Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus. Ernst von Waldenfels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst von Waldenfels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9788711449530
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fälschlich unter Verdacht zu geraten? Spürte er, dass diese Tat zum Auftakt für Revolution und Bürgerkrieg werden sollte? Jedenfalls waren die Folgen unabsehbar und Nikolai Roerich war, wie sich zeigen sollte, niemand, der sich in dem bald entstehenden Chaos gut zurechtfand.

      Doch vorerst blieb alles ruhig, und Anfang Januar 1917 war Nikolai Roerich wieder in Petrograd. Der Zar hatte so sehr an Einfluss verloren, dass die Mörder, die schnell gefunden waren, nicht einmal in Haft kamen. Felix Jussupow selbst wurde nur unter Hausarrest gestellt.

      Bis Mai 1917 blieb Roerich in Petersburg.124 Er erlebte die Hungerunruhen, Schießereien und den Vandalismus, die der Februarrevolution vorausgingen. Nach der Revolution bildete Maxim Gorki ein Komitee zur Bewahrung der russischen Kulturgüter, das weiteren Zerstörungen vorbeugen sollte. Die prominentesten Kulturschaffenden der Hauptstadt, so auch Nikolai Roerich, wurden zur Mitwirkung eingeladen. Der gleichfalls anwesende Alexandre Benois notierte die chaotischen Sitzungen in seinem Tagebuch. Am 4. März schrieb er: »Bei Gorki versammelten sich mehr als 50 Personen. Zum Vorsitzenden wurde Roerich bestimmt, ich hatte mich geweigert. Bei der Sitzung kam, wie ich vorausgesehen hatte, nur totaler Wirrwarr heraus – wunderbares Material für eine Satire. [...] Gorki brummte mit seiner Bassstimme gutmütig, die Künstler sollten die Bewachung der Museen selbst unternehmen. Dröhnend unterbrach ihn der Hooligan Majakowski in seiner Soldateninform. [...] Überhaupt nicht am richtigen Ort erwies sich Roerich, der in grobem Ton und hastig die Namen der Personen vorlas, die zur provisorischen Regierung abgestellt werden sollten. Als Minister für Kultur schlug ich Diaghilew vor, dann Grabar und als Dritten Roerich. Der Letztere wäre vor Stolz fast geplatzt und machte nicht einmal eine abwehrende Geste. Welch bescheidener Ehrgeiz.«125 Tatsächlich sollte Nikolai Roerich die Tatsache, dass man ihn einmal zum Kulturminister vorgeschlagen hat, noch öfters mit Stolz erwähnen. Aber der Würdenträger des Zaren und Leiter der Schule der »Kaiserlichen Gesellschaft«, der Okkultist und »Sucher nach heiligen Zeichen«, zeigte sich der neuen, chaotischen Lage nicht gewachsen. Mit der Zerstörung der alten Rangordnung kam er nicht zurecht. Das zumindest legt das Tagebuch von Benois nahe, der in Gorkis Komitee die Zügel übernommen hatte. Am 21. März lesen wir: »Als völlig fehl am Platz hat sich Roerich erwiesen, der den Anschein macht, als wäre er von mir eingeschüchtert. Vermutlich daher stimmt er allem, was ich vorschlage, sofort zu. Ein wenig Leben kommt in ihn nur dann, wenn es um irgendwelche unbedeutenden Einzelheiten geht.«126

      Im April erkrankte Nikolai Roerich an einer schweren Lungenentzündung. Anfang Mai reiste er mit seiner Familie wieder nach Finnland, der Auftakt zu einem lebenslangen Exil. Nur noch besuchsweise sollte er nach Russland zurückkehren. In Finnland verschlimmerte sich seine Krankheit so sehr, dass er ein Testament verfasste, in dem er alles seiner Frau vermachte. Auch zog er angesichts des Todes eine Bilanz seines bisherigen Lebens. Zählte seine Freunde auf, darunter Remisow, Gorki, Benois und die Tennischewa, und seine Feinde, zu denen er bemerkenswerterweise nur zwei Personen, mit Namen Tolstoi und Botkin, zählt. Beide hatten ihm das Leben bei seinem Aufstieg in der Kaiserlichen Gesellschaft schwergemacht. »Man kann mein Leben unmöglich als arm bezeichnen. Es war ein besonderes Leben, und nur wenige hatten Einblick in es. Ich war nie ein Wolf im Rudel. Ich bin als einsamer Bär unterwegs. In einem ersten Buch vergleiche ich den Menschen der Steinzeit mit einem Bären. Dieser Bär gleicht mir. Lieber ein Bär sein, bloß kein Wolf. Versteht Ihr?«127

      In dieser Bilanz erweist sich einmal mehr, wie gut es Roerich zeitlebens verstand, seine Geheimnisse zu wahren. Da wäre zum Beispiel folgende Begebenheit, über die sonst nichts weiter bekannt ist: »Verleumdungen und Lügen verfolgten mich, aber die Wahrheit siegte. Man hat mich beschuldigt, einen Menschen getötet zu haben, aber auch diese Verleumdung habe ich überstanden.«128

      In Finnland malte Roerich die düsteren Steinlandschaften Kareliens, es herrschen bleierne, schwere Töne vor. Auch in seinen Gedichten herrschte ein dunkler Ton. Vergeblich suchte er nach »heiligen Zeichen«:

      Vergeblich

      Nicht sichtbar sind die heiligen Zeichen

      Lass Deine Augen ruhen

      Ich weiß, sie sind ermüdet. Schließe sie

      Ich werde für Dich nachsehen. Ich sage

      Dir, was ich erblicke. Höre zu!

