In einem vom 20. August 1947 datierten Schreiben Landauers an die alliierten Behörden, in dem er diesen mitteilt, er habe wieder die Leitung des FC Bayern übernommen, heißt es u.a.: »Getreu den Traditionen unseres Clubs werden wir auch weiterhin Ihre Bestrebungen fördern helfen.«43
Bereits eine Woche nach der Kapitulation hatte der FC Bayern gegenüber Oberbürgermeister Scharnagl geltend gemacht, dass »wir bisher als ›Juden-Club‹, der es ablehnte, sich eine nationalsozialistische Vereinsführung aufzwingen zu lassen, mit allen Mitteln gedrückt wurden«. Der FC Bayern sei bereit, dem Oberbürgermeister »bedingungslos und treu Gefolgschaft zu leisten«, da für den Klub »mit Ihrer Amtsübernahme … eine Zeit neuen Aufbaus begonnen« habe. Der FC Bayern beabsichtige die baldige Wiederaufnahme des Spielbetriebs, um »Entspannung und Unterhaltung zu bringen«. Diesbezüglich wurde die Hoffnung ausgedrückt, »dass … weder von Seiten der Besatzungsbehörden noch von Seiten der Stadtverwaltung Bedenken bestehen«.44
Am 29. Juli 1945 erfolgte auf dem Platz der Hypobank der Anpfiff zum ersten Münchener Nachkriegsderby, das mit einem Remis endete (2:2). Am 26. August 1945 kam es zu einer Neuauflage an der Grünwalder Straße. 12.000 Zuschauer sahen einen klaren 4:0-Sieg des FC Bayern. Die Einnahmen wurden den Verfolgten des Nazi-Regimes gespendet.
Wie hoch Kurt Landauers Reputation im Nachkriegs-München eingeschätzt wurde, dokumentiert ein Streit des FC Bayern mit der amerikanischen Militärverwaltung und der Stadtverwaltung. Landauer warf Direktor Lülff, Leiter des Amts für Leibesübungen vor, bei der Beschlagnahmung von Teilen der neuen Bayern-Heimat Säbener Straße durch das amerikanische Militär nicht genügend Widerstand geleistet zu haben. Lülff wurde daraufhin vom Stadtrat Lettenbauer in Schutz genommen. Der Leiter des Stadtamtes sei vom zuständigen amerikanischen Offizier dreimal hinausgeworfen worden. Es sei unter der Würde eines Deutschen, sich von einem Offizier einer Siegerarmee so behandeln zu lassen. Landauer antwortete mit »Wenn man etwas erreichen will, muss man oft gehen…« Woraufhin Lettenbauer sich genötigt sah, auf die unterschiedlichen Möglichkeiten von Behörde und Landauer zu verweisen. »Das sei durch die persönliche Verbindung von Herrn Landauer zu den Leuten möglich gewesen, die Herrn Landauer als Privatmann anders einschätzen als einen Beamten oder Angestellten einer Behörde, der bei diesen Herren ein Dreck sei.«45 Seine enorme Reputation gestattete Landauer, die Rolle eines Bittstellers, in dem sich viele Vereine aufgrund ihrer Verstrickung mit den braunen Herrschern und der Besatzungssituation befanden, zu übergehen, um sich stattdessen als Partner und sogar treibende Kraft zu präsentieren. Landauer räumte »mit diplomatischem Geschick wie auch mit energischem, gelegentlich rücksichtslosem Vorgehen seinem Verein Steine aus dem Weg. Statt um Hilfe zu bitten, bietet Landauer Hilfe an.«46
Jüdische Bürger haben in der Geschichte des FC Bayern somit in drei entscheidenden Phasen eine wichtige Rolle gespielt. Seine Gründung hatte der Klub ganz wesentlich den jüdischen Freunden Josef Pollack und Gustav Rudolf Manning zu verdanken. Bei seinem Aufstieg in die nationale Spitze und zum ersten nationalen Meistertitel war Kurt Landauer federführend. Und Landauer war es auch, der dem Klub in den Nachkriegsjahren aufgrund seiner Biografie bei den Verhandlungen mit der Stadt oder der amerikanischen Militärverwaltung einen Startvorteil gegenüber dem lokalen Konkurrenten verschaffen konnte.
