Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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den man nicht betreten wird, und aus dem man sich stets beeilen wird hinauszukommen, um in's Freie zu gelangen; einen traurigen Ort, wo man nicht spazieren gehen, sondern den man nur als Durchgang benutzen wird, wenn man spazieren gehen will; während ich auf meinen Gängen im Freien mich oft beeile heim zu kommen, um hier spazieren zu gehen.

      In jenen weitläufigen und mit Zierat beladenen Anlagen sehe ich nichts, als die Eigenheit des Besitzers und des Künstlers, welche beide stets voll Begierde, der eine seinen Reichthum, der andere sein Talent zu zeigen, mit großen Kosten Jedem, der sich ihres Werkes gern erfreuen möchte, Langeweile bereiten. Eine falsche Liebe zum Großartigen, welches nicht zu des Menschen Wesen stimmt, vergiftet seine Freuden. Ein großartiger Anstrich ist immer etwas Trauriges; man denkt unwillkürlich an die Misere dessen, welcher damit prahlt. Mitten unter seinen Parterres und in seinen großen Alleen wird sein kleines Persönchen nicht größer; ein Baum von zwanzig Fuß Höhe überragt ihn, wie einer von sechszig Fuß [Es wäre hier der Ort, sich etwas über den schlechten Geschmack zu verbreiten, dem zufolge die Bäume lächerlich verschnitten werden, um hoch in die Wolken zu steigen, während man ihnen ihre schönen Kronen und ihren Schatten raubt, ihren Saft erschöpft und es ihnen unmöglich macht, ihn zu benutzen. Diese Methode freilich liefert den Gärtnern Holz, aber sie raubt es dem Lande, das ohnehin schon nicht allzuviel hat. Man sollte meinen, daß die Natur in Frankreich anders beschaffen ist, als in der übrigen Welt, so viel Mühe giebt man sich dort, sie zu verunstalten. Man bepflanzt die Parks nur noch mit langen Ruthen; es sind Wälder von Masten oder Maien, und man spaziert unter lauter Holz, ohne Schatten zu finden.]; er nimmt nie mehr als seine drei Fuß Raum ein, und verliert sich wie eine Milbe in seinen endlosen Besitzungen.

      Es giebt noch einen anderen Geschmack, der diesem gerade entgegengesetzt und noch lächerlicher ist, indem er Einem nicht einmal den Genuß der Promenade. vergönnt, welche doch der Zweck ist, wegen dessen man Gärten unterhält. Ich verstehe, sagte ich: den Geschmack jener Liebhaberchen, jener Blumisten, die beim Anblicke einer Ranunkel in Ohnmacht und vor Tulpen auf die Kniee fallen. Hierbei erzählte ich ihnen, Milord, was mir dazumal in London in jenem Blumengarten begegnet ist, in welchen wir mit so vieler Wichtigkeit eingeführt wurden, und wo wir alle Schätze Hollands prahlen sahen auf vier Mistbeeten. Ich vergaß dabei nicht die Ceremonie mit dem Parasol und dem kleinen Stäbchen, womit man mich Unwürdigen, gleich den andern Beschauern, beehrte. Ich bekannte ihnen demüthig, wie es mir ging, als ich mich auch hervorthun und kühnlich beim Anblick einer Tulpe in Ekstase gerathen wollte, die mir von lebhafter Farbe und von zierlicher Form schien, wie ich davon allen den gelehrten Kennern verspottet, ausgelacht und ausgezischt wurde, und wie der Professor des Gartens von der Verachtung der Blumen zur Verachtung ihres Lobredners überging, und mich keines Blickes mehr würdigte. Ich denke, setzte ich hinzu, daß er es recht bedauert hat, sein Stäbchen und sein Parasol so profanirt zu haben.

