Das Geheimnis der Greta K.. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718476
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was meine Mutter gesagt hat: ›Geh nie mit leeren Händen‹!« Sie öffnete die Rückseite des Autos und holte einen Karton mit Salatköpfen heraus, der leicht genug war, dass Aline ihn samt ihrer Schultasche tragen konnte. »Bitte, bring das in die Küche.«

      Es war im Grunde unnötig, dass Greta das Mädchen zu dieser Hilfe heranzog, denn schon kam Frau Breuer aus dem sogenannten Lieferanteneingang, der vom Hof aus hinunter in die Küche führte, um auszuladen, gefolgt von ihrem Mann. Aber Greta fand, dass es richtig war, das Mädchen an soziales Verhalten zu gewöhnen. So packte sie denn auch selbst mit zu, bis der Laderaum leer war.

      Frau Breuer war eine stämmige freundliche Frau, ein Jahr jünger als die dreißigjährige Greta. Sie und ihr einen Kopf kleiner, rundlicher Mann waren die Stützen des Burghaushaltes. Sie wohnten im Pförtnerhaus und erledigten alle anfallenden Arbeiten. Einige Mädchen und Frauen aus dem Dorf kamen stundenweise zur Hilfe, und zwei junge Burschen unterstützten Egon Breuer bei der Pflege des Tennisplatzes und Schwimmbades.

      Leni Breuer überfiel Greta und Aline gleich mit der Mitteilung, dass Herr König angerufen und erklärt hatte, dass er nicht zum Mittagessen kommen könnte.

      Daran war Greta gewöhnt. »Schade«, sagte sie nur, »da kann man nichts machen.«

      Aline rief, schon halb in der Küchentür: »Dann esse ich auch nicht!« »Kommt gar nicht in Frage«, widersprach Greta.

      »Aber ich habe wirklich keinen Hunger.«

      »Der wird dir schon beim Essen kommen.«

      »Aber wenn ich doch nicht möchte …«

      »Du wirst mir wenigstens Gesellschaft leisten.«

      »Es gibt Kirschknödel«, verkündete Frau Breuer vermittelnd, »die isst du doch so gerne.«

      Aline verschwand im Haus.

      »Danke, Frau Breuer«, sagte Aline.

      »Ein Jammer, dass das Kind so schwierig ist.«

      »War sie immer so?«

      »Als sie mit ihrem Vater hier allein gelebt hat, meinen Sie? Wenn Sie mich fragen, – er hat sie etwas zu sehr verwöhnt, aber auch zu viel allein gelassen.«

      Greta wusste, dass es schlechter Stil war, sich mit einer Angestellten über private Dinge zu unterhalten, aber die Sorge um Aline war stärker als ihr Gefühl für Schicklichkeit. »Und früher?« fragte sie.

      Frau Breuer wechselte einen Blick mit ihrem Mann. »Wir sind ja erst ins Haus gekommen, nachdem …« Sie stockte … »na ja, nachdem ihre Mutter gestorben war.«

      Greta war überrascht. »Das habe ich gar nicht gewusst!«

      »Es muss ein arger Verlust für das Kind gewesen sein.«

      »Da haben Sie Recht. Es gibt kaum etwas Schlimmeres, was einen jungen Menschen treffen kann.«

      »Nur gut, dass sie jetzt wieder eine Mutter hat.«

      »Ich bin nicht Alines Mutter, und ich kann es auch nie werden.« »Aber Sie sind doch so gut zu ihr.«

      »Ich tue, was ich kann, aber ich weiß nicht, ob es genug ist.«

      »Wir sind jedenfalls froh, dass Sie jetzt da sind, nicht, Egon? Manche glauben, wir hätten es früher leichter gehabt, aber das ist nicht wahr.« »Schwatz nicht so viel, Leni!« brummte der Mann.

      »Wer sagt das?« fragte Greta.

      »Die Leute aus dem Dorf. Aber die haben ja keine Ahnung. Wenn Sie wüssten, was die immer reden …«

      Ihr Mann fiel ihr ins Wort: »Mach zu, Leni! Sonst sind wir bis heute Abend noch nicht fertig.«

      Greta hätte ganz gern erfahren, was die Dorfbewohner über sie und ihre Familie dachten, doch sie ließ es dabei bewenden. Klatsch war das Letzte, was sie beeindrucken konnte. »Bitte, fahren Sie den Wagen in die Garage, Herr Breuer«, sagte sie und ging ins Haus. Immer wieder war sie von der riesigen, am Tage düsteren Halle beeindruckt. Sie war sparsam möbliert, nur mit einigen antiken Truhen und einem mächtigen Schrank aus dem 15. Jahrhundert. Der Boden bestand aus schweren grauen und rosa Steinplatten. Es gab weder Teppiche noch Sitzgelegenheiten. Die Wände waren mit sehr dunklem, durch das Alter fast schwarzem Holz verkleidet, das den dicken Balken entsprach, die die Decke durchzogen. Ein weit ausladender Kronleuchter aus Eisen, der statt der Kerzen elektrische Birnen trug, und einige Wappenschilder an den Wänden waren der einzige Schmuck. Die Halle strahlte kühle Würde aus.

