Ein Herz für mich allein. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711718681
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sehr schwergefallen, dich wieder herzugeben. Also blieb alles beim alten.«

      »Aber … ich verstehe es doch nicht«, sagte Bettina, »wieso hat er …« Sie brachte es noch nicht über sich, den Mann, den sie als Onkel Stefan kannte, Vater zu nennen, »wieso hat er es einfach zugelassen? Wenn ich wirklich seine Tochter bin, warum …«

      »Stefan Steutenberg ist ein sehr unruhiger Mensch«, sagte Frau Bürger, »vielleicht hat ihn auch nur das Schicksal so gemacht. Er hat deine Mutter sehr geliebt, Bettina, und als er sie dann verlor … das hat ihn aus dem Gleichgewicht geworfen. Er konnte es nie mehr lange an einem Ort aushalten, reiste ruhelos kreuz und quer durch die Welt. Er hätte dir weder ein Heim bieten können, Bettina, noch eine wirkliche Erziehung. Das wußte er selber. Deshalb …«

      »Ich verstehe«, sagte Bettina leise. »Ja, ich verstehe … es ist ihm lästig, ein Kind zu haben. Ich bedeute ihm nichts.«

      »Bettina! Wie kannst du so hart urteilen! Stefan Steutenberg ist, wenn du ihn erst näher kennenlernen wirst …«

      »Ich will nicht«, sagte Bettina. »Nein, ich will nicht. Er hat sich um mich nie gekümmert. Was geht er mich an?«

      »Er hat all die Jahre für dich bezahlt, Bettina … von den Geschenken ganz abgesehen. Wir hätten es uns nicht leisten können, ein fremdes Kind …« Sie schlug sich mit der Hand vor den Mund. »Verzeih bitte, Bettina … du bist für uns kein fremdes Kind, wirklich nicht. Ich … es war alles so schwer.«

      Bettina sah Ursel an, um ihre Mundwinkel zuckte ein wehes Lächeln. »Du bist froh, daß du mich jetzt los wirst, nicht wahr? Endlich bist du allein … endlich brauchst du nicht mehr …«

      »Bettina«, sagte Ursel ehrlich. »Sag doch so etwas nicht. Bitte, nicht. Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich oft so eklig zu dir war … aber ich dachte ja immer, du wärst meine Schwester. Wenn ich gewußt hätte … ich hätte mich bestimmt besser benommen. Du darfst es mir nicht nachtragen, Bettina … du darfst nicht böse sein. Bitte, bleib bei uns … bitte!«

      »Natürlich bleibt Bettina bei uns«, sagte Frau Bürger rasch, »das ist doch ganz selbstverständlich. Wenn sie nicht zu ihrem Vater will …«

      »Würde er mich denn wollen? Nein. Bestimmt nicht. Er macht sich nichts aus mir. Da gibt es nichts dran zu deuteln.«

      »Du bleibst also?« fragte Ursel.

      Ehe Bettina noch antworten konnte, sagte Frau Bürger: »Vater hat Stefan Steutenberg telegrafiert … Daß wir nach Indien wollen. Er muß ja seine Einwilligung geben. Vielleicht … Vati hatte gehofft, er würde selber kommen.«

      »Das glaube ich nicht«, sagte Bettina bitter. »Wegen mir?«

      »Sprich doch nicht so«, sagte Ursel, »du tust ja gerade so, als wenn du von aller Welt verlassen wärst. Davon kann doch keine Rede sein … wir haben dich lieb … wir alle, auch Bernd, selbst wenn er so blöd gequatscht hat. Das kam doch bloß, weil er Jürgen Holbach nicht riechen kann. Im Grunde, es ist doch ganz egal, ob du wirklich unsere Schwester bist … vielleicht verstehen wir uns viel besser, wenn wir einfach Freundinnen sind.«

      »Ich werde arbeiten«, sagte Bettina, »Stenografie und Schreibmaschine haben wir ja gelernt, damit kommt man heutzutage überall weiter. Ich … ich will niemanden zur Last fallen.«

      »Bettina!« rief Ursel empört. »Wie kannst du?«

      »Sei still, Ursel«, unterbrach Frau Bürger sie. »Bettina hat einen schlimmen Schock erlebt, du darfst nicht ernst nehmen, was sie jetzt spricht.« Sie erhob sich. »So, und jetzt gebe ich dir etwas zur Beruhigung … einen Löffel flüssiges Lecithin, das hilft mir auch immer … am besten versuchst du dann ein bißchen zu schlafen. Wenn Vati nach Hause kommt …«

      »Wie soll ich ihn nennen?« fragte Bettina. »Ich kann doch jetzt nicht mehr … wo ich weiß, ihr seid ja nicht meine Eltern.«

      Frau Bürger beugte sich über Bettina und küßte sie auf die Stirn. »Nenn uns, wie du’s immer getan hast, Liebes«, sagte sie, »selbst wenn es dir jetzt ganz falsch vorkommt, du kannst sechzehn Jahre deines Lebens … vielleicht die wichtigsten Jahre … nicht einfach streichen. Wenn du ruhiger geworden bist, wirst du die Dinge mit anderen Augen sehen.«– –

      Eine Nachricht von Stefan Steutenberg kam erst zwei Tage später. Sie bestand aus einem ungemein ausführlichen Telegramm aus Kapstadt. Herr Bürger brachte es mit, als er abends nach Hause kam.

