Walther Bensemann als Herausgeber des »Kicker«.
Vor allem in den ersten Jahren enthielten Bensemanns »Glossen« meist witzige und geistreiche Attacken gegen die Behinderung des Fußballbetriebs durch die Obrigkeit und gegen nationale Engstirnigkeiten. Oft stellte er dem auf internationalem Parkett beschränkt und polterig auftretenden Deutschen den polyglotten, souverän agierenden Engländer oder Schweizer gegenüber. Als deutschen Prototyp jener »Kulis einer Epoche, da der Untertan schweifwedelnd seine Inspiration von einer höheren Affenkaste empfing«, ließ Bensemann zuweilen eine Kunstfigur namens Kuhwedel durch seine »Glossen« stolpern und sich bei aller Tumbheit doch als »Salz der Erde« fühlen16. So sehr diese Satiren den liberalen und sozialdemokratischen Teil der »Kicker«-Leser amüsiert haben mögen, so sehr ärgerten sie den deutsch-konservativen. Deren Unmut eskalierte, als Bensemann im Februar 1921 statt eines eigenen Leitartikels das Traktat eines Dr. Max Uebelhör auf die ersten beiden Seiten seiner Zeitung rückte. Unter der Überschrift »Der deutsche Jammer« war darin eine polemische Attacke gegen den Militarismus zu lesen, und zwar »denjenigen made in Germany, den einzig existierenden also«.17 Es hagelte daraufhin empörte Leserbriefe aus, wie der »Kicker« selbst darstellte, »deutsch-nationalen Kreisen«. Ein Abonnent kündigte an, er habe die Zeitung nunmehr zum letzten Mal gelesen: »Jeder echte Deutsche wird dasselbe tun.«18 In einer anderen Zuschrift hieß es: »Sie sind beide (gemeint sind Bensemann und Uebelhör) Schurken und verdienen, am nächsten Laternenpfahl gehängt zu werden.«19 Offensichtlich schadete die Affäre dem jungen Unternehmen auch finanziell erheblich. Bensemann behauptete später, der Gastartikel habe ihn 500 Abonnenten gekostet. Jedenfalls wurde er in der nächsten Zeit vorsichtiger mit politischen Provokationen.
»In fremder Mentalität«
Deutlich blieb allerdings seine Kritik am internationalen Gebaren des DFB, insbesondere an der Person Felix Linnemanns, der im Vorstand für die internationalen Beziehungen zuständig war. Ihm warf Bensemann in mehreren Leitartikeln arrogantes und überhebliches Auftreten gegenüber ausländischen Verbänden vor. Einen Höhepunkt erreichte der Streit, als der »Kicker« 1923 die offenbar vom DFB verschleppten Verhandlungen über Länderspiele gegen Ungarn und Schweden attackierte und Linnemann vorwarf, »Mangel an Diplomatie« gezeigt und »ein Kabinettstück von Taktlosigkeit« abgeliefert zu haben. Linnemann antwortete mit einem Brief, in dem er Bensemann vorwarf, er »denke zu international«: »Sie wissen ja selbst, dass Sie nicht nur in fremden Sprachen träumen, Sie fühlen leider nach meinem Empfinden auch zu stark in fremder Mentalität.«20
Durch die nationalistisch motivierten Überheblichkeiten mancher DFB-Funktionäre sah Bensemann das Projekt einer internationalen Verständigung mithilfe von Sportbegegnungen gefährdet: »Der Hass gegen Deutschland … entspringt einer Antipathie gegen schulmeisterliche Belehrung.«21 Er selbst versuchte solche Begegnungen durch eigene Initiativen auch praktisch zu fördern, beispielsweise indem er englische Trainer nach Deutschland vermittelte, internationale Begegnungen auf Vereinsebene anbahnte und einen »Friedenspokal« ausschrieb für das erste Spiel zwischen einer Mannschaft aus Deutschland und einer aus dem mittlerweile wieder zu Frankreich gehörenden Elsass.22
Diese Bemühungen korrespondierten mit dem guten Verhältnis, das Bensemann zu zahlreichen Führungsfiguren der europäischen Fußballszene unterhielt. Unter anderem pflegte er intensivere, teils auch freundschaftliche Kontakte zu Anton Johanson (Schwedischer Verbandspräsident und Mitglied der FIFA-Exekutive), zu Moritz Fischer (Ungarischer Verbandspräsident), Henrik Fodor (Geschäftsführer des MTK Budapest), Giovanni Mauro (Italienischer Verbandspräsident), Hugo Meisl (Österreichischer Verbandskapitän und Vater des »Wunderteams«), zeitweise auch zu Frederick Wall (noch immer F.A.-Sekretär und neben Rimet wohl der einflussreichste Funktionär jener Zeit), daneben zu den international renommierten Schiedsrichtern Jan Langenus (Belgien) und William Boas (Niederlande) und schließlich zum Schweizer Funktionär Albert Mayer, der später ins IOC gewählt wurde.23 Aus Inhalt und Diktion von Bensemanns »Kicker«-Glossen wird ersichtlich, dass eine Verständigung mit diesen und anderen Größen des europäischen Fußballs für ihn höchste Priorität genoss – in der FIFA sah er nicht weniger als eine Art sportlichen Völkerbund und pries sie als »das herrlichste Geschöpf der Welt«.24
Umso heftiger geriet seine Kritik, als sich der DFB mit den »Hannoveraner Beschlüssen« 1925 international isolierte. Auf einer Verbandstagung war beschlossen worden, zur Verteidigung des deutschen Amateurideals künftig den Spielverkehr mit Profiteams aus der Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich zu verbieten – somit mit den seinerzeit spielstärksten Teams auf dem Kontinent. Dieser »ungeheuerliche«, »taktlose« und »überhebliche« Beschluss (Bensemann) war in den folgenden Jahren immer wieder Ziel seiner Attacken: »Es wird sich herausstellen, dass die übergroße Majorität der FIFA-Verbände durchaus nicht gesonnen ist, am deutschen Sportwesen zu genesen. Ich habe dies schon vor Wochen und Monaten befürchtet; als Antwort auf meine Befürchtungen kamen die Beschlüsse von Hannover, die von einer Weltfremdheit ohnegleichen zeugten und durch ihre verkehrte psychologische Einstellung unsere wenigen Freunde im Ausland gegen uns aufbrachten.«25
Zum zugrunde liegenden Streitpunkt – Ablehnung des Profitums – nahm Bensemann eine pragmatische Haltung ein. Er akzeptierte, dass die Zeit des großen englischen Amateur-Ideals, wie es in den von ihm verehrten Corinthians verkörpert war, wohl abgelaufen war, und plädierte für Lockerungen in den Amateurbestimmungen. Einen regelrechten Profibetrieb in Deutschland lehnte er jedoch ab – weniger aus ideologischen denn aus ökonomischen Gründen: Er befürchtete, dass im krisengeschüttelten Deutschland die Sportvereine ein solches Experiment nicht überleben könnten.
Auch in anderen großen Streitfragen des deutschen Fußballbetriebes argumentierte Bensemann zumeist zwar mit polemischer Feder, aber in der Sache selbst mit Pragmatismus und ohne ideologische Scheuklappen. Als Verfechter von sportlichen Einheitsorganisationen beispielsweise lehnte er separate Arbeitersportvereine ebenso ab wie konfessionelle Verbände. An den Aktivitäten der Arbeitersportler kritisierte er deren (partei-)politische Agitation und klassenkämpferischen Implikationen. Zugleich übersah