7 Engel. Karin Waldl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karin Waldl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960744313
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Gegensätze nur schwer ertragen.

      *

      Kapitel 7

      Elina blies die Staubschicht von Mamas Bibel und schlug sie auf. Sie versuchte sich zu entsinnen, wann sie das letzte Mal darin gelesen hatte. Trotz angestrengtem Nachdenken fiel es ihr nicht mehr ein, zu lange war es her.

      Der Glaube hatte bei ihren Eltern einen hohen Stellenwert gehabt, deshalb war auch das gemeinsame Lesen in der Bibel ein fester Bestandteil ihres Lebens gewesen. Aber Elina verdrängte die besonderen Geschichten über Gott und Jesus, die ihre Mutter so lebendig zu erzählen vermochte, dass Ruth und Elina glaubten, mittendrin zu sein, wie so vieles andere erfolgreich.

      Doch ein paar Gedankenblitze drängten sich nun wieder in ihren Kopf. Wie gerne wäre sie früher Teil der Geschichte gewesen, in der Jesus die Kinder segnete. Gottes Sohn war damals in ihrem Herzen, geriet aber mit dem Verschwinden ihrer Eltern in Vergessenheit, zu viel Leid bereitete Elina die Erinnerung an ihre Liebsten. Und zu dieser Vergangenheit gehörten nun mal auch die Erzählungen aus der Bibel.

      Gehorsam schlug sie nun den Psalm 91 auf, wie ihr geheißen worden war, und las langsam die Worte. Plötzlich sah sie ihre Mutter im Geiste, wie sie liebevoll diese tröstenden Worte zu ihren Töchtern sprach.

      In der Erinnerung saß sie wieder auf Mamas Schoß und hörte sie mit ihrer liebevollen Stimme sagen: „Auch ich sage zu Gott, dem Herrn: Bei dir finde ich Zuflucht, du schützt mich wie eine Burg! Mein Gott, dir vertraue ich! Er bewahrt dich vor versteckten Gefahren und vor tödlicher Krankheit. Er wird dich behüten wie eine Henne, die ihre Küken unter die Flügel nimmt. Seine Treue schützt dich wie ein starker Schild.“

      Elina fühlte sich, als ob ein Fluss aus Licht ihr Innerstes durchflutete. Sie spürte wieder die Liebe Gottes, die ihre Eltern sorgsam an sie weitergegeben hatten. Sie sah ihren Vater, der mit seinen beiden Töchtern betete und all ihre kleinen Probleme, die Kinder eben bewegten, ernst nahm. Ihr Vater hätte sie jetzt in den Arm genommen und sie ermahnt, den Worten des Psalms zu folgen. Es war ihr nun wieder klar: Gott war ihre Zuflucht, er beschützte sie und war immer treu an ihrer Seite. Wie konnte sie das nur vergessen? Die Antwort, die ihr in den Sinn kam, war fast zu leicht. Sie wusste nicht mehr, wie man mit Gott in Kontakt trat.

      Elina weinte dicke Tränen über den Verlust ihres Glaubens, den Verlust ihrer Eltern und den Verlust von Laurenz. Wie sollte sie die erzwungene Einsamkeit ertragen? Bäche ergossen sich über Elinas Wangen und so ging es ihr mehrere Tage lang.

      Die Arbeit im Friseurgeschäft wurde zur Qual, sie brauchte eigentlich Zeit zum Nachdenken, aber sie schaffte es, die Fassade aufrechtzuerhalten, wusch und schnitt Haare, föhnte, gab Tipps für das Stylen einer Frisur. Nur ihr aufgesetztes Lachen wirkte etwas eingefroren.

      Erst als ein paar Tage vergangen waren, schaffte Elina es, den Computer einzuschalten, um darauf zwei E-Mails vorzufinden. Die erste Nachricht war von Laurenz.

      Liebe Elina!

      Tut mir leid, dass ich dich nicht geweckt habe, aber ich hätte es nicht ertragen können, noch einmal in deine wunderschönen grünen Augen zu sehen. Ich weiß, es sieht so aus, als wäre ich geflohen, und ja, irgendwie stimmt das auch. Ich brauche dich, kann aber nicht bei dir sein. Es zerreißt mir das Herz. Wenn du wüsstest, welchen Schmerz es mir alleine bereitet, dir diese paar Zeilen zu schreiben. Aber ich weiß nicht, wie ich es ändern soll. Ich hoffe, die Zeit heilt unsere Wunden.

      Bitte melde dich! Ich muss wissen, wie es dir geht.

      Dein Laurenz

      Elina fing an zu schluchzen, so wie immer, wenn sie alleine war. Alles Leid weinte sie sich von der Seele, besonders die Nähe zu Laurenz vermisste sie. Die lieb gemeinten Worte in seinem Brief konnten sie nicht trösten. Ganz im Gegenteil, es ging ihr nur noch schlechter, weil sie wusste, wie sehr er litt. Sie sehnte sich in seine starken Arme zurück.

