Der letzte Admiral 3: Dreigestirn. Dirk van den Boom. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dirk van den Boom
Издательство: Bookwire
Серия: Der letzte Admiral
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966583121
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      Cenns Stimme, leise, wie knisterndes Papier, brach zum Ende hin, überwältigt von einer Rührung, die den zerbrechlichen Leib wie eine Welle zu durchfluten schien.

      Sia reichte Cenn die Hand, diese ergriff sie und sofort übernahm Sia es, die alte Frau zu stützen.

      »Wir setzen uns«, sagte Cenn, die Stimme etwas gefasster.

      Sie taten es, eine langwierige Prozedur unter dem Singen des Elektromotors und unter Beanspruchung von Gelenken, für die bereits alles zu viel war. Cenns Gesicht blieb beinahe ausdruckslos, nur kurz zuckten die Mundwinkel, blinzelten die blassen Augen. Ryk kannte diese Anzeichen, er kannte sie gut aus Sias perfektem Antlitz, wenn der momentane Schmerz der Implantate, des Metalls in der Haut überwältigend schien. Es war jetzt viel besser, seit der Perlenwelt und dem Autodoc der Korvette, weniger Zucken und kein leises, nur nachlässig unterdrücktes Stöhnen mehr. Ein Segen für Sia und einer, den Ryk in diesem Moment von Herzen der alten Frau wünschte.

      »Es tut mir so leid«, sagte Cenn. Sie hatte mit beiden Händen Sias Rechte ergriffen und drückte diese fest.

      »Was tut Ihnen leid?«, fragte Sia etwas verwirrt.

      Cenn teilte diese Verwirrung nun, das war ihr anzusehen. Sie war tatsächlich davon ausgegangen, dass Sia ihre Bemerkung ohne weitere Erklärungen verstand. »Was? Mein Kind. Das, was sie dir angetan haben. Das Leid, die Qualen, die Entbehrungen. Die vielen falschen Versprechungen. Dein Leben muss eine Folter sein, jede Bewegung voller Schmerz. Die ganzen Prozeduren eine Abfolge permanenter Entwürdigung. Nicht mehr die Herrin über den eigenen Körper, sondern Werkzeug jener, die dich missbrauchen. Ich weiß genau, wie du dich fühlen musst, mein Kind. Mein ganzes Leben lang habe ich nichts anderes erlebt.« Sie senkte die Stimme zu einem kaum noch vernehmbaren Wispern. »So bin ich aus Kryv geflohen und das war alles, was ich an Widerstand leisten konnte. Ich entzog mich ihrer Macht und jetzt sitzen sie da, denn ihre einzige Blaupause ist davongelaufen und sie können keine wie mich mehr quälen.« Sie sah Sia intensiv an. »Gib ihnen niemals diese Macht zurück, mein Engelchen. Das musst du mir versprechen.«

      Sia wusste nicht, was sie da wem genau versprechen sollte. Mit jedem Wort aus dem Mund der alten Dame war ihre offensichtliche Verwirrung nur noch größer geworden. Sie sah Ryk hilfesuchend an, doch dem fiel nicht mehr ein, als ratlos mit den Schultern zu zucken.

      »Mir … geht es gut«, sagte Sia dann und drückte wie zur Bestätigung die Hände der Alten. Ryk erwartete mit jeder Bewegung, dass diese darunter zerbrechen würde, dann aber erinnerte er sich, wen er da vor sich hatte. Niemand zerbrach eine Hybride so leicht, auch nicht eine so alte.

      »Gut?«, hauchte Cenn voller Unglauben. »Was kann an deinem Zustand gut sein, mein Kind?«

      »Ich fühle mich wohl«, versuchte Sia, sich begreifbar zu machen. »Ich habe keine Schmerzen, zumindest derzeit nicht. Meine Implantate funktionieren. Und mich hat niemand mit falschen Versprechungen zu etwas gezwungen. Ich weiß nicht, was in jenem Ort namens Kryv passiert, ich komme nicht von hier. Vielleicht geschehen dort schlimme Dinge, und wenn das so ist und wenn es Hybride wie uns betrifft, dann will ich es gerne erfahren. Aber dort, woher ich komme, ist es nicht so. Dort wird niemand gezwungen, so zu werden. Viele wünschen es sich freiwillig. Es ist erstrebenswert. Und wenn es das für jemanden nicht ist, muss er es auch nicht werden. Ich hoffe, Sie verstehen mich.«

      Cenn hatte die Augen weit aufgerissen. Sie schien diese Worte aufzusaugen wie ein trockener Schwamm das Wasser, ihre Lippen zitterten. Das hörte sich für sie offenbar wie ein Märchen an und sie schüttelte andauernd den Kopf, bis Sia geendet hatte. »Du wurdest nicht aus der Krippe ausgewählt und dann bereitet, gesalbt und geschnitten, um durch die Prozedur den Plänen der Älteren zu dienen?«

