Ein Herz für mich allein. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711718681
Скачать книгу
nicht ungerecht sein, aber ich finde für Ihr Verhalten beim besten Willen keine Entschuldigung. Es ist genug, daß Sie sich auf der Reise von einem fremden Mann ansprechen ließen … ihn aber aufzufordern, Sie hierher ins Internat …«

      »Ich habe ihn nicht aufgefordert«, sagte Bettina heftig, »er hat es mir angeboten!«

      »Auch wenn Sie glauben, daß ich im Unrecht bin, mein Kind … es ist eine sehr schlechte Angewohnheit, einen Menschen mitten im Satz zu unterbrechen, noch dazu eine um so viele Jahre ältere und erfahrenere Frau wie mich.«

      Bettina war den Tränen nahe, unfähig ein Wort hervorzubringen, starrte sie vor sich hin auf den Teppich.

      »Sie halten es also nicht für nötig, sich zu entschuldigen?« fragte Madame Jeuni scharf.

      »Doch, natürlich. Bitte, verzeihen Sie mir …«

      »Es würde mir sehr leid tun, wenn es sich herausstellen sollte, daß Sie in den Kreis meiner Zöglinge nicht hineinpassen. Ich möchte Ihnen das von Anfang an klar vor Augen halten … ich kann keine störenden Elemente in meinem Internat dulden … die Mädchen, die mir anvertraut sind, sind durchwegs aus sehr guten Familien, sie haben eine ausgezeichnete Kinderstube hinter sich. Meine Aufgabe besteht nur darin, ihnen sozusagen den letzten Schliff zu geben … ihnen den Übergang von der Kindheit in das Gesellschaftsleben zu erleichtern. Ich hoffe, Sie werden sich Mühe geben, sich in unser Haus einzufügen. Vergessen Sie nicht, daß als Tochter Stefan Steutenbergs sehr bald schon gesellschaftliche Aufgaben auf Sie warten werden. Meine Assistentin, Fräulein Legrand, wird Sie jetzt auf Ihr Zimmer führen und Sie in die Hausordnung einfuhren. Ich bedauere es sehr, daß die Zeit hier bei uns mit einem solchen Mißklang anfangen mußte. Aber Sie werden zugeben, daß es einzig und allein Ihre Schuld ist!«

      Madame Jeuni drückte auf die Taste einer kleinen Apparatur auf dem Schreibtisch. Wenige Augenblicke später erschien Jeanette Legrand, der das Signal gegolten hatte, und führte Bettina in ihr Zimmer.

      Bettina brachte es nicht fertig, Mademoiselle Legrands Erklärungen Aufmerksamkeit zu schenken, sie spürte auch nicht den ehrlichen Willen der jungen Frau ihr zu helfen. Sie war so verstört, daß sie nur den einzigen Wunsch hatte, allein gelassen zu werden.

      Als Fräulein Legrand endlich ging, stürzte Bettina zur Tür. Sie wollte abschließen, mußte aber feststellen, daß es keinen Schlüssel gab. Die Zimmertüren waren nur von außen zu verriegeln.

      Diese Tatsache steigerte Bettinas Verzweiflung. Sie fühlte sich so elend wie noch nie in ihrem Leben. Wenn Madame Jeunis Vorhaltungen ungerechtfertigt gewesen wären, würde sie wahrscheinlich leichter darüber hinweggekommen sein, aber sie spürte deutlich, daß sie sich falsch benommen hatte. Grade deshalb schmerzte der Tadel wie eine brennende Demütigung.

      Heimweh zerriß Bettinas Herz, Sehnsucht nach Bürgers, nach Ursel, nach Heiner, ja, selbst nach Bernd. Am liebsten hätte sie sich in einen dunklen Winkel verkrochen. Sie warf sich auf den bunten Krettoneüberzug ihres Bettes, verbarg ihren Kopf in den Armen und schluchzte wild auf. Sie fühlte sich allein und schutzlos einer fremden feindlichen Welt preisgegeben.

      Es dauerte lange, bis ihre Tränen sanfter zu fließen begannen. Dämmerung fiel in das Zimmer. Bettina war erschöpft von den Aufregungen der letzten Tage, erschöpft von dem langen Flug. Die Augen fielen ihr zu.

      Als eine Hand sie kräftig an der Schulter schüttelte, fuhr sie entsetzt hoch. Sie mußte sich erst besinnen, wo sie war. Dann begriff sie wieder alles. Sie war eingeschlafen, und das rothaarige junge Mädchen, das im Tennisdreß vor ihr stand, war wahrscheinlich ihre Zimmergenossin.

      »Oh, entschuldigen Sie, ich … es tut mir leid … wie spät ist es?« fragte Bettina.

