Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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einem Bankier in Ordnung zu bringen; aber wenn ein anständiger Mann kommt, der deinen Gatten besuchen oder irgend ein Geschäft mit ihm abmachen will, wirst du dich weigern, seinen Gast in seiner Abwesenheit zu empfangen, und die Honneurs des Hauses gegen ihn zu machen, um nicht unter vier Augen mit ihm allem bleiben zu müssen? Gehe auf das Princip zurück, und alle Regeln werden sich daraus von selbst ergeben. Warum denken wir, daß die Frauen zurückgezogen und von den Männern abgesondert leben müssen? Werden wir unserem Geschlechte die Beleidigung anthun, zu glauben, daß dies aus Gründen geschehe, die von seiner Schwachheit hergenommen sind, und lediglich um der Gefahr der Versuchung zu entgehen? Nein, meine Liebe, diese unwürdige Furcht geziemt einer braven Frau, einer Familienmutter nicht, die von Gegenständen, welche eine ehrenhafte Gesinnung in ihr nähren, unablässig umgeben ist, und die den achtungswürdigsten Pflichten der Natur ihr Leben widmet. Was uns von den Männern trennt, ist die Natur selbst, die uns andere Beschäftigungen vorzeichnet, ist jene sanfte, schüchterne Bescheidenheit, die, ohne gerade an die Keuschheit denken, ihre sicherste Schutzwehr ist, jene aus sich selbst achtende, pikante Zurückhaltung, die, indem sie in den Herzen der Männer zugleich Begierde und ehrfurchtsvolle Scheu weckt, so zu sagen, die Koketterie der Tugend ausmacht. Deshalb nun sind Gatten selbst nicht von der Regel ausgenommen, deshalb bewahren sich die sittsamsten Frauen gerade den meisten Einfluß auf ihre Männer, weil sie mit Hülfe dieser klugen, wohlbedachten Zurückhaltung, in der nichts von Eigensinn und Widerspänstigkeit liegt, auch im Schoße der zärtlichsten Vereinigung sie immer noch in einer gewissen Entfernung halten, und sie verhindern, je ihrer überdrüssig zu werden. Du wirst mir zugeben, daß deine Vorschrift zu allgemein ist, um nicht Ausnahmen zuzulassen, und daß, da sie sich nicht auf eine strenge Pflicht gründet, derselbe Wohlstand, welcher sie gebietet, manchmal auch von ihr entbinden kann. Die Vorsicht, welche du auf deine begangenen Fehltritte gründest, ist beleidigend für deinen gegenwärtigen Zustand; ich würde sie deinem Herzen nie verzeihen, und es wird mir schwer, sie deiner Vernunft zu verzeihen. Wie hat dich der Wall, welcher deine Person vertheidigt, nicht vor einer beschimpfenden Furcht schützen können? Wie kann meine Cousine, meine Schwester, meine Freundin, meine Julie die Schwachheit eines zu empfindsamen Mädchens mit der Untreue einer strafbaren Frau vermengen? Betrachte Alles, was dich umgiebt, du wirst Nichts finden, was nicht deine Seele erheben und tragen müßte. Dein Mann, der so hoch von dir denkt, und dessen Achtung du zu rechtfertigen hast, deine Kinder, die du zum Guten bilden willst, und die es sich einst zur Ehre schätzen werden, dich zur Mutter gehabt zu haben, dein ehrwürdiger Vater, der dir so theuer ist, der sich deines Glückes freut, und auf seine Tochter noch stolzer ist, als selbst auf seine Ahnen, deine Freundin, deren Loos von dem deinigen abhängt, der du über die Frucht einer Umkehr, zu welcher sie beigetragen, Rechenschaft schuldig bist, ihre Tochter, der du mit deinem Beispiel in den Tugenden vorleuchten mußt, welche du in ihre Seele pflanzen willst, dein Freund, der die deinigen tausendmal mehr anbetet, als deine Person, und noch mehr Achtung vor dir hat, als du Furcht vor ihm, du selbst endlich, die du in deiner Sittsamkeit den Lohn der Anstrengungen findest, welche sie dir gekostet hat, und die du die Frucht so vieler Mühe nicht wirst in einem Augenblicke verlieren wollen: wie viele Beweggründe, so geeignet deinen Muth anzufeuern, beschämen dich, daß du dir mißtrauen magst! Aber, was brauche ich, um für meine Julie einzustehen, an das zu denken, was sie ist? Es genügt mir zu wissen, was sie während der Verirrungen war, welche sie bejammert. Wenn je dein Herz der Untreue fähig gewesen wäre, so würde ich dir erlauben, sie stets zu fürchten; aber selbst in dem Augenblicke, da du meintest, sie von Weitem ins Auge fassen zu können, stelle dir den Abscheu, den dir ihre wirkliche Gegenwart erweckt haben würde, nach jenem vor, den sie dir verursachte, sobald an sie denken nicht viel anders gewesen wäre, als sie begehen.