Vom falschen Umgang mit der richtigen Geschichte
Obwohl die Geschichte des FC Bayern Parallelen mit der von Eintracht Frankfurt aufweist, wurde dieser Aspekt nach 1945 nur selten thematisiert. Im Gegensatz zu MTK oder Austria, wird der FC Bayern heute so gut wie nie als »Judenklub« bezeichnet. Ein »Judenklub« ist für rechtsextreme Bayern-Fans etwa Ajax Amsterdam, nicht aber der eigene Verein.47
Die NS-Zeit bewirkte diesbezüglich beim FC Bayern eine erheblich schärfere Zäsur als bei anderen, von ihrer Historie her ähnlich gelagerten Adressen. Ein weiterer Grund dürfte die bereits erwähnte, im Vergleich zu einigen anderen deutschen Großstädten geringere Prägekraft jüdischer Lebenswelten in München gewesen sein, die auch eine geringere Hinterlassenschaft bedeutete. In Wien, Budapest und Amsterdam firmierten nicht nur Klubs, sondern auch die Städte selbst als »jüdisch«.
Allerdings hat der FC Bayern auch selbst dazu beigetragen, dass die Erinnerung an seine jüdischen Pioniere und jüdischen Mitglieder in Vergessenheit geraten ist. Der Bruch mit der Geschichte, zu dem die Nazis den FC Bayern zwangen, wurde vom Klub nach dem 8. Mai 1945 nur für kurze Zeit revidiert. Die letzte offizielle Bayern-Publikation, die sich mit der Situation des FC Bayern in den Jahren 1933-35 etwas ausführlicher auseinandersetzt, ist Siegfried Herrmanns Jubiläumsbuch zum 50-jährigen Bestehen des Vereins. Dabei spielten sicherlich drei Dinge eine Rolle: Bayern-Präsident war im Jubiläumsjahr erneut Kurt Landauer. Außerdem handelte es sich beim für das Buch verantwortlichen Autor um einen langjährigen engen Mitstreiter des jüdischen Präsidenten. Zudem waren die braunen Jahre zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch in frischer Erinnerung.
In der jüngeren und jüngsten Geschichtsschreibung des Vereins wird das Mitwirken jüdischer Bürger hingegen überhaupt nicht oder lediglich am Rande erwähnt. In Kurt Schauppmeiers Buch zum 75-jährigen Bestehen des Klubs findet sich zum Machtwechsel von 1933 nur ein einziger Satz: »Die Machtübernahme der Nationalsozialisten wirkte sich auch auf den FC Bayern aus, dessen erster Vorsitzender Kurt Landauer die Leitung des Clubs abgab.«48 Warum Landauer das Amt abgeben musste, wird ebenso verschwiegen wie sein KZ-Aufenthalt und die folgende Emigration. Die offizielle Vereinschronik zum 90-jährigen Bestehen begnügt sich mit zwei Sätzen: »Unter dem nationalsozialistischen Regime geriet auch das Vereinsleben ins Stocken. Kurt Landauer musste aus ›rassenpolitischen Gründen‹ in die Schweiz emigrieren.«49 Das Wort »Jude« mochte dem Autor nicht über die Lippen gehen.
Zehn Jahre später sind es drei Sätze mehr. Die Veröffentlichung »100 Jahre FC Bayern München« liefert nun immerhin einen Hinweis darauf, dass Kurt Landauer nicht der einzige Jude im Verein war. Das Ergebnis fällt trotzdem äußerst mager aus. Auch kommen Bayerns jüdische Mitglieder ausschließlich im Zusammenhang mit den NS-Jahren vor: »Am 30. Januar 1933 übernimmt Diktator Adolf Hitler die Macht. In den folgenden Monaten wird nicht nur sportlich alles auf den Kopf gestellt. Präsident Landauer, der jüdischer Abstammung ist, tritt am 22. März 1933 zurück. (…) Die Vereinsführung versucht noch eine ganze Weile, sich den neuen Begebenheiten entgegen zu stellen, da der FC Bayern sehr viele jüdische Mitglieder hat. Dies bringt dem Verein in der Folgezeit noch viel Ärger ein.«50 Als sich die Autoren des jüngsten Jubiläums-Bandes an ihre Arbeit begaben, lagen bereits drei Veröffentlichungen auf dem Tisch, die ausführlichere Recherchen zur Geschichte der »Bayern-Juden« enthielten.
Schämt sich der Verein dieses Aspektes seiner Geschichte? Zumindest empfindet man diesen offenkundig nicht als populär. Der FC Bayern bewegt sich in einem Umfeld, in dem die Beschäftigung mit der braunen Vergangenheit nicht jedermanns Sache ist und der jüdische Präsident, dem der FC Bayern seinen Aufstieg zu einer nationalen Top-Adresse, aber auch viel internationale Reputation zu verdanken hatte, als schwer vermittelbar erscheint. Der FC Bayern als Produkt zweier jüdischer Fußballverrückter, wie Heiner Gillmeister die Genese des Klubs beschreibt, mag hier dem einen oder anderen geradezu