      »Bist du Deutsche?« fragte das rothaarige Mädchen.

      »Ja …«

      »Hier im Haus ist es verboten, deutsch zu sprechen … wußtest du das nicht?«

      Bettina errötete, weil sie offensichtlich schon wieder etwas falsch gemacht hatte. »Doch, ja«, sagte sie rasch, »Mademoiselle Legrand hat es mir erklärt … aber … ich spreche nicht sehr gut französisch.«

      »Drum eben. Wir sollen es lernen …«

      »Was sind Sie … oder darf ich du sagen … für eine Landsmännin?«

      »Engländerin. Aber meine Mutter ist Deutsche. Deutsch und Englisch geht bei mir, jetzt haben sie mich nach Genf geschickt, damit ich Französisch lerne. Ich heiße Dotty Glenford … übrigens sagen wir hier alle du zueinander.«

      »Bettina Steutenberg«, stellte Bettina sich vor, »ich komme aus Dortlingen.«

      »Dortlingen? Nie gehört.«

      »Eine kleine Stadt in Westfalen, am Rande des Ruhrgebietes.«

      Dotty zuckte die runden Schultern. »Keinen Sinn«, sagte sie, »Geographie ist meine schwache Seite.« Sie setzte sich zu Bettina aufs Bett, schlug die langen nackten Beine übereinander. »Warum hast du geweint?« fragte sie neugierig. »War die Trennung so schlimm?«

      »Madame Jeuni … sie hat mich furchtbar abgekanzelt.«

      »Willst du etwa behaupten, daß du deshalb geheult hast?«

      »Ja«, sagte Bettina erstaunt. »Ich … es war ganz furchtbar. Wirklich.«

      Dottys grüne Augen begannen zu funkeln. »Alles kann ich vertragen«, sagte sie aufgebracht, »nur keine Lügereien!«

      »Aber … ich lüge doch nicht! Warum sollte ich denn?«

      »Du bist eine widerwärtige Heuchlerin, daß du’s nur weißt. Glaubst du wirklich, du könntest mir was vormachen? Ausgerechnet mir? Das ganze Internat weiß, daß du dich von einem Mann hast bringen lassen.«

      Bettina schwang die Beine zu Boden und sprang auf. »Ja, aber das ist es doch gerade! Deshalb war Madame Jeuni so böse auf mich. Das will ich dir ja gerade erklären.«

      »Was Madame Jeuni dir gesagt oder nicht gesagt hat, interessiert mich nicht im geringsten … was war das mit dem Mann?«

      »Der Mann? Herrgott, was soll denn mit dem Mann gewesen sein? Ich habe ihn ja kaum gekannt.«

      »Ach so. Sicher hast du dich nur ganz zufällig von ihm hierher begleiten lassen, nicht wahr?« sagte Dotty, und ihre Stimme war von gefährlicher Sanftheit.

      »Ich habe ihn im Flugzeug kennengelernt, wenn du’s genau wissen willst. Er hat ein Gespräch mit mir angefangen, und weil er ganz nett war, bin ich drauf eingegangen. Das ist alles.«

      Dotty trat dicht auf Bettina zu. »Das soll ich dir glauben?«

      »Es ist die Wahrheit!« sagte Bettina mit fester Stimme.

      »Lächerlich! Niemand weint wegen einer zufälligen Bekanntschaft. So was gibt es nicht.«

      »Ich habe ja auch nicht wegen Ewald Bäumler geweint«, rief Bettina verzweifelt, »sondern weil Madame Jeuni mich ausgeschimpft hat. Kannst du das denn nicht begreifen?«

      »Nein«, sagte Dotty, »das kann ich nicht. Das einzige, was ich begreife, ist, daß du mich anlügst. Du willst dein Geheimnis für dich behalten. Na, das ist deine Sache. Wärst du ehrlich zu mir gewesen, ich hätte dir geholfen. Vielleicht hätte ich sogar einen Weg gewußt, wie du dich mit ihm treffen könntest. Aber du glaubst, daß du alleine fertigwerden kannst. Bitte. Von mir aus. Mach, was du willst. Für mich bist du Luft.«

      Damit wandte sie Bettina den Rücken zu und öffnete ihren Kleiderschrank.

      »Aber, bitte, Dotty … wirklich … du tust mir unrecht«, sagte Bettina eindringlich. »Wenn du Herrn Bäumler gesehen hättest … es ist wirklich gar nichts an ihm dran. Wie kannst du glauben, daß ich in ihn verliebt wäre oder so etwas?«

      Dotty gab keine Antwort. Sie zog ihre weiße Bluse und ihr Tennisröckchen aus, schlüpfte statt dessen in ein hellgrünes Sommerkleid.

      Bettina machte noch mehrere Versuche, Dotty zu versöhnen.