Auf der Flucht - mein Leben als Hells Angel. Jørn Nielsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jørn Nielsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9788711524268
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sah eher aus wie ein korsischer Gangster als wie ein Gourmet. Er hieß Pirot und stammte aus Südfrankreich. Er hatte Proviant mitgebracht, und auf uns wartete eine leichte Mahlzeit mit Paté und Käse. Die Getränke hatten ein Prospect und ich besorgt. Der Kofferraum war mit Rotwein vollgeladen. Ein Tonbandgerät und einen alten Fernseher hatten wir auch im Gepäck. Es sollte an nichts fehlen, wenn ich schon auf dem Land hausen mußte.

      Der Ort war ideal für einen Schriftsteller. Ungestört konnte ich acht Stunden pro Tag an der Arbeit sitzen. Pirot kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten und Aufgaben. Abends machten wir es uns am Feuer oder in unserer Hütte gemütlich. Wir hatten nur zwei Zimmer und benutzten nur das hintere. Es gab ein großes Hochbett mit Leiter. Hier richtete ich einen Schlafplatz ein. Unter dem Bett standen zwei Sofas, ein Tisch und Stühle. Pirot war nicht das größte Sprachgenie, das mir bisher über den Weg gelaufen war, aber wir hatten keine Wahl. Er sprach nur Französisch, ich sprach Englisch und ein wenig Französisch. Unsere Sprachprobleme wurden durch Pirots südfranzösische Aussprache noch vergrößert. Wir machten uns an die Aufgabe, uns gegenseitig Unterricht zu erteilen.

      Obwohl wir nur eine begrenzte Zahl an Beschäftigungen hatten, verging die Zeit problemlos. Ehe wir uns versahen, tauchte der wöchentliche Proviantwagen auf. Es waren fünfhundert Meter bis zum nächstgelegenen Haus – einer Entenfarm – und fünf Kilometer bis zum nächsten Laden, deshalb waren wir auf Versorgung von außen angewiesen. Es war wunderbar, vertraute Gesichter zu sehen, und sogar Pirot, der sonst nachts wachte und tagsüber schlief, kam aus den Federn, wenn der Automotor über den schmalen Waldweg dröhnte.

      Aldo war fast jedesmal dabei. Wir umarmten einander und setzten uns in die Hüte. Ich zog die Klümpchen hervor und bastelte eine Pfeife. Wenn ich schrieb, rauchte ich nur abends, aber wenn Aldo kam, war den ganzen Tag Abend. »Laß mich mixen, hier ist Post für dich.« Aldo reichte mir einen Umschlag. Ich erkannte Helles Schrift und hielt ihn mir an die Nase. An Parfüm hatte sie wahrlich nicht gespart.

      Zu Hause war alles beim alten. Ich wurde natürlich noch immer gesucht und die Polizei schaute sich um. Sie wußten, daß ich in Frankreich war, hielten aber trotzdem im Club und anderswo Razzien ab. Ich war ein guter Vorwand für einen Durchsuchungsbefehl. Meine Eltern hatten Helle besucht und sie fragte, ob sie ihnen sagen dürfe, wo ich war. Nix! David war zu drei Tagen Gefängnis verurteilt worden, weil er den Wagen gekauft hatte, den ich im Agerlandsvej benutzt hatte. Und ansonsten sollte sie von Leuten grüßen, die nicht wußten, ob Helle wußte, wo ich war, die das aber immerhin hofften. Zum Schluß – Liebe und Sehnsucht, der beste und schlimmste Teil des Briefes. Ich las ihn dreimal und schnupperte ein letztes Mal daran.

      Aldo hielt den Joint schon bereit. Er beobachtete mich. »C’est bon, Pat?« Ich nickte. Alles war gut. Wir zogen uns den Joint rein.

      Ein Monat verging. Weihnachten rückte näher, und Helle ebenfalls. Pirot und ich wurden zwei Tage vor dem Glokkenläuten abgeholt. In strahlender Laune wurden wir nach Paris verfrachtet. Ich hatte inzwischen über siebenhundert Seiten von »Big Run« geschrieben und konnte nun endlich ein Ende des Buches absehen. Jetzt war Romantik bis zum Gehtnichtmehr angesagt. Sechzehn Tage mit meinem Schmusemäulchen, was für eine schöne Aussicht!

      Aufgrund der brisanten Lage sollten wir uns in einer geliehenen Wohnung aufhalten und durften nur ausgehen, wenn wir abgeholt wurden. Aber das hatte absolut keine Bedeutung. Wir waren uns selbst mehr als genug, und ich war fast wie elektrisiert, als ich vor der Tür stand. Helle war müde von der Reise gewesen und hatte sich auf ein Sofa fallenlassen. Sie wachte auf, als ich mich über sie beugte.

      Uns wurden die letzten Instruktionen erteilt, dann waren wir allein. Und dann ging es ins Badezimmer. Ich hatte mich jetzt vier Wochen lang mit kaltem Wasser waschen müssen, wobei der Hahn unverschämterweise mitten auf einer Wiese gestanden hatte. Mit sehnsüchtigem Seufzer glitt ich in die warme Wanne. Helle ließ sich am anderen Ende nieder. Sie hatte Kerzen mitgebracht und ich eine Flasche Wein geöffnet. Und das Periskop war ausgefahren.

