Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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Herr, sagte ich zu ihm, jene Reichen, die so schöne Gärten anlegen, haben ihre sehr guten Gründe, nicht gern allein spazieren zu gehen und sich nur auf sich angewiesen zu finden; sie thun also sehr wohl daran, daß sie gleich von vornherein an Andere denken. Uebrigens habe ich in China Gärten solcher Art gesehen, wie Sie sie fordern, und so kunstreich angelegt, daß man die Kunst nicht merkte, aber auf so kostspielige Weise, und so theuer zu unterhalten, daß mir dieser Gedanke alles Vergnügen raubte, welches ich darin hätte genießen können. Es gab dort auf ebenen sandigen Gründen, wo man nur Brunnenwasser hatte, Felsen, Grotten und künstliche Wasserfälle; es fanden sich Blumen und seltene Pflanzen aus allen Himmelsstrichen Chinas und der Tartarei auf demselben Boden beisammen. Man sah daselbst in der That weder schöne Alleen, noch regelmäßig abgetheilte Beete; man sah aber Wunder verschwenderisch zusammengehäuft, die man sonst nur zerstreut und vereinzelt antrifft. Die Natur stellte sich in tausend verschiedenen Formen dar, und das Ganze war doch nicht natürlich. Hier hat man weder Erdarten noch Gestein hergeschafft, hat weder Pumpen, noch Wasserbehälter angebracht, hat keine Treibhäuser, keine Oefen, keine Glasglocken, keine Strohmatten nöthig. Ein fast ganz ebenes Terrain ist höchst einfach ausgeziert worden; gemeine Pflanzen, gemeine Bäume, ein Paar Wasserstreifen, die zwanglos und ohne Maschinerie hinfließen, waren zu seiner Verschönerung genug. Es ist ein Spiel ohne Anstrengung, bei welchem die Leichtigkeit dem Beschauer wieder ein besonderes Vergnügen gewährt. Ich fühle, daß dieser Aufenthalt weit angenehmer sein, und mir dabei unendlich weniger gefallen könnte. So ist z. B. der berühmte Park des Lord Cobham zu Staw. Er besteht aus einem Gemisch von sehr schönen und malerischen Ansichten, die verschiedenen Ländern entlehnt sind, und bei denen Alles natürlich erscheint, außer ihre Zusammenstellung, ganz wie in den chinesischen Gärten, von denen ich gesprochen habe. Der Herr und Schöpfer dieser prachtvollen Einsamkeit hat darin sogar Ruinen, Tempel, antike Gebäude anbringen lassen, so daß sich alle Zeiten ebenso wie die verschiedensten Orte mit einem mehr als menschlichen Prachtaufwand vereinigt finden. Das ist aber gerade, was ich schelten muß. Dem, was den Menschen ergötzen soll, wünsche ich ein leichtes Ansehen, welches uns nicht zwingt, an des Menschen Schwäche zu denken, und mitten in der Bewunderung dieser Herrlichkeiten die Einbildungskraft mit den Summen und Anstrengungen ermüdet, welche sie gekostet haben. Legt uns das Schicksal nicht Mühseligkeiten genug auf: müssen wir sie uns auch noch in unseren Spielen schaffen?

      Ich habe Ihrem Elysium nur einen einzigen Vorwurf zu machen, setzte ich, zu Julien gewendet, hinzu, er wird Ihnen aber nicht schwer scheinen, nämlich, daß es auch als Erholungsort etwas Uebersfüssiges ist. Was brauchten Sie sich einen neuen Spaziergang zu schaffen, da sie auf der andern Seite des Hauses so reizende, wilde Boskets haben? — Es ist wahr, sagte sie ein wenig verlegen, aber dieses hier ist mir lieber. — Wenn Sie Ihre Frage bedacht hätten, ehe Sie sie thaten, fiel Herr von Wolmar ein, so würde sie mehr als indiscret sein. Nie, seit ihrer Verheiratung, hat meine Frau den Fuß in die Boskets gesetzt, von denen Sie reden. Ich weiß den Grund, obgleich sie ihn mir immer verschwiegen hat. Ihnen ist er nicht fremd, lernen Sie diese Stätte mit Ehrfurcht betrachten, sie ist von der Hand der Tugend angepflanzt.

      Kaum hatte ich diesen gerechten Verweis erhalten, als die kleine Familie, von Fanchon geführt, hereintrat, während wir hinausgingen. Die drei liebenswürdigen Kinder sprangen Herrn und Frau von Wolmar an den Hals. Auch ich erhielt von ihren Liebkosungen meinen Theil; wir gingen, Julie und ich, mit ihnen einige Schritte wieder in das Elysium hinein, kehrten dann um und gesellten uns zu Herrn von Wolmar, der mit Arbeitsleuten sprach. Unterwegs sagte sie mir, daß ihr, seit sie Mutter geworden, über diesen Spaziergang ein Gedanke gekommen sei, der ihren Eifer, ihn zu verschönern, vergrößert habe.

