In seiner Kritik an den jüdischen Separatverbänden argumentierte er ebenso moderat und mit jener Einstellung, die den assimilierten Teil der deutschen Juden prägte: »Die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes ist genau wie die der ersten Christen oder die der ersten Protestanten ein Schandfleck der Geschichte. Allein sie sollte dazu führen, Humanität und Toleranz als Prinzipien gelten zu lassen. Neben den vielen hochgebildeten Israeliten, die sich in der Nation, von der sie einen Bestandteil bilden, akklimatisiert hatten und die zum Teil als Philantropen und Förderer der Künste über den Rahmen ihres Landes hinaus gewirkt haben, gibt es eine ganze Reihe von Staatsbürgern derselben Konfession, die nur durch eine intensive soziale Vermischung mit Andersgläubigen gewinnen kann. Warum also etwas Trennendes in eine Bewegung hineinschaffen, welche die Einigkeit als obersten Grundsatz pflegt?«28
Sein Hinweis allerdings, eigene jüdische Sportvereine seien nur dann gerechtfertigt, »wenn die großen Sportverbände Antisemitismus trieben und Israelis nicht aufnähmen«, greift ein wenig kurz. Ohnehin ist auffällig, dass sich Bensemann in aller Regel zu antisemitischen Tendenzen nicht explizit äußerte, jedenfalls nicht öffentlich.
»Tüchtige Teutsche« und »Mausefallenhändler«
Der Antisemitismus, der auch nach der formellen Gleichstellung der jüdischen Bürger nicht verstummt war und sich schon vor dem Ersten Weltkrieg in scharfen rassistischen Attacken geäußert hatte, fand in der Weimarer Republik erneut seinen Nährboden – vor allem dann, wenn für die politischen Nachwehen des verlorenen Krieges oder für ökonomische Krisenerscheinungen wie Inflation oder Arbeitslosigkeit Sündenböcke gesucht wurden. Als Außenminister Rathenau beispielsweise die schwierigen Reparationsverhandlungen mit den Alliierten zu führen hatte, wurde er von der politischen Rechten als »Erfüllungspolitiker« geschmäht und unter Freikorps-Angehörigen und rechtsextremen Studenten kursierte der Knittelvers: »Knallt ab den Walther Rathenau / die gottverfluchte Judensau!« Eine Aufforderung, die 1922 durch ein Attentat mörderische Realität wurde.29
Auch der Fußball blieb von antisemitischen Vorfällen nicht verschont; vereinzelt wurden solche Geschehnisse auch in Bensemanns Sportzeitung erwähnt. Der Wiener Sportjournalist Willy Meisl (ein Bruder des österreichischen Verbandskapitäns Hugo Meisl) zitiert im »Kicker« ein Beispiel aus dem österreichischen »Volksblatt«. Darin wird behauptet, der Fußball werde »von jüdischem Gelde erhalten…, um die Leidenschaften der Massen aufzupeitschen und die rohen Instinkte der Menschen zu wecken«. Meisl, der selber jüdischer Herkunft war, kommentierte: »No also, bitte! Ist er nicht an allem Schuld? – Wer? – Blöde Frag’: der Jud!«30
Entsprechenden Konflikten im deutschen Sport wich Bensemann in seinen »Glossen« eher aus. Zwar veröffentlichte er zuweilen Leserbriefe oder Presseberichte, die antisemitische Stimmungen in der Turnerschaft kritisierten, doch kommentierte er sie zurückhaltend mit den Worten: »Zu einer Diskussion (dieser Berichte) kann ich nicht schreiten, da der ›Kicker‹ sich mit der Turnerei in keiner Beziehung abgibt. Ich habe genug damit zu tun, die Politik vom Sport fernzuhalten.«31
Und als die linke Zeitschrift »Arbeitersportler« behauptete, »das bürgerliche Sportpublikum (stelle) die Kerntruppen für Naziversammlungen«, während »der ›Kicker‹ krampfhaft die Augen davor zudrückt«, antwortete Bensemann mit einem Hinweis auf die parteipolitische Neutralität der Sportbewegung: »Wir haben uns niemals die Mühe gegeben, die politischen Anschauungen unserer Zuschauer zu erforschen; selbst unseren Mitgliedern steht ihre Parteizugehörigkeit völlig frei.«32
Auch ein eklatanter antisemitischer Vorfall in Bensemanns direktem Umfeld blieb von ihm unkommentiert: Im August 1932 verließ der langjährige ungarische Trainer des 1. FC Nürnberg, Jenö Konrad, über Nacht Deutschland und übersiedelte nach Österreich. Anlass waren Attacken des in Nürnberg erschienen Hetzblattes »Der Stürmer« gegen den Trainer, über den es u.a. hieß: »Ein Jude ist ja auch als wahrer Sportsmann nicht denkbar. Er ist nicht dazu gebaut mit seiner abnormen und missratenen Gestalt.«33 Obwohl Bensemann mit Konrad gut bekannt war und ihn im »Kicker« sowohl vor wie auch nach diesem Vorfall als hervorragenden Trainer lobte, schwieg er zu dem Eklat. Möglicherweise schien es ihm gerade als Juden unpassend, Angriffe auf jüdische Bürger zu thematisieren.