      Um uns ist dieselbe Ebene

      Graue Büsche rascheln.

      Stählern schimmert der See.

      Verschlossen schweigen die Steine

      kalt schimmern sie in den Wiesen.

      Kalte Regenwolken, die sich zu Krähenfüßen

      runzeln. Auf ewig sind sie weggegangen.

      Sie wissen, schweigen und bewahren.

      Vögel sehe ich nicht. Keine Tiere eilen durch

      die Ebene. Wie zuvor ist niemand da.

      Niemand kommt. Keinerlei Zeichen.

      Kein einziger Wanderer.

      Ich verstehe, sehe und weiß nicht.

      Angestrengt hast Du Dein Auge völlig

      vergeblich.129

      Ganz zog Nikolai Roerich sich nicht von der Welt zurück. Er führte einen ausgedehnten Briefwechsel mit den Mitarbeitern der »Kaiserlichen Gesellschaft«, die jetzt nicht nur umbenannt, sondern auch völlig umorganisiert werden musste. Aber das geschah alles aus der Ferne, und die Briefe machen einen halbherzigen Eindruck. Zwar entwarf er detaillierte Pläne, aber betonte immer, erst müsse er gesund werden. Benois gegenüber bekannte er in einem Brief im Dezember, er wisse selbst nicht, welche Krankheit er habe. Sei dies Tuberkulose oder irgendetwas mit den Nerven. Weiter berichtete er, er schreibe an einem Mysterienspiel, und ganz zum Schluss riet er Benois eindringlich, doch die Prophezeiungen von Ramakrishna zu lesen. Dies sei eine sehr ernsthafte und sehr humane Lehre.130

      In Russland spitzten sich die Dinge 1917 zu. Auf der einen Seite standen die Radikalen, die Bolschewiken, die den Krieg gegen Deutschland beenden und das Land der Grundbesitzer verteilen wollten, auf der anderen Seite die Anhänger der alten, patriarchalischen Ordnung und die Vertreter der besitzenden Klassen. In der Mitte fanden sich die Liberalen, die Sozialdemokraten und sonstige Anhänger gemäßigter Reformen. Vorläufig herrschte noch Frieden zwischen den Fraktionen, doch der Bürgerkrieg kündigte sich bereits an. Im September führte die provisorische Regierung den ersten Schlag. Man verbot zwei Zeitungen der Bolschewiken und inhaftierte, soweit fassbar, ihre Führer.

      In dieser Situation ergriff Nikolai Roerich Partei. Am 15. Oktober beendete er – aber veröffentlichte erst zwei Jahre später – einen Artikel mit wütenden Angriffen gegen die Bolschewiki. Er bezeichnete sie als »wilde Horden« mit »offenem Hang zu Raub und Gewalt«, als »Versammlung verwilderter Arbeiter, die das menschliche Antlitz verloren haben und beim ersten Schuss auseinanderlaufen«. Man sollte »diese verwilderten Haufen vernichten«.131

      Bekanntlich vollzogen die »verwilderten Haufen« wenige Tage später, am 25. Oktober, einen erfolgreichen Staatsstreich, die welthistorische Oktoberrevolution.

      Anfang Januar 1918 traute sich Nikolai Roerich zusammen mit seiner Frau ein letztes Mal nach Petrograd und besuchte Benois, der die zwei Begegnungen ausführlich, und wie immer ironisch, in seinem Tagebuch notierte. Beim ersten Mal beschwerten sich die beiden über das Leben in Finnland, was Benois allerdings nicht sehr beeindruckte. Sein Kommentar: »Diese Klagen hatten hauptsächlich zum Ziel, dass – gebe Gott – nicht andere Russen Finnland überschwemmen.«

      Beim zweiten Mal ging es einen Abend lang in erster Linie um die Schule der ehemaligen Kaiserlichen Gesellschaft. Ein energischer Bolschewik hatte die Sache an sich gerissen und dominierte den noch von Roerich eingesetzten Verantwortlichen, Helenas Cousin Stepan Mitusow, nach Belieben. Doch dann, gegen Ende des Gesprächs, stellte sich heraus, die Schule war gar nicht der Hauptgrund für Roerichs Reise nach Petrograd gewesen!

      »Beiläufig wurde klar, dass Roerich wegen seines Safes hier ist, Helena Iwanowna aber, die sonst so Umsichtige, in Finnland den Schlüssel für den feuerfesten