      Ich dachte, sagte sie, an das Vergnügen und die Gesundheit meiner Kinder, wenn sie älter sein werden. Die Unterhaltung dieses Ortes erfordert mehr Sorgsamkeit als Arbeit; es kommt mehr darauf an, dem Wuchse der Pflanzen einen gewissen Umriß zu geben, als zu graben und zu hacken; nun will ich sie späterhin zu meinen kleinen Gärtnern machen; sie werden dabei so viel Uebung haben, als zur Kräftigung ihrer Glieder heilsam ist, und doch nicht so viel, daß es sie übermüden könnte; was ihre Kräfte übersteigt, sollen sie Andern überlassen und sich auf Arbeiten beschränken, die ihnen Vergnügen machen. Ich kann Ihnen nicht sagen, setzte sie hinzu, wie süß es mir ist, wenn ich in Gedanken schon meine Kinder damit beschäftigt sehe, mir die kleine Mühe, die ich mir für sie so gern gebe, wieder zu vergelten, und wenn ich mir die Freude ihrer liebevollen Herzen vorstelle, ihre Mutter in Laubgängen, die von ihren kleinen Händen gepflegt sind, entzückt umherwandeln zu sehen. Wahrlich, mein Freund, sagte sie mit bewegter Stimme, Tage, die man so verlebt, haben etwas von der Seligkeit des anderen Lebens, und nicht ohne Grund habe ich, indem ich mir dies so dachte, diesem Orte im Voraus den Namen Elysium gegeben. Milord, diese unvergleichliche Frau und Mutter; wie sie Gattin, wie sie Freundin, wie sie Tochter ist; ach, zu ewigen Martern meines Herzens, nicht anders als sie Geliebte war!

      Entzückt von dem reizenden Aufenthalte, hat ich sie am Abend, sie möchten doch erlauben, daß mir, solange ich bei ihnen wäre, Fanchon ihren Schlüssel und die Sorge für die Fütterung der Vögel anvertraue. Sogleich schickte Julie den Futtersack in mein Zimmer, und gab mir ihren eigenen Schlüssel. Ich weiß nicht, warum ich ihn mit einer Art Leid empfing, ich glaube, ich hätte den des Herrn von Wolmar lieber gehabt.

      Heute Morgen bin ich früh aufgestanden, und mit der Ungeduld eines Kindes hingelaufen, um mich in meine wüste Insel einzuschließen. Was für angenehme Gedanken hoffte ich mit an diesen einsamen Ort zu nehmen, wo der süße Anblick der Natur aus meiner Seele jede Erinnerung an die falsche sociale Ordnung verbannen sollte, die mich so unglücklich gemacht! Alles, was mich da umgeben wird, ist das Werk Deren, die mir so theuer war. Ueberall um mich her werde ich sie erblicken, ich werde nichts sehen, was nicht ihre Hand berührt hätte; ich werde Blumen küssen, über die ihr Fuß gewandelt; ich werde mit dem Morgenthau eine Luft athmen, die sie geathmet hat. Der Geschmack, mit dem sie ihre Kurzweil getrieben, wird mir alle ihre Reize vergegenwärtigen, und ich werde sie überall finden, wie ich sie im Grunde meines Herzens trage.

      Als ich in dieser Stimmung das Elysium betrat, fiel mir plötzlich das letzte Wort ein, das mir Herr von Wolmar gestern fast an der nämlichen Stelle gesagt hatte. Der Gedanke an dieses eine Wort wandelte augenblicklich den ganzen Zustand meiner Seele um. Ich glaubte das Bild der Tugend da zu sehen, wo ich das des Vergnügens suchte; dieses Bild verschmolz sich in meinem Geiste mit Frau von Wolmar's Zügen, und zum ersten Male seit meiner Rückkunft habe ich Julie auch in ihrer Abwesenheit nicht so im Geiste erblickt, wie sie mein war, und wie ich sie mir noch immer vorzustellen liebe, sondern sowie sie sich täglich meinen Augen darstellt. Milord, ich glaubte diese so reizende, so keusche und so tugendhafte Frau in der Mitte des Kreises zu sehen, der sie gestern hier umgab. Ich sah ihre drei liebenswürdigen Kinder, die ehrenvollen, kostbaren Pfänder der ehelichen Vereinigung und der zärtlichen Freundschaft, ihr tausend rührende Liebkosungen darbringen und von ihr empfangen. Ich sah an ihrer Seite den ernsten Wolmar, diesen so geliebten, so glücklichen Gatten, und der sein Glück so sehr verdient. Ich glaubte sein scharfes kluges Auge bis auf den Grund meines Herzens dringen, und mich abermals schamroth machen zu sehen; ich glaubte, aus seinem Munde nur zu verdiente Vorwürfse und zu wenig beachtete Lehren hervorgehen zu hören. Ich sah in seinem Gefolge jene Fanchon Regard, das lebendige Gedächtniß eines Sieges der Tugend und der Menschlichkeit über die glühendste Liebe. Ach, welches strafbare Gefühl hätte sich durch dieses undurchdringliche Geleite hindurch bis zu ihr Bahn brechen können? Mit welchem Unwillen würde ich die schändlichen Regungen einer verbrecherischen und nicht genug vertilgten Leidenschaft erstickt haben! Wie würde ich mich verachtet haben, hätte ich mit einem einzigen Seufzer ein so entzückendes Bild der Unschuld und der Sitte besudelt! Ich ging in Gedanken die Worte wieder durch, die sie mir beim Hinausgehen gesagt hatte; dann, mit ihr in eine Zukunft blickend, welche sie sich so reizend ausmalte, sah ich diese zärtliche Mutter den Schweiß von der Stirne ihrer Kinder trocknen, ihre glühenden Backen küssen, sah dieses zum Lieben geschaffene Herz dem süßesten Gefühle der Natur hingegeben. Alles trug dazu bei, selbst der Name Elysium, meine sich verirrende Einbildungskraft auf den rechten Weg zurückzulenken, und in meine Seele eine Ruhe zu ergießen, welche wohl dem Sturm der verführerischsten Leidenschaften vorzuziehen ist. Dieser Name spiegelte mir gleichsam das Innere Deren ab, die ihn erfunden hatte; mit einem unruhigen Gewissen, sagte ich mir, würde man diesen Namen nimmer gewählt