      Gleich nebenan lag eine Waffenkammer, die schon der Kosmetikfabrikant als Garderobe hatte herrichten lassen.

      Greta schauderte leicht, denn es war tatsächlich im Gegensatz zu draußen kalt in dem alten Gemäuer. Immer noch kam sie sich hier etwas verloren vor wie ein Liliputaner, den man in die Welt der Riesen versetzt hat. Aber sie bekämpfte dieses Gefühl, das, wie sie dachte, nur daher rührte, dass die elterliche Wohnung bescheiden gewesen war, und sie in den vergangenen Jahren stets in kleinen Apartments gehaust hatte.

      Dennoch beschleunigte sie den Schritt und beeilte sich, die breite Treppe hinaufzusteigen, die in die etwas heimeligeren oberen Räume führte. Hier waren Zwischendecken eingezogen, auch um Heizkosten zu sparen. Vor ihrer Hochzeit hatte Greta selber das eheliche Schlafzimmer ganz nach ihrem Geschmack ausgestattet, mit einem breiten Messingbett, dazu passenden Lampen, Nachttischen aus Glas und Messing, einem dezent gemusterten Berberteppich und gelben Seidenvorhängen. Hans-Philipp hatte sie gewähren lassen, weil er verstand, dass sie den Schatten seiner verstorbenen Frau zu bannen suchte.

      Daneben lag das Badezimmer, in weiß-schwarzem Marmor gehalten und mit einer runden Wanne ausgestattet, die Platz für zwei bot. Es gab für Greta und für ihren Mann je ein Ankleidezimmer, ihres mit weißen, seines mit braunen Wandschränken, Spiegeln und Kommoden ausgestattet.

      Auf dem gleichen Stockwerk lagen noch die Räume der Kinder, die beide sehr groß, aber wie ganz gewöhnliche moderne Jugendzimmer ausgestattet waren. Greta nahm an, dass dies auf Initiative von Elvira, der ersten Frau König, geschehen war, denn in den Räumen des zweiten Stockwerks, das nie benutzt wurde, gab es noch altertümliche Betten und Schränke genug. Der siebzehnjährige Stefan, den Greta noch gar nicht kannte – er lebte in einem Internat in Oberbayern -, hatte einige hübsche Antiquitäten bei sich aufgestellt: ein Stehpult, einen mittelalterlichen Helm und zwei schöne Messingleuchter, die sich seltsam genug zwischen den mit Postern beklebten Wänden ausnahmen. Aber Aline hatte darauf verzichtet. Ihr Zimmer hatte, für Gretas Geschmack, geradezu etwas Unpersönliches, wenn da nicht das Regal mit ihren vielen, vielen Büchern gewesen wäre. Lesen und Träumen schienen ihre Lieblingsbeschäftigungen zu sein. Jeder der beiden jungen Leute hatte eine eigene Stereoanlage, und jeder ein eigenes Bad.

      Greta hatte gerade noch Zeit, sich die Hände zu waschen und ein wenig frisch zu machen, als drei mächtige Gongschläge sie zum Mittagessen riefen.

      Wenn Königs keine Gäste hatten, pflegten sie ihre Mahlzeiten in der sogenannten Anrichte zu sich zu nehmen, denn das eigentliche Speisezimmer war für zwei oder drei Personen zu gewaltig. Die Anrichte, von der aus bei festlichen Gelegenheiten serviert wurde, hatte auch noch beträchtliche Ausmaße. Sie war durch einen Türbogen mit einem Vorhang aus Goldbrokat vom Esszimmer getrennt, und ein Küchenaufzug brachte die Speisen hier herauf.

      Als Greta die Anrichte betrat, leuchtete schon das rote Licht am Aufzug, und sie holte die Schüssel mit den Kirschknödeln und der zerlassenen Butter heraus. Sie stellte beides auf den hübsch gedeckten, mit einem Blumenstrauß geschmückten Tisch.

      Aline ließ wieder einmal auf sich warten.

      Greta begann noch nicht zu essen. Sie überlegte, was sie oft tat, ob man nicht doch hier in der Anrichte oder auch in einem der oberen Räume eine kleine Küche einbauen könnte. Das hätte es ihr ermöglicht, ohne große Umstände auch einmal allein für sich und Aline oder auch für ihren Mann zu kochen. Platz wäre reichlich vorhanden gewesen. Aber wenn sie mit dieser Idee vorsichtig an ihren Mann herangetreten war, hatte er immer gleich abgewinkt.

      »Das würde unser schönes Haus verhunzen!«