      »Kein Hybride wird bereits als Kleinkind operiert. Das Mindestalter ist sechzehn, manche sind älter, wenn sie den ersten Eingriff haben. Natürlich dienen wir Hybriden der Gemeinschaft, in die wir hineingeboren wurden, und wir teilen im Regelfall ihre Ziele. Aber es gibt Dissens unter uns, Streit um die richtige Richtung, Mangel an Einigkeit, und hin und wieder auch jene, die die Gemeinschaft deswegen verlassen.«

      Für eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde Sia selbst in diese Kategorie gehören. Ryk erinnerte sich schmerzhaft daran. Was wäre wohl aus ihr geworden, wenn diese Trennung ernsthafter Natur und nicht nur vorgetäuscht gewesen wäre?

      »Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie nennt ihr euch? Hybride?«

      »Das ist unsere Bezeichnung.«

      »Wir werden die Erwählten oder Gesalbten genannt.«

      »Mit diesem Begriff kann ich nichts anfangen. Seid ihr auf dieser Welt eine Art Religion?«

      Cenn lachte, ein Geräusch wie knisterndes Feuer. »So kann man es wohl sagen. Es ist ein Irrglaube, das stimmt gewiss. Einer, von dem ich mich gelöst habe, als eine der letzten lebenden Gesalbten auf dieser Welt. Jetzt dürfte es keine mehr geben. Sie hätten mich gebraucht, um neue zu erschaffen.«

      »Wie bitte?«

      Sias Stimme enthielt nicht nur Unglauben, sondern auch den Unterton einer bösen Vorahnung.

      Cenn zuckte mit den Schultern. Sie sprach monoton, distanziert, wohl die einzige Möglichkeit für sie, den Schrecken ihrer Erinnerung zu konfrontieren. »Wenn wir alt sind, werden wir aufgeschnitten und eine Jüngere oder ein Jüngerer erhält die Gaben, kopiert und platziert nach dem Vorbild des sterbenden und blutenden Vorgängers.«

      Sia wurde blass. »Was? Verstehe ich das richtig?« Sie war ganz heiser.

      »Sie nennen es das ewige Leben. Leider gilt das nur für die Gaben. Nicht für die Gesalbten.«

      »Gaben?«

      Cenn streckte einen Arm aus und berührte eines der sich unter Sias Haut abzeichnenden Implantate. »Die Gaben.«

      »Verdammt«, flüsterte Sia. Sie schaute an Cenn vorbei ins Leere, bemüht, die Grausamkeit dessen zu erfassen, was die alte Frau ihr gerade mitgeteilt hatte.

      Ryk fühlte sich ebenfalls nicht gut. Je weiter er sich von der Erde entfernte, desto mehr begegnete er den Abgründen menschlicher Existenz, die keine Stufe der Barbarei auszulassen schienen. Nicht zum ersten Mal hatte er den Eindruck, dass er besser gar nicht erst auf die Reise gegangen wäre.

      »Wo fanden diese Rituale statt? In Kryv?«, fragte Sia dann.

      »Ja. Ich floh. Ein Segen für alle, die nach mir kamen.«

      »Aber warum? Wozu? Was ist das für ein Ort?«

      Cenn seufzte. »Ich erzähle dir alles. Aber jetzt würde ich gerne wissen, wo es solche unserer Art gibt, die diese Last würdevoller tragen als ich – und die den Gesalbten tatsächlich eine Wahl geben.«

      »Von der Erde kommen wir.«

      »Terra.« Cenn nickte. »Das ist für uns eher eine Legende, aber ich bin in den Dingen der Vergangenheit gebildet genug, um die Wahrheit dahinter zu erkennen. Dalia?«

      »Die Geschichte unserer Besucher ist insofern richtig, als dass wir ein Fragment des Dreigestirns entdeckt haben, dem sie entkommen sind.«

      »Eine Rettungskapsel«, erklärte Sia. »Wir sind vom Dreigestirn geflohen.«

      »Man weiß gar nicht mehr, wer eigentlich der Feind ist, nicht wahr?«, fragte Cenn und sprach damit exakt die Gedanken aus, die Ryk schon lange umtrieben.

      Sia begann, ihre Geschichte zu erzählen und Ryk fühlte sich zurückversetzt zu ihrem Empfang auf der Perlenwelt, den großen Hoffnungen und den darauffolgenden großen Enttäuschungen. Diesmal zumindest waren die Hoffnungen moderat und er würde sie auch so halten.

      Während Sia erzählte, vergrößerte sich die Schar der Zuhörer langsam. Die Menschen in dieser Siedlung schienen alle eine ähnlich geschneiderte Montur zu tragen, mit Variationen, die sich eher in den Farben ergaben, weniger in den Funktionen. Es war eine praktische Kleidung, sie enthüllte aber noch nichts darüber, wie die Menschen hier lebten und vor allem überlebten. Ryk ahnte, dass sie das früher oder später erfahren würden,