Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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mit dem Ruder bekommen hatte, ließ Julie Alles wieder in's Wasser werfen. Die armen Thiere ängstigen sich, sagte sie, schenken wir ihnen die Freiheit; genießen wir des Vergnügens, das sie haben werden, der Gefahr entronnen zu sein! Die Ausführung dieses Befehls geschah langsam und mit Widerstreben, auch nicht ohne einige Gegenvorstellungen, und ich konnte leicht bemerken, daß unseren Leuten der Fisch, den sie gefangen hatten, lieber gewesen wäre, als die Moral, die ihm das Leben schenkte.

      Wir fuhren dann auf's hohe Wasser und als ich, aus einer jugendlichen Lebhaftigkeit, von der es Zeit wäre endlich zurückzukommen, mich daran gemacht hatte. zu „fahren" — [Nager im Originale. Kuustausdruck der Schiffer auf dem Genfersee, welcher das Führen desjenigen Ruders bezeichnet, womit der Kahn gelenkt wird. D. U.], steuerte ich so mitten in den See hinein, daß wir bald mehr als eine Lieue vom Ufer entfernt waren — [Was? Es fehlt viel, daß der See, Clarens gegenüber, zwei Lieues breit sei.]. Dort erklärte ich Julien alle Punkte des prachtvollen Horizonts, der uns umgab. Ich zeigte ihr von ferne die Mündung der Rhone, die in ihrem ungestümen Laufe Plötzlich eine Viertelmeile vom See inne hält, als ob sie sich scheute, seinen klaren, blauen Spiegel mit ihrem schlammigen Wasser zu besudeln. Ich ließ sie die Stufenlagen des Gebirges bemerken, dessen einander entsprechende und gleichlaufende Schichten in dem Raume, welcher sie von einander trennt, ein Bett bilden, das des Flusses, welcher ihn ausfüllt, würdig ist. Von unseren Gestaden ab, lenkte ich ihren bewundernden Blick mit Freuden auf die reichen reizenden Ufer des Waadtlandes, wo die Menge der Ortschaften, die unglaublich dichte Bevölkerung, die grünen, schmuckreichen Gelände überall ein entzückendes Gemälde bilden, wo das Land rings angebaut und fruchtbar, dem Ackersmann, dem Hirten, dem Weinbauer eine sichere Frucht ihrer Arbeit schenkt, die kein habgieriger Zollpächter verschlingt. Dann zeigte ich ihr Chablais auf dem entgegengesetzten Ufer, ein Land, das von der Natur nicht weniger begünstigt ist, und dennoch nur ein Schauspiel des Elends darbietet, und ich machte ihr bemerklich, wie verschieden der Einfluß der beiden Verwaltungssysteme auf Reichthum, Volksmenge und Glück der Bewohner ist. So, sagte ich, öffnet die Erde ihren fruchtbaren Schooß, und spendet ihre Schätze den glücklichen Völkern, welche sie für sich selbst bebauen; sie scheint zu lächeln, und sich kräftiger zu regen bei dem süßen Anblick der Freiheit; sie ernährt die Menschen gern; dagegen verkündigen die elenden Hütten, Haide und Dorngestrüpp, wovon ein halbwüstes Land bedeckt ist, schon von fern, daß ein abwesender Herr dort herrscht, und daß die Erde seinen Sklaven nur mit Widerstreben einige kümmerliche Erzeugnisse liefert, von denen sie keinen Nutzen haben.

      Während wir so angenehm damit beschäftigt waren, unsere Augen über die umliegenden Gegenden schweifen zu lassen, erhob sich ein Séchard, welcher uns querüber nach dem entgegengesetzten Ufer hintrieb, und frischte beträchtlich. Als wir wieder wenden wollten, fand sich der Widerstand so stark, daß es unserm gebrechlichen Fahrzeuge unmöglich war, ihn zu überwinden. Bald wurden die Wellen furchtbar, wir mußten die savoyische Küste zu gewinnen und bei dem Dorfe Meillerie Land zu fassen suchen, welches uns gerade gegenüber lag und an dieser Küste fast der einzige Ort ist, wo der flache Strand eine bequeme Landung zuläßt. Aber der Wind, der umgesetzt hatte und stärker geworden war, machte die Anstrengungen unserer Ruderer vergeblich, und trieb uns tiefer unten gegen eine Reihe steiler Felsen, wo man keine Zuflucht mehr findet.

      Wir griffen alle zu den Rudern, und fast in demselben Augenblicke hatte ich den Schmerz, zu sehen, daß Julien übel wurde, und daß sie ohnmächtig am Bord des Fahrzeugs hinsank. Zum Glück war sie von Natur für das Wasser gemacht, und dieser Zustand ging schnell vorüber. Indessen wuchsen unsere Anstrengungen mit der Gefahr; von Hitze, Arbeit und Schweiß waren wir ganz erschöpft und außer Athem; da erfrischte Julie, die ihren ganzen Muth wiederfand, den unsrigen durch ihre mitleidigen Liebkosungen; sie trocknete Allen ohne Unterschied das Gesicht ab, und gab den Erschöpftesten der Reihe nach Wein zutrinken, den sie, damit Niemand berauscht würde, in einer Schale mit Wasser mischte. Nein, niemals strahlte Ihre anbetungswürdige Freundin so leuchtend, als in dem Augenblicke, da die Hitze und die Aufregung ihrer Farbe eine höhere Glut gab, und noch mehr steigerte es ihren Reiz, daß man an ihrer gerührten Miene so deutlich sah, wie ihre Bemühungen weniger aus Furcht für ihr Leben, als aus Mitleid mit uns entsprangen. Nur in einem Augenblicke, als zwei Planken, bei einem Stoße, der uns ganz mit Wasser überschüttete, auseinanderwichen, glaubte sie, daß das Fahrzeug geborsten sei, und in dem Schrei dieser zärtlichen Mutter unterschied ich deutlich die Worte: o meine Kinder! soll ich euch nicht wiedersehen? Ich, dessen Einbildungskraft immer das wirklich vorhandene Uebel überfliegt, glaubte, obwohl ich die Gefahr vollkommen gut zu beurtheilen verstand, von Augenblick zu Augenblick das Fahrzeug verschlungen, diese so rührende Schönheit mit den Wellen ringen und von der Blässe des Todes die Rosen ihres Gesichtes überzogen zu sehen.

