Texten fürs Web: Planen, schreiben, multimedial erzählen. Stefan Heijnk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Heijnk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783969100103
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Reportage. Auch wenn der Begriff »Longform« nicht mit »Reportage« gleichgesetzt werden sollte, im digitalen Storytelling hat er einen zentralen Rang: Er stellt die Redakteurinnen vor allem vor die Aufgabe, über narrative Spannung nachzudenken und Neugier motivierende Spannungsbögen zu konstruieren. Dieses Kapitel zeigt, wie das geht, in linear ebenso wie in nonlinear arrangierten Langtexten.

      In Kapitel 5 schließlich geht es ums Content Marketing – und damit um ein Anwendungsfeld für das Wissen aus den vorangegangenen vier Kapiteln. Content Marketing ist so etwas wie ein Zwischending aus Journalismus und Marketing: Usability-Wissen, SEO-Kenntnisse, Schreibhandwerk und Storytelling-Expertise werden hier eingesetzt, um definierte Marketingziele zu erreichen, also beispielsweise Marken-Images aufzubauen oder den Abverkauf von Produkten zu unterstützen. Das Kapitel hat im Buch eine Sonderstellung, weil die engere journalistische Perspektive verlassen wird. Aufgenommen habe ich es vor allem aus zwei Gründen: Es soll verdeutlichen, dass Content-Marketing-Storys im Prinzip zwar wie Journalismus aussehen, gleichzeitig aber ein anderes Denken erfordern. Und es soll zeigen, was dieses andere Denken für die praktische Arbeit ganz konkret bedeutet. Für Digitaljournalistinnen und -journalisten ist die damit verbundene Distributions-Kompetenz künftig unabdingbar, weil es auch für sie darum geht, die eigenen Geschichten im Web weitestmöglich an verschiedensten Kontaktpunkten sichtbar werden zu lassen.

      Das Buch richtet sich dabei an alle, die in Redaktionen, in der Unternehmenskommunikation, in Presseabteilungen von Behörden und Organisationen oder in Content-Marketing-Agenturen beruflich damit befasst sind, attraktive und bindungsstarke Inhalte fürs World Wide Web zu schaffen. Wenn Sie also zu diesem Kreis von Content-Kreativen zählen, dann sind Sie hier genau richtig.

      Konzipiert ist es als Handbuch, das nicht nur Empfehlungen ausspricht, Tipps gibt und Checklisten für die tägliche Praxis bereitstellt, sondern all dies auch erläutert, empirisch begründet und in die längerfristigen Trends einordnet. Sie können es also von A bis Z durchlesen. Sie können aber auch einfach punktuell darin stöbern und es gelegentlich immer mal wieder in die Hand nehmen. Einsteiger will es darin unterstützen, sich im digitalen Journalismus möglichst flott zurechtzufinden. Profis werden hoffentlich so manches finden, was die eigene Sicht auf die tägliche Arbeit ergänzt oder erweitert, neue Perspektiven eröffnet und kreative Ideen anregt. Die vorherige Auflage wurde komplett durchgesehen, manches wurde gestrichen, vieles hinzugefügt, alles auf den neusten Stand gebracht. Wenn Sie das Buch lesen, wird Ihnen auffallen, dass ich manchmal ausschließlich ein generisches Maskulinum (»die Nutzer«), manchmal ausschließlich ein generisches Femininum (»die Nutzerinnen«) und manchmal beides verwende. Das ist beabsichtigt, um im Schriftbild ein unschönes »Nutzer*innen« zu vermeiden. Für Menschen diversen Geschlechts gibt es leider (noch) kein generisches Diversinum, sonst hätte ich es gern eingesetzt. Entsprechend bitte ich um Nachsicht und möchte versichern: Menschen jeglichen Geschlechts sind mir als Leser*innen herzlich willkommen.

      Danken möchte ich an dieser Stelle natürlich allen, die zum Werden dieses Buches beigetragen haben. Da ist natürlich meine Familie, mein Sohn Henrik und meine Frau Heike, die das Buch auch dieses Mal wieder Korrektur gelesen hat. Und da sind Anja Weimer und René Schönfeldt vom dpunkt.verlag, die wieder ebenso kompetent wie geduldig mitgewirkt haben. Tausend Dank für alles!

      Ihnen, liebe Leser*innen, wünsche ich eine hoffentlich ebenso nützliche wie vergnügliche Lektüre.