Verständlicher wird diese Haltung, wenn man berücksichtigt, dass Bensemann selbst mit (unausgesprochenen) antisemitischen Klischees gegen seine Person konfrontiert war. Dies galt vor allem für seinen langjährigen Streit mit dem Westdeutschen Spielverband (WSV) bzw. dessen Zentralorgan, dem »Fußball und Leichtathletik« (»FuL«). Diese Fehde war in Schwung gekommen, nachdem der »FuL« im Frühjahr 1924 ein Traktat veröffentlicht hatte, dessen Inhalt durch die Überschrift im Grunde hinreichend wiedergegeben wird: »Die drei scharfen T des WSV«, nämlich »Teutsch, Treu, Tüchtig«. Verfasser war Josef Klein, Vorsitzender des WSV-Jugendausschusses und späterer Reichstagsabgeordneter der NSDAP.34 Klein ging es um ethische Grundsätze, die für Sport und Nation gleichermaßen eine prägende Kraft entwickeln sollten. Ziel der sportlichen wie der gesellschaftlichen Erziehung waren für Klein »in und für Deutschland brauchbare Menschen«, die die »Lebenskräfte des deutschen Volkstums« retten sollten. Seine rigorose Ablehnung galt dem »schwachsinnigen Traum von sportlicher Weltverbrüderung«.
Für das erste Spiel zweier Spitzenmannschaften der verfeindeten Nachbarn Ungarn und Tschechoslowakei setzte der »Kicker« nach dem Ersten Weltkrieg einen »Friedenspokal« aus.
Bensemann druckte den Artikel nach und ließ ihn durch – überwiegend ablehnende – Gastbeiträge kommentieren. Ein Vorgehen, das ihm seitens des »FuL« den Vorwurf einbrachte, er habe »das ganze Heer« seiner »Spottjournalisten aufgeboten, um Herrn Dr. Klein lächerlich zu machen und seine Gedanken als die Ausgeburt eines nationalistischen Gehirns zu verdummteufeln«.35 Danach verging kaum eine Ausgabe des »Kicker« oder des »FuL« ohne wechselseitige Sticheleien, und der Streit eskalierte, als im Frühjahr 1925 Guido von Mengden Redakteur des »FuL« wurde. Auch er warf Bensemann vor, er mache »sehr viel in Sportpolitik, allerdings nicht in deutscher«, und fügte dieser Kritik bald einen unüberhörbaren antisemitischen Unterton bei. Beispielsweise rechnete er den »Kicker«-Herausgeber zu jenen Menschen, »die Krämer und Geschäftemacher mit Volksseele und Volksgemüt sind«36 und schrieb von einem »Mausefallenhändler«, der »aus den Ländern um Galizien« stamme. Letzterer Vorwurf war zwar gegen Hugo Meisl gerichtet, den (jüdischen) Verbandskapitän in Österreich, zielte aber gleichzeitig auf Bensemann, der mit Meisl eng befreundet war. Vor allem diese Formulierung veranlasste den »Kicker«-Herausgeber, den Streit zwar nicht inhaltlich zu vertiefen, aber formal eine Etage höher zu hängen: Er drohte mit dem Austritt des Süddeutschen Verbandes aus dem DFB, sofern der »FuL« seine Tonlage nicht mäßigen würde.37
Auch wenn Bensemann mit dieser Drohung seine Kompetenzen vermutlich weit überschritt, so verweist der Vorgang doch