      Endlich mit vieler Arbeit kamen wir wieder nach Meillerie hinauf, und nachdem wir länger als eine Stunde zehn Schritte vom Ufer gekämpft hatten, gelang es uns, Land zu fassen. Als wir an's Ufer gestiegen, war alle Noth und Angst vergessen; Julie nahm die Erkenntlichkeit für alle Mühe, die sich jeder gegeben hatte, auf sich, und während sie in der größten Gefahr nur an uns gedacht, schien es ihr auf dem Lande, als habe man nur sie gerettet. Wir aßen mit dem Appetit, den man bei angestrengter Arbeit gewinnt. Die Forelle wurde zubereitet. Julie, die sie außerordentlich gern ißt, nahm wenig davon, und ich merkte, daß ihr, um unseren Leuten den Verdruß über das Opfer, das sie gebracht hatten, in Vergessenheit zu bringen, dies Mal nicht gerade daran gelegen war, auch mich viel von dem Fische essen zu sehen. Milord, Sie haben es tausend Mal gesagt, stets malt sich im Kleinen wie im Großen diese liebevolle Seele.

      Nach dem Essen schlug ich, da das Wasser noch immer hoch ging und das Fahrzeug ausgebessert werden mußte, einen Spaziergang vor.

      Julie wandte mir den Wind, die Sonne ein, und sprach auch von meiner Müdigkeit. Ich hatte meine Absichten; daher ließ ich nichts von dem Allen gelten. Ich bin, sagte ich, von Kindheit auf an anstrengende Uebungen gewöhnt; weit entfernt meiner Gesundheit zu schaden, befestigen sie dieselbe, und meine letzte Reise hat mich noch mehr abgehärtet. Was Sonne und Wind betrifft, so haben Sie Ihren Strohhut; wir werden Gehölz und geschützte Orte erreichen; es ist nur darum zu thun, ein wenig zwischen die Felsen zu gehen, und Sie, die Sie ja die Ebene nicht lieben, werden sich dieser kleinen Anstrengung gewiß gern unterziehen. Sie that meinen Willen, und wir gingen, während unsere Leute aßen.

      Sie wissen, daß ich nach meinem Walliser Exil vor 10 Jahren nach Meillerie kam, um dort die Erlaubniß zu meiner Rückkehr abzuwarten. Dort war es, wo ich so traurige und so köstliche Tage zubrachte, einzig mit ihr beschäftigt, und von dort schrieb ich ihr jenen Brief, von welchem sie so gerührt war. Ich hatte immer gewünscht, den einsamen Ort wieder zu sehen, der mir im eisigen Winter zur Freistätte gedient, und wo sich mein Herz darin gefallen hatte, sich in sich selbst mit dem Geliebtesten, was es auf der Welt hat, zu unterhalten. Die Gelegenheit, diesen so theuern Ort in einer angenehmeren Jahreszeit zu besuchen, und mit ihr, deren Bild ihn damals mit mir bewohnte, war das, was mich im Geheimen zu diesem Spaziergange antrieb. Ich machte mir eine Lust daraus, ihr alte Denkmäler einer so beständigen und so unglücklichen Leidenschaft zu zeigen.

      Wir hatten eine Stunde bis hinauf zu gehen, aber auf einem gewundenen und anmuthig frischen Fußpfade, der, zwischen den Bäumen und Felsen unmerklich aufwärtssteigend, nichts Unbequemes hatte, als die Länge des Weges. Als wir uns der Stelle näherten, und ich meine alten Zeichen wieder erkannte, war mir fast ohnmächtig zu Muthe; aber ich überwand mich, verbarg meine Unruhe und wir langten an. Es war diese einsame Stätte ein gar öder und wilder Ort, aber voll von Schönheiten jener Art, die nur empfindsamen Seelen gefallen und anderen grausig scheinen. Ein Gießbach, den der schmelzende Schnee gebildet, wälzte zwanzig Schritte von uns sein trübes Wasser nieder, und führte Schlamm, Sand und Steine mit sich. Hinter uns trennte eine Kette von unzugänglichen Felsen den Vorsprung, auf welchem wir standen, von jenem Theile der Alpen, den man Les Glacières nennt, weil ungeheuere Eiskuppen, die unaufhörlich wachsen, sie von Anbeginn der Welt bedecken [Diese Berge sind so hoch, daß ihre Gipfel noch eine halbe Stunde nach dem Untergang der Sonne von ihren Strahlen erleuchtet sind, deren Röthe auf den weißen Zinken eine schöne Rosenfarbe hervorbringt, welche man weithin steht.]. Schwarze Tannenwälder bildeten eine schwermüthig düstere Masse zu unserer Rechten. Ein großer Eichenforst befand sich zur Linken jenseit des Gießbachs. Unter unseren Füßen der gewaltige Wasserspiegel