Texten fürs Web: Planen, schreiben, multimedial erzählen. Stefan Heijnk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Heijnk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783969100103
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aber nicht identische Grundsätze. Während Inhalte für Print-Medien in die typische Form aneinandergereihter Papierseiten gebracht, der gesamte Stoff also in eine sinnvolle lineare Reihenfolge überführt wird, liegen die Dinge im Web entschieden anders: Hier kommt es darauf an, ständig wachsende Websites angenehm navigabel zu organisieren und jede einzelne Seite so zu komponieren, dass sie die Nutzerblicke möglichst magnetisch anzieht und dann auch bindet.

      Nutzerfreundliche Navigationspfade anzulegen und attraktive Seiten-Layouts zu entwickeln ist dabei keine Sache des reinen Bauchgefühls, denn fürs Site-Machen liegen längst viele belastbare Leitlinien vor – sowohl für stationäre als auch für mobile Websites. Hilfreiche Expertise findet sich dazu vor allem in der Usability- beziehungsweise User-Experience-(UX)-Forschung. Die Forschungsdisziplin zielt auf ein möglichst perfektes Interface- und Interaktionsdesign. Interfacedesign meint dabei die grafische Gestaltung der Oberflächen im Mensch-Maschine-Kontakt, hier also für den Kontakt zwischen Nutzern und Websites. Im Interaktionsdesign wiederum geht es um das, was unter der grafischen Oberfläche liegt, vor allem um das Anlegen eines optimalen Verbindungsnetzes zwischen den unterschiedlichen Teilbereichen einer Website. Manchmal wird es auch Navigationsdesign genannt. Greifen Inhalt, Interface und Interaktion sauber ineinander, dann wird der eingehende Besucherstrom (Inbound-Traffic) ohne größere Verluste auf die einzelnen Seiten gelenkt.

      Ob das wirklich klappt, entscheidet sich in relativ präzise beschreibbaren Zeitfenstern. Im Prinzip läuft das ab wie am Gemüsestand auf einem Wochenmarkt: Die Startseite unterbreitet den Nutzern ihre Angebote und die Nutzer schauen sich zunächst einmal die Auslagen an. Trifft eines der unterbreiteten Angebote auf ein gesteigertes Interesse, dann greift der betreffende Nutzer zu, klickt auf einen Link und schaut sich das Angebotene genauer an. Sind die Angebote für einen Nutzer aber allesamt uninteressant, dann ist die Sache vorbei, noch ehe sie richtig begonnen hat. Und der Nutzer wechselt zu einem anderen, interessanter erscheinenden Marktstand. Analytisch betrachtet verläuft diese Startphase im Kontakt zwischen Website und Nutzer also in einem Dreischritt:

      1 Ladephase: Abwarten des Seitenaufbaus

      2 Scanphase: Überfliegen des Seiten-Inhalts

      3 Rezeptionsphase: Lesen, Hören, Anschauen des Seiten-Inhalts

      Ob die Leute dabei gerade ein Smartphone in der Hand halten oder ob sie vor dem Monitor am Schreibtisch sitzen, spielt erst einmal noch keine Rolle. Laden–Scannen–Rezipieren – dieser Dreischritt bleibt unabhängig vom Endgerät typisch für jeden Website-Nutzerin-Kontakt. Aus Sicht der Usability-Forschung ist in diesem Dreischritt entscheidend, dass die nutzerseitigen Erwartungen in allen drei Phasen optimal erfüllt werden. Wobei die Erwartung durchaus auch sein kann, dass den Erwartungen nicht entsprochen werden soll. Alles dreht sich ums schnelle Gewinnen und möglichst lange Binden von Aufmerksamkeit. Wer die Blicke rasch zum Ziel führt, ist im Vorteil. Das gilt für die Rezeption am Schreibtisch-Monitor ebenso wie für das mobile Surfen per Smartphone.

       Die Ladephase am Desktop

      Für stationär abgerufene Webseiten ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten hinreichend erforscht worden, worauf es im Detail ankommt. Auch wenn in jeder Phase dieses Kontakts zahlreiche, individuelle Variablen in den tatsächlichen Blickverlauf eingreifen, so lassen sich dennoch typische Verhaltensmuster feststellen. In der Ladephase der Desktop-Webnutzung sehen die Nutzer zuerst, wie sich die abgerufene Seite auf dem Bildschirm aufbaut. Innerhalb von Sekundenbruchteilen entsteht dabei ein erster Eindruck, buchstäblich ein ästhetisches Vor-Urteil. Bereits nach 50 Millisekunden ist eine erste Hypothese darüber aufgestellt, ob das Gesehene den individuellen Erwartungen entspricht – oder nicht. Dieses Vor-Urteil wird dann blitzschnell mit weiteren Eindrücken angereichert und ist am Ende der ersten Halbsekunde des Blickkontakts bereits abschließend formuliert. Zu beachten ist: Dieses Vor-Urteil prägt maßgeblich, wie die weitere Wahrnehmung der betrachteten Site verläuft. Ist der erste Eindruck positiv, dann steigt die Wahrscheinlichkeit für einen weiterhin positiv verlaufenden Website-Nutzer-Kontakt. Wenn nicht, wird’s sofort schwierig, denn es gibt tatsächlich keine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck.