      Ich erinnere mich unseres Erstaunens, als wir einmal hörten, daß es Länder gebe, wo die Schwachheit einer jungen Liebenden ein unverzeihliches Verbrechen ist, während der Ehebruch einer jungen Frau mit dem Namen Galanterie beschönigt wird, und wo man sich nach der Verheiratung unverholen für den Zwang entschädigt, in welchem man als Mädchen lebte. Ich weiß, welche Ansichten hierüber in der großen Welt herrschen,wo die Tugend Nichts, und Alles nur eitler Schein ist, wo das Verbrechen verschwindet, wenn es schwer zu beweisen, und der Beweis selbst gegen den Brauch, der es autorisirt, lächerlich ist; aber du, Julie, die du von reiner und treuer Liebe entbrannt, nur in den Augen der Menschen strafbar warst, und dir nichts vorzuwerfen hattest zwischen dem Himmel und dir, die du, trotz deiner Fehltritte uns Achtung auferlegtest, die du, das Verlorene ohnmächtig beklagend, uns doch noch zwangest, die Tugenden, die du nicht mehr hattest, anzubeten, die du unwillig warst, deine eigene Selbstverachtung zu ertragen, als Alles sich vereinigte, das, was du gethan, verzeihlich zu machen, getraust du dir noch, das Verbrechen zu fürchten, nachdem du deine Schwachheit so theuer bezahlt hast? zu fürchten, daß du jetzt weniger vermögen werdest, als in den Zeiten, die dir so viel Thränen gekostet? Nein, meine Liebe; weit entfernt, dich beunruhigen zu dürfen, müssen deine alten Verirrungen deinen Muth befeuern; eine so verzehrenee Reue ist nicht der Weg zu Gewissensbissen, und wer so viel Scham besitzt, kann nicht der Schande trotzen. Wenn je eine schwache Seele Stützen gegen ihre Schwäche hatte, so sind es solche, welche sich dir darbieten; wenn je eine starke Seele sich selbst aufrecht halten konnte, ist dann die deinige eine, die der Stützen bedarf? Sage mir doch, was für einen vernünftigen Grund du hast, dich zu fürchten! Dein ganzes Leben ist nur ein immerwährender Kampf gewesen, in welchem, selbst nach deiner Niederlage, Ehre und Pflicht nie aufhörten, Widerstand zu leisten und zuletzt den Sieg davontrugen. Ach, Julie, soll ich glauben, daß nach so vielen Qualen und Leiden, zwölf Jahre der Thränen und sechs Jahre des Ruhmes noch die Möglichkeit für dich bestehen lassen, eine Prüfung von acht Tagen zu fürchten? In kurzen Worten, sei aufrichtig gegen dich selbst; wenn Gefahr ist, so rette deine Person und erröthe über dein Herz; wenn aber nicht, so heißt es deiner Vernunft Schimpf anthun und deine Tugend schänden, wenn du dich vor Gefahren fürchtest, die sie nicht bedrohen können. Weißt du nicht, daß es entehrende Versuchungen giebt, die einer gesitteten Seele niemals nahen können, die selbst zu besiegen schimpflich ist, und gegen welche Vorsicht zu gebrauchen, weniger sich demüthigen als sich erniedrigen heißt?

      Ich mache nicht den Anspruch, meine Gründe für unwiderleglich auszugeben, sondern nur dir zu zeigen, daß welche vorhanden sind, die gegen die deinigen streiten, und dies reicht hin, um meiner Meinung eine Berechtigung zu geben. Verlasse dich nicht auf dich, die du es nicht verstehst, dir selbst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, noch auf mich, die ich in deinen Fehlern immer nur dein Herz angesehen, und die ich dich immer angebetet habe, sondern auf deinen Mann, der dich so sieht, wie du bist, und dich genau nach deinem Verdienste beurtheilt. Wie alle Gefühlsmenschen bereit, Denen nicht viel zuzutrauen, die es nicht sind, glaubte ich nicht, daß sein Scharfblick in die Geheimnisse zärtlicher Herzen einzudringen vermöchte, aber seit der Ankunft unseres Reisenden sehe ich aus dem, was er mir schreibt, daß er sehr gut in den eurigen liest, und daß nicht eine der Regungen, die in ihnen vorgehen, seiner Beobachtung entrinnt; ich finde seine Beobachtungen selbst so fein und richtig, daß ich mit meiner Ansicht fast zu dem andern Extrem übergesprungen bin, und nun glauben möchte, daß kalte Menschen, die mehr ihre Augen, als ihr Herz befragen, die Leidenschaften Anderer besser zu beurtheilen im Stande sind, als lebhafte und ungestüme oder eitle Personen, wie ich, die stets damit anfangen, sich an die Stelle Anderer zu denken, und die Sache nie anders sehen, als wie sie selbst sie fühlen. Wie dem sei, Herr v. Wolmar kennt dich wohl; er schätzt dich, er liebt dich, und sein Schicksal ist an das deinige geknüpft: was fehlt ihm also dazu, daß du ihm die gänzliche Leitung deiner Aufführung überlassest, über die du dich selbst zu täuschen fürchtest? Vielleicht will er, im Vorgefühl des herannahenden Alters, durch Proben, die geeignet sind, ihn sicher zu machen, der eifersüchtigen Unruhe vorbeugen, in welche eine junge Frau einen alten Gatten zu versetzen pflegt; vielleicht erfordert der Plan, mit dem er umgeht, daß du mit deinem Freunde traulich leben könnest, ohne deinem Gemahl Besorgnisse einzuflößen, oder selbst welche zu hegen: vielleicht will er dir nur einen Beweis von dem Vertrauen und der Achtung geben, die er in so hohem Grade für dich fühlt. Man muß sich nie dagegen sträuben, auf solche Gesinnungen einzugehen, gleich als bürde man sich dadurch eine zu schwere Last auf; ich, mit einem Worte, denke, daß du der Klugheit und der Sittsamkeit zugleich nicht besser Genüge thun kannst, als indem du dich in allen Stücken seiner Zärtlichkeit und seiner Einsicht anvertraust.

      Willst du dich, ohne Herrn v. Wolmar weh zu thun, für einen Stolz bestrafen,