      Stefan Heijnk, Hamburg, im Januar 2021

Planen fürs Web 1

      Aufmerksamkeit auf Webseiten zu binden ist eine echte Herausforderung. Wer Menschen über digitale Kanäle für seine Inhalte begeistern möchte, sollte deshalb wissen, wie die Nutzer an den Bildschirmen ticken: Wohin schauen sie zuerst? Wann beginnen sie mit dem Scrollen? Wann steigen sie ins Lesen ein? Wie viele Sekunden investieren sie ins Überfliegen von Startseiten oder inneren Seiten? Und vor allem: Was genau ist in ihren Augen eigentlich attraktiver Content? Wer die Antworten auf diese Fragen kennt, kann seine Webseiten zielgerichtet layouten und mit Inhalten füllen. In diesem Kapitel geht es deshalb um die Psychologie der Nutzerinnen und Nutzer. Vorgestellt werden die zentralen Befunde der User-Experience-Forschung zum Blick- und Leseverhalten auf mobilen und auf Desktop-Webseiten. Und es wird gezeigt, was daraus für die Praxis folgt.

       Das Nutzer-Hirn am Haken

      Beim Texten fürs Web geht es letztlich um zwei Dinge: um die Inhalte und um die Form multimodaler Webseiten, auf denen sie unterbreitet werden. So weit, so simpel. Komplexer wird es durch den dritten Faktor, der im Spiel ist: die Menschen. Wer Content fürs Web plant und produziert und damit Menschen erreichen will, sollte deshalb zumindest im Groben wissen, wie sie mit Webseiten interagieren. Davon handelt dieses Kapitel.

      Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wie Facebook, Instagram und andere Social-Media-Plattformen es schaffen, jeden Tag Milliarden meist junger Menschen für viele, viele Stunden an kleine und große Monitore zu fesseln? Oder wie es den großen Online-Games Minecraft, Fortnite oder Grand Theft Auto gelingt, ihre Nutzer täglich so tief in den Bann zu ziehen, dass sie ihre Freizeit mehr oder weniger zwanghaft an Bildschirmen verbringen? Zufall ist das jedenfalls nicht. Dahinter steckt vielmehr eine ausgefeilte psychologische Maschinerie, ein wohldurchdachtes, fein gesponnenes Netz aus Anreizen, Aufgaben, Cliffhangern und Belohnungen.

      Der US-amerikanische Kognitionspsychologe Nir Eyal hat sich die Mechanismen dieser Maschinerie genau angesehen – und enthüllt, wie Menschen damit subtil beeinflusst und psychologisch gewissermaßen an den Haken genommen werden. Moralisch-ethisch ist das Ganze sicherlich nicht unproblematisch, schließlich geht es letztlich um Manipulationstechniken. Auf der anderen Seite wird durch seine Analyse erst transparent und damit auch diskutabel, wie Unternehmen das Verhalten von Menschen für ihren Geschäftserfolg gezielt beeinflussen. Seine Beobachtungen hat er in einem Modell beschrieben, das er sinnbildlich als »Haken-Modell« bezeichnet. Auch fürs Web-Publishing lässt sich daraus lernen.

      Eyals Haken-Modell besteht aus vier Elementen beziehungsweise Phasen: Auslöser, Aktion, variable Belohnung und Investition. Ein Auslöser ist der psychologische Ausgangspunkt für ein bestimmtes Verhalten. Das ist immer so, denn ohne Stimulus gibt es keine Reaktion. Unterschieden wird zwischen inneren und äußeren Auslösern. Produkte, die zur Gewohnheit werden sollen, müssen zunächst durch äußere Auslöser auf sich aufmerksam machen. Das kann ein Call-to-Action in einer E-Mail sein, ein geteilter Link auf Twitter, eine Push-Notification auf dem Smartphone oder eine klitzekleine Zahl an einem App-Icon, die auf wartende Mitteilungen oder neue Inhalte hinweist. Folgt ein Nutzer immer wieder dem gleichen äußeren Auslöser, dann wird das Verhalten zur Gewohnheit. Es wird also nicht mehr darüber nachgedacht, ob man etwas tut – es wird einfach gemacht. Das ist das Ziel. Damit sich das tatsächlich so einstellt, muss der äußere Auslöser regelmäßig stark genug sein und sich möglichst rasch in einen inneren Auslöser wandeln. Das wiederum gelingt dann, wenn Gefühle und Wünsche berührt sind, beispielsweise Langeweile zerstreut oder Frust aufgelöst wird oder soziale Bindungen aufgebaut werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Aufgabe von Produktdesignern ist es zu erkennen, welches Gefühl angesprochen werden soll, wie also der anzusprechende innere Auslöser aussieht: Welches Problem wird gelöst? Welcher Schmerz wird gelindert? Welches Bedürfnis wird befriedigt?

      Im Anschluss an das Wahrnehmen eines äußeren und eines inneren Auslösers findet dann ein Handeln statt, eine Aktion. Hier ist absolut entscheidend, dass das, was getan werden soll, auch wirklich mühelos getan werden kann. Es geht also um Nutzerfreundlichkeit, es geht darum sicherzustellen, dass das aktuelle Bedürfnis störungsfrei befriedigt werden kann. Hier geht es um Usability.

      Was das Haken-Modell dann von einer herkömmlichen Feedbackschleife unterscheidet, ist die dritte Komponente: die variable Belohnung. Eyal beschreibt das