      Wahrgenommen werden in diesem extrem kurzen Zeitfenster grafisch markante Hinweise auf »visuelle Komplexität« und »Prototypikalität«. Visuelle Komplexität wird in den entsprechenden Studien als Faktor verstanden, der in drei Stufungen bewertet wird: hoch, niedrig und mittel. Für mehr ist einfach keine Zeit. Zeichenmengen, Farben, Fluchtlinien, Positionen und Proportionen spielen eine wesentliche Rolle. Wird die Komplexität vom Probanden als hoch eingeordnet, dann ist der erste Eindruck negativ. Besser ist es deshalb, die erste Bildschirmportion nicht zu überfrachten.

      Prototypikalität wiederum bezeichnet den Grad, »in dem ein Objekt repräsentativ ist für seine Objektklasse«. Das Objekt »Website« braucht deshalb typische Komponenten an bestimmten Positionen, um als Website erkannt werden zu können. Für unterschiedliche Website-Typen, also für News-Websites oder Online-Shops oder Corporate Websites, sind dabei je eigene Komponenten-Sets zu unterstellen.

      Weicht das Aussehen einer Website vom gängigen Muster ab, dann ist die Site minderprototypisch, und der erste Eindruck kann schon negativ geprägt sein. Hochgradig prototypische Websites werden tendenziell positiv bewertet. Die Forschung empfiehlt deshalb eine Kombination aus niedriger beziehungsweise mittlerer visueller Komplexität und hoher Prototypikalität. Einfacher formuliert: Eine Website sollte durch eine überschaubare Zahl markanter Elemente mitteilen, welche Art Website sie ist. Es gilt deshalb, die gegebene Fläche klar zu gliedern und die Standard-Komponenten erwartungskonform zu positionieren. Wer ein Gesicht zeichnen will, braucht ja schließlich auch nicht viel: Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht.

      In mehreren, meist älteren Studien wurde untersucht, wie viel Geduld die Nutzer aufbringen, bis eine Seite geladen sein muss. Die Usability-Forscher Nina Bhatti, Anna Bouch und Allan Kuchinsky beispielsweise konstruierten dazu in 2001 in einer Untersuchung mit dem Titel »Integrating User-Perceived Quality into Web Server Design« eine ebenso simple wie effiziente Versuchsanordnung. Um herauszufinden, wann sich die Geduld der Nutzer erschöpft, platzierten sie auf einer fiktiven Startseite einen Button mit der Aufschrift »Laden der Seite beschleunigen« und maßen über die Server-Logs dann die Zeit, die verstrich, bis die Testpersonen den Button anklickten. Ergebnis: Im Durchschnitt geschah dies nach exakt 8,67 Sekunden. Acht Jahre später haben der Webtechnologie-Anbieter Akamai und Forrester Research in punkto Geduld bei den Nutzern nachgefragt. Das Ergebnis: 47 Prozent erwarteten, dass eine abgerufene Webseite nach spätestens zwei Sekunden auf dem Desktop-Bildschirm sein muss. Es darf sicher angenommen werden, dass die Nutzergruppe mit dieser Ladezeit-Erwartung bis heute nicht kleiner geworden ist. Praktisch bedeutet das: Geben Sie Gas. Jede Sekunde zählt.

      Usability-Guru Jakob Nielsen hat zum gleichen Thema immer wieder auf nutzerseitige innere Zeitschranken hingewiesen (1993, 1997, 2009, 2010). Danach werden die Webnutzer grundsätzlich schon nach einer Sekunde ungeduldig und registrieren bewusst, dass sie warten müssen. Je länger sie warten müssen, desto stärker wird die Ungeduld. Die nächste Zeitschranke wird dann nach etwa zehn Sekunden erreicht – das ist das durchschnittliche Maximum für die zeitliche Länge des Geduldsfadens. Innerhalb dieser Zeitspanne von bis zu zehn Sekunden fangen die Benutzer an abzuschweifen und sind schon nicht mehr richtig bei der Sache. Dauert also das Laden länger als zehn Sekunden, dann bricht der Flow ab. In diesen Fällen verlassen die Benutzer oft die Website und nehmen den Kontakt später auch nicht wieder auf.

      Hinzu kommt, dass in der Ladephase nicht nur über den ersten Eindruck beim Nutzer vorentschieden wird, sondern auch die Sichtbarkeit in den Suchergebnislisten beeinflusst ist: Google bewertet Ladezeiten kürzer als 1,5 Sekunden als schnell – und berücksichtigt ein solches Ergebnis auch fürs Ranking. Wenn eine aufgerufene Seite nach 1,5 Sekunden nicht vollständig auf dem Bildschirm ist, gibt es bereits Strafpunkte.

       Die Scan-Phase am Desktop

      In der sich anschließenden Scanphase treffen Angebot und Nachfrage vorentscheidend aufeinander. Das Geschehen ist hier