      Elina versuchte sich zu beruhigen, atmete tief durch und wischte sich über die nassen Augen. Sie las die zweite E-Mail von ihrer Schwester Ruth.

      Meine geliebte Schwester!

      Was ist los mit dir? Warum meldest du dich nicht bei mir? Normalerweise erhalte ich alle paar Tage eine Nachricht und nun ... nichts! Kein Sterbenswörtchen! Geht es dir gut? Ich mache mir Sorgen um dich. Schreib sofort zurück! Das war ein Befehl! Ich ertrage es nicht, wenn ich nichts weiß von dir. Du kennst mich ja, ich fühle mich einfach verantwortlich für dich.

      Bei mir haben sich ein paar Veränderungen ergeben. Ich wohne nicht mehr im Zentrum von Vancouver. Ich bin jetzt nach Victoria gezogen, das liegt auf Vancouver Island. Der Leiter des Regionalteils der Vancouver Times, bei der ich bekanntlich untergekommen bin, ist schwer erkrankt. Er war für die Berichterstattung aller Ereignisse auf der Insel zuständig. Nun mache ich seinen Job.

      Stell dir vor, ich habe drei Mitarbeiter! Wir decken alles ab, was Vancouver Island zu bieten hat. Es gibt sogar eine Bibelschule auf der Insel.

      Aber am aufregendsten finde ich, dass wir über jedes Geschehnis in Tofino berichten dürfen, an dessen Küste sich unzählige Meeressäuger tummeln. Du weißt doch, wie sehr ich Wale und Delfine liebe, die Bewohner hier tun das auch. Deshalb gehören Berichte über meine Lieblingstiere ab jetzt zum Tagesgeschäft. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich mich meine neue Aufgabe macht.

      Bis bald! Ich bete für dich!

      Deine Ruth, die dich sehr vermisst.

      Elina rappelte sich auf, um ihre längst überfälligen Antworten zu schreiben. Sie tippte unter einem weiteren Strom von Tränen ein paar Worte an Laurenz, dass sie ihn ebenso vermisse. Was sollte sie sonst noch schreiben? Dass sie ein Häuflein Elend war? Nein, sie wollte es ihm und ihr selbst nicht noch schwerer machen. Nach einigen kurzen Zeilen drückte sie auf Senden. Im Nachhinein fiel ihr ein, er könnte durch ihre kühlen Worte gekränkt sein. Vielleicht machte es den Eindruck, es wäre ihr alles egal. So abgebrüht wollte sie nicht rüberkommen, aber jetzt war es zu spät, sie konnte es nicht mehr rückgängig machen.

      Um ihren Ärger zu mindern, holte sie sich ein Glas Milch und setzte sich ein weiteres Mal an die Tastatur. In einem Zug trank sie alles leer, so hatte sie zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, Durst und Hunger waren vorerst gestillt.

      Die Zeilen an Ruth fielen ganz anders aus. Elina ließ ihrem Kummer freien Lauf und war danach etwas erleichtert, so sehr man in ihrer Situation erleichtert sein konnte. Ihre Schwester würde sie verstehen oder es zumindest versuchen. In weiser Voraussicht ließ sie den Rechner eingeschaltet. Sollte Ruth am Schirm sitzen, würde eine Antwort schnell folgen. Und sie sollte recht behalten. Kaum eine Stunde später hatte sie eine weitere E-Mail von Ruth. Die Sätze über deren Leben in Vancouver waren wie Balsam auf Elinas Seele. Es tat gut, kurz von Laurenz Winter abgelenkt zu sein, wenn auch nur für ein paar Minuten.

      Elina!

      Du hattest eine Affäre! Spinnst du? Kann man dich nicht alleine lassen? Was würden unsere Eltern dazu sagen? Denk doch mal nach, was das Ganze für Folgen haben kann. Bist du so einsam? Okay, Entschuldigung, ich sollte dir beistehen und dich nicht verurteilen. Ich benehme mich wieder einmal wie deine Ersatzmutter, was ich eigentlich ablegen wollte, schließlich bist du schon erwachsen. Aber es ist so tief in mir drin, dir immer noch den Weg weisen zu wollen.

      Du hast geschrieben, dass Laurenz wieder in Los Angeles ist. Du arme Maus, ich hoffe, es macht dich nicht allzu fertig. Sag, wie geht es dir damit? Du bist sicher todunglücklich. Ich weiß, dass du das nicht hören möchtest, aber Gott lässt dich in deiner Trauer nicht alleine, er wird dich tragen, wenn du ihn lässt. Bete zu Jesus, Elina. Wenn ich etwas für dich tun kann in der Ferne, dann lass es mich wissen. Ich würde dir gerne ins Gesicht sehen, um dir das zu sagen, aber leider ist das gerade nicht möglich.

      Meine Arbeit hat sich als sehr intensiv, aber durchaus aufregend erwiesen. Ich bin ständig unterwegs, um über die Geschehnisse in Vancouver Island zu recherchieren und sie in Zeitungsberichten wiederzugeben. Meine Mitarbeiter sind sehr begabt und flexibel, was die Zusammenarbeit