      Dieser Geschmack, sagte Herr von Woimar, wenn er in Sucht ausartet, hat etwas Kleinliches und Eitles, das ihn kindisch und auf lächerliche Weise kostspielig macht. Der andere hat wenigstens etwas Edles, Großes und eine Art Wahrheit; aber was ist es mit dem Werthe einer Ranunkelklaue oder einer Zwiebel, die ein Insekt vielleicht im Augenblicke, da man sie kauft, benagt oder zerstört, oder einer Blume, die um Mittag kostbar, und die verwelkt ist, ehe die Sonne untergeht? Was ist es mit einer Schönheit, die von Uebereinkunft abhängt, die nur dem Auge des Liebhabers erkennbar und nur deshalb Schönheit ist, weil es ihm zufällig so beliebt? Es kann eine Zeit kommen, da man in diesen Blumen gerade das Gegentheil von dem findet, was man jetzt darin sucht, und mit ebenso gutem Grunde; dann werden Sie Ihrerseits der Gelehrte und Ihr Kenner wird der Unwissende sein. All dies Herumschnüffeln und Achten auf Kleinigkeiten, das zu einer Art Studium ausartet, paßt nicht für den vernünftigen Mann, der seinem Körper eine mäßige Bewegung machen, oder seinem Geist auf Spaziergängen eine Erholung im Gespräche mit seinen Freunden verschaffen will. Die Blumen sind dazu da, um unsern Blick im Vorübergehen zu ergötzen und nicht um so neugierig anatomirt zu werden [Der kluge Wolmar hat sich das Ding nicht recht besehen. War er, der die Menschen so gut zu beobachten wußte, so ungeschickt in der Beobachtung der Natur? Wußte er nicht, daß ihr Schöpfer, wenn er groß ist im Großen, sehr groß im Kleinsten ist?]. Sehen Sie hier im Baumgarten ihre Königin überall strahlen; sie erfüllt die Luft mit Wohlgeruch, bezaubert die Augen, und kostet fast keine Pflege und Mühe. Deshalb verachten sie die Blumisten; die Natur hat sie so schön gemacht, daß sie ihr keine übereinkömmlichen Schönheiten hinzufügen können, und da sie sich nicht mit ihrer Pflege zu quälen haben, finden sie nichts daran, was ihnen schmeichele. Der Irrthum Derer, die Leute von Geschmack sein wollen, ist, daß sie überall Kunst verlangen, und nie zufrieden sind, wo sich die Kunst nicht sichtbar macht, während der wahre Geschmack darin besteht, sie zu verbergen, sonderlich wenn es sich um Werke der Natur handelt. Was für einen Sinn haben diese schnurgeraden sandigen Alleen, die man überall und überall antrifft, und diese Sterne, durch welche man, weit entfernt dem Auge die Größe eines Parks zu offenbaren, wie man es sich einbildet, weiter nichts erreicht, als daß man ungeschickt seine Grenzen zeigt? Sieht man denn im Walde Flußsand? Oder wandelt der Fuß sanfter auf solchem Sande, als auf Moos und Rasen? Wendet die Natur unaufhörlich Winkelmaß und Richtschnur an? Ist es nicht, als fürchten diese Leute, daß man sie doch noch irgend wo spüre, trotz aller ihrer Mühe, sie zu verunstalten? Ist es endlich nicht komisch, daß sie, als ob sie des Spaziergangs schon müde wären, wenn sie ihn beginnen, ihn recht geflissentlich in gerader Linie führen, um am schnellsten das Ziel zu erreichen? Ist es nicht, wenn sie den kürzesten Weg nehmen, als ob sie eher eine Reise als einen Spaziergang machten, und sich beeilten, hinauszukommen, kaum daß sie eingetreten sind?

      Was wird also der Mann von Geschmack thun, welcher lebt, um zu leben, welcher sich selbst zu genießen versteht, welcher die wahren und einfachen Freuden sucht, und welcher sich einen Spaziergang nah bei seinem Hause einrichten will? Er wird ihn so bequem und so angenehm machen, daß er sich dort alle Stunden des Tages gefallen kann, und doch so einfach und natürlich, daß nichts gethan scheint. Er wird Wasser, Grünes, Schatten und Kühlung um sich versammeln, denn auch die Natur versammelt alle diese Dinge. Er wird nirgends Symmetrie anbringen, denn diese ist die Feindin der Natur und der Abwechselung, und alle Alleen eines gewöhnlichen Gartens gleichen einander so sehr, daß man immer in dem nämlichen zu sein glaubt; er wird das Terrain zerschneiden, um bequem umherwandeln zu können, aber die beiden Seiten seiner Alleen werden nicht immer genau gleichlaufend geführt sein; die Richtung derselben wird nicht beständig in gerader Linie fortgehen, sondern etwas Schweifendes haben, wie der Gang eines müßigwandelnden und ohne Ziel spazierenden Menschen. Er wird sich nicht abquälen, schöne Durchsichten auszuschneiden. Der Geschmack an Fernblicken entspringt aus dem Hange der meisten Menschen, sich nur da zu gefallen, wo sie nicht sind; sie sind stets begierig nach dem, was entfernt von ihnen ist, und der Künstler, welcher es nicht versteht, sie durch das, was sie umgiebt, hinlänglich zu befriedigen, greift zu jenem Hülfsmittel, um doch etwas zu schaffen, was sie unterhalte. Der Mann aber, den ich meine, hat keine solche Unruhe, und wenn er sich da, wo er ist, wohlbefindet, fällt es ihm nicht ein, wo anders sein zu wollen. Hier z. B. hat man keinen Blick nach außen und man ist sehr zufrieden, daß man keinen hat. Man denkt sich gern, daß alle Reize der Natur hier eingeschlossen sind, und ich möchte sehr fürchten, daß der kleinste Streifblick in's Freie diesem Spaziergang viel von seiner Annehmlichkeit rauben würde [Ich weiß nicht, ob man es je versucht hat, den langen Alleen eines Sterns eine leichte Krümmung zu geben, sodaß das