      »Wie bist du hergekommen? Hat jemand dich verfolgt?« Abgesehen von Helle und mir hatte niemand es für eine gute Idee gehalten, uns Weihnachten zusammen verbringen zu lassen. Aber die Liebe hat einen weißen Stock und eine gelbe Armbinde, und ich hatte energisch darauf bestanden. Helle erzählte von ihrer Reise. Sie war mit dem Zug gefahren und hatte die Polizei erst in Paris auf dem Bahnhof bemerkt. Sie hatte aus dem Fenster geschaut, als der Zug in den Bahnhof eingefahren war. Sofort hatten drei Männer ihre Aufmerksamkeit erregt. Und richtig. Als sie aus dem Zug stieg und auf den Ausgang zuging, waren sie ihr in offener Formation gefolgt. Sie hatten sich eben noch miteinander unterhalten, aber komischerweise gaben sie jetzt vor, einander nicht zu kennen. Aus begreiflichen Gründen, aber zu Helles großem Ärger hatte sie dann eine halbe Stunde vor dem Bahnhof warten müssen. Dann war plötzlich ein kleiner Fiat aufgetaucht. Die Bremsen kreischten, ein Mann, den sie von früheren Besuchen her kannte, sprang heraus. Er nahm ihr Gepäck und öffnete für sie die Tür. Die drei Spitzel waren in wilde Panik verfallen, und ehe sie ihren Wagen überhaupt erreicht hatten, war Helle bereits über alle Berge.

      Wir machten es uns gemütlich. Am Heiligen Abend wurden wir aus der Wohnung geholt. Und zwar mit eingezogenem Kopf und durch Tiefgaragen, und ich glaube, daß uns diese Spannung sogar gefiel. Bei Aldos Familie stand ein Festmahl bereit. Alle waren da, von der jüngsten Tochter bis zur ältesten Großmutter. Es war ein seltsames Gefühl, ganz normal Weihnachten zu feiern. Aldos Mutter wuselte immer wieder um Helle herum und erzählte ihr, wie hübsch sie sei und welches Glück ich hätte. Weil ich Knoblauch so haßte, hatten sie für Helle und mich gesondert Steaks gebraten. Helle war verrückt nach Knoblauch, wollte aber nicht riskieren, in der Weihnachtsnacht allein schlafen zu müssen. »Du mußt ja heiß verliebt sein«, erklärte Aldos Mutter und zwinkerte ihr zu. »Und du«, sagte sie und richtete einen anklagenden Zeigefinger auf mich, »du bist ein Tyrann!«

      Den Silvesterabend verbrachten wir zu Hause. Es war davon die Rede gewesen, uns ins Clubhaus zu schmuggeln, wo ein großes Fest steigen sollte. Aber das wäre nicht der richtige Ort für einen von der Polizei gesuchten HA gewesen. An den Tagen nach Helles Eintreffen hatte die Polizei in Autos draußen gesessen und das Haus im Auge behalten. Damit war jetzt Schluß, aber trotz dieser scheinbar gleichgültigen Haltung der Polizei durfte man sich nicht in Sicherheit wiegen. Also kamen zwei von den Brüdern, die meinen Schlupfwinkel kannten, zu Besuch. Sie brachten Leckerbissen und Champagner mit, und wir waren am Ende reichlich flambiert. Ehe sie uns verließen, stießen wir auf mein Vierjähriges an. Ich gehörte seit vier Jahren dem besten Bikerclub der Welt an, und das war doch wirklich ein Grund zum Feiern. Zu Hause im Angels Place flogen jetzt sicher die Korken.

      Weihnachten dauerte leider nicht bis Weihnachten. Als das neue Jahr eine Woche alt war, fuhr Helle nach Hause. Am nächsten Tag kehrte ich in den Schuppen in der Pampa zurück. Was für ein jäher Wechsel! Während Helle und ich uns in der Wohnung aufgehalten hatten, war es Winter geworden. Mir war zwar der Schnee draußen aufgefallen, aber erst, als wir den Landsitz erreichten, ging mir auf, wie kalt es wirklich war.

      Pirot schlug sich die Arme um den Leib, als wir vor den Hütten vorfuhren. Wir gingen ins Haus und ich wollte schon die Leiter zu meinem »Hängeboden« hochsteigen. »Eine Nacht da oben, das überlebst du nicht!« Ich widersprach ihm nicht. Die Matratzen waren feucht, und die Wände fühlten sich an wie die Innenseite eines Kühlschranks. Ich kletterte wieder nach unten. Pirot erklärte mir, daß die Lage jetzt erträglich sei, da die Sonne noch schien. Nachts, wenn der Frost einsetzte, würden wir die Hölle erleben. Ich mußte lachen. Pirot kam mir vor wie ein Winzer, der seine gesamte Ernte eingebüßt hat. »Dann sollten wir Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.« Mit diesem Vorschlag war Pirot absolut einverstanden. Er hatte schon alle Lebensmittel und alle Töpfe aus der Küche in unseren Schuppen gebracht. Von nun an wollte er seine Kochkunst in der Schlafbaracke ausüben. Die leicht verderblichen Lebensmittel wurden im Vorderzimmer gelagert, das auch tagsüber als Tiefkühltruhe fungierte.

      Wir hatten zwei Wärmequellen. Einen tragbaren Elektroofen mit Wackelkontakt und einen großen Gasbrenner, der vor allem einer Bombe ähnelte. Wir konnten überleben, aber dann mußten wir die Wärme konzentrieren. Als erstes holten wir die Matratzen vom Hochbett und lehnten sie an die Wände. Unsere beiden Sofas wurden einen Meter auseinander gestellt, so daß die Matratzen dahinter als Rückenlehne und als Frostschutz