renate. »Vielleicht brauchen wir nicht mehr so viel und gehen lieber ins Bett.«

      »Welches Bett?«, fragt Christian und gibt sich rasch selbst die Antwort: »Welches auch immer dran ist.«

      »Die Umzieherei nervt«, sagt Renate und stößt mit der Ferse die Schuppentür zu. Gelenkig ist sie auch.

      Von draußen sieht das Haus dunkel und unbewohnt aus; das Küchenfenster geht zur Seite raus.

      »Ich war schon hundertmal hier, weißt du«, sagt Christian und bleibt stehen.

      Renate lässt ihr Ende vom Korb los. Ein paar Scheite kullern ins Gras.

      »Ich auch bald«, sagt sie.

      »Nein«, sagt Christian. Er spürt, wie Renate ihn im Dunkeln ansieht. »Nicht damals«, fügt er hinzu. »Nicht, als alles neu war.«

      Der erste Sommer. Als sie überall Spuren der alten Besitzer gefunden hatten. Als die Schlafzimmer noch nicht verteilt waren und er mit Gunda und seiner Schwester auf dem Scheunenboden gepicknickt und Pläne gezeichnet hatte.

      »Wir hatten eine Schaukel an den Balken überm Tor gehängt. Nicht für die Kinder, Kinder gab’s damals noch keine. Nur für uns.«

      Renate klingt munter. »Ja, schade«, sagt sie. »Wer hat sie abgehängt? Dein Bruder? Damit niemand runterfällt?«

      »Weiß ich nicht. Wahrscheinlich.«

      »Willst du denn wieder eine?«

      Christian schüttelt den Kopf. »Ach was. Die Schaukel gab’s nur, weil der Balken so dick war. Um zu beweisen, dass man hier alles machen kann, was man in einer Neubauwohnung in der Stadt nicht machen kann.«

      Er kickt gegen eines der Holzscheite. Renate atmet hörbar ein.

      »Alles?«, fragt sie.

      »Ja. Alles.«

      Sie kommt auf ihn zu.

      »Lass mal«, sagt Christian schnell.

      »Was denn?«

      Es ist wie heute Morgen, als er Gunda nicht trösten durfte. Nur dass jetzt er an der Stelle von Gunda ist.

      Renate lacht und legt ihm trotzdem den Arm um die Hüfte, den Kopf an seine Schulter.

      »Keine Sorge«, sagt sie. »Vor mir brauchst du nun wirklich keine Angst zu haben.«

      Sie lassen den Korb mit Holz neben der Bank auf den Boden plumpsen.

      »Tür zu!«, ruft Wolfgang und greift gleich zwei Scheite, um sie auf die nur noch schwach glühende Asche zu legen.

      »Achtung!« Er bläst hinein.

      »Das wird wieder«, sagt er zufrieden. »Irgendwelche Wildschweine draußen?«

      »Nichts«, sagt Renate.

      Sie bleibt an die Spüle gelehnt stehen. Christian geht zurück auf seinen Platz und sieht zu, wie aus der Glut kleine Flammen aufspringen.

      »Ich geh schon mal ins Bett«, sagt Renate. Als keine Antwort kommt, klopft sie sich mit der flachen Hand auf den Schenkel und geht zur Tür. »Gute Nacht zusammen.«

      »Moment«, sagt Wolfgang, als sie draußen ist. »Haben wir schon gewürfelt?«

      Katrin sieht strafend auf. »Tu doch nicht so.«

      Das vordere Scheit fängt zuerst Feuer, obwohl es nicht kleiner ist als das hintere.

      Wolfgang zieht die Augenbrauen hoch. »Scheinbar hab ich was verpasst.«

      »Will jemand Kaffee?«, fragt Christian und steht auf.

      »Jetzt noch?«

      Die kleine elektrische Kaffeemaschine steht auf einem Bord neben der Spüle. Als Christian den Filterbehälter vorklappt, löst er sich aus der Halterung, und der Kaffeesatz vom Nachmittag fällt Christian auf die Füße. Er fasst die durchweichte Filtertüte mit spitzen Fingern und schleudert sie in Richtung der Müllsäcke.

      »Was machst du für eine Sauerei?«, fragt Hans.

      Christian versucht, den Filterbehälter wieder einzuhängen, aber der kleine Plastikzapfen ist abgebrochen.

      »Scheißding«, er wirft den Behälter in die Spüle.

      »Was machst du denn?«, fragt Katrin.

      Christian bückt sich und zieht den Stecker aus der Wand. »Kaffee. Aber nicht mit dieser Kaffeemaschine. Solche hat man heutzutage gar nicht mehr. Deshalb stehen sie auch zu Dutzenden halb kaputt hier im Ferienhaus rum.« Er drückt Katrin die Maschine in den Schoß. »Bitteschön. Kannst du verfeuern oder als Andenken für die Kinder aufbewahren. Für wessen auch immer.«

      Er lässt Wasser in einen Topf und stellt ihn zitternd auf die Herdplatte.

      »Wie du meinst«, sagt Katrin und wirft die Kaffeemaschine ins Feuer.

      »Seid ihr jetzt übergeschnappt?«, ruft Wolfgang und springt auf. Er zieht die Maschine am Kabel aus dem Feuer.

      »Ich lass mich doch nicht zum Deppen machen«, sagt Katrin, »was hab ich denn damit zu tun?«

      Christian sieht auf den Topf, unter dem die Herdplatte jetzt anfängt zu zischen und zu knallen.

      Hans seufzt. »Mensch. Das stinkt doch.«

      Richtig, denkt Christian. Der Herd ist fettig und soßenverspritzt, die Mäuse nagen die Mülltüten auf, und auf dem Boden liegt feuchter Kaffeesatz, der sich nicht wegfegen lässt. Wenn man jetzt den Besen nähme, würden die Staubflusen, die niemand rausgezupft hat, sich zu Dreckbatzen zusammenrollen