      »Ein Telegramm von Stefan Steutenberg. Das geht dich an, Bettina«, sagte er und holte das gelbe Formular aus seiner Brieftasche. »Hier, lies selber.«

      »Was telegrafiert er?« rief Ursel aufgeregt. »Darf Bettina bei uns bleiben? Wann …«

      Herr Bürger legte mahnend den Finger auf die Lippen. »Ruhe, Ursel … Bettina wird es sicher gleich selber sagen.«

      Bettina hatte das Telegramm überflogen, jetzt sah sie die erwartungsvollen Augen von Bernd, Ursel und Heiner auf sich gerichtet, las noch einmal laut von Anfang an: »alter junge was machst du für geschichten stop wieso ausgerechnet indien stop kann nicht zulassen dass du mir mein kind entführst stop habe haus bei münchen gekauft stop werde mich selber bald dort ansässig machen stop aber noch nicht spruchreif stop habe bettina im internat von madame jeuni genf angemeldet stop ausgezeichnetes institut stop geld kommt ebenfalls telegrafisch stop melde mich wieder stop grüsst mir bettina stop alles gute für euch stop hals- und beinbruch stop stefan steutenberg«

      »So eine Gemeinheit!« platzte Ursel heraus. »Erst ist er froh, daß er Bettina los ist … und jetzt auf einmal …«

      »Ursel, ich bitte dich«, sagte Frau Bürger unwillig. »Wie kannst du so töricht daherreden. Stefan Steutenberg ist niemals froh gewesen, Bettina los zu sein. Er hatte nur keine Möglichkeit, sich um sie zu kümmern.«

      »Willst du denn überhaupt in dieses blöde Internat, Bettina?« fragte Bernd.

      »Selbstverständlich wird Bettina das tun, was ihr Vater wünscht«, sagte Herr Bürger nachdrücklich. »Du kannst es dir am allerwenigsten erlauben, deinen Mund so aufzureißen, Bernd.«

      Der Junge wurde rot und rieb sich unwillkürlich die Kinnspitze, die immer noch einen beachtlichen blauen Fleck aufwies, der langsam ins Grünliche hinüberzuspielen begann. »Bettina hätte es ja doch erfahren müssen«, sagte er trotzig vor sich hin.

      »Sicher hätte sie das, Bernd«, sagte Frau Bürger, »aber nicht von dir. Und nicht auf solch rücksichtslose Art und Weise. Nein, Bernd! Du hast wahrhaftig kein Heldenstück vollbracht, und du tätest besser, uns nicht immer wieder daran zu erinnern.«

      »Mein Gott, ist das aufregend!« rief Ursel. »Wir gehen nach Indien, und Bettina fährt in die Schweiz. Toll! Wenn uns jemand das noch vor ein paar Monaten gesagt hätte …«

      »Ich will aber nicht, daß Bettina weggeht!« rief der kleine Heiner mit zorniger Stimme. »Ich will es nicht! Warum geben wir nicht Ursel weg?«

      »Heiner!« rief Frau Bürger entsetzt.

      »Ist doch wahr«, sagte Heiner kleinlaut. »Ursel kann lange nicht so schön Kasperle spielen wie Bettina.«

      Bernd holte schon aus, um seinem kleinen Bruder eins hinter die Ohren zu geben.

      Herr Bürger hinderte ihn daran. »Laß das, Bernd«, sagte er, »Heiner weiß nicht, was er redet … ich verstehe ihn schon.« Er legte seinen Arm um Bettinas Schultern, zog sie an sein Herz. »Wir alle werden dich sehr vermissen, Bettina … du hast uns mehr bedeutet, als du selber weißt. Daß du uns wirklich verlassen wirst … ich mag noch gar nicht daran denken.«

      Einen Herzschlag lang fühlte Bettina sich an Herrn Bürgers Brust geborgen, dann begegneten ihre Augen zufällig dem Blick der Pflegeschwester. Sie spürte Ursels aufglimmende Eifersucht.

      Sie löste sich aus Herrn Bürgers Armen, sagte in gezwungenem, heiterem Ton: »Gibt’s bald was zu essen, Mutti? Ich habe einen Mordshunger. Wahrscheinlich kommt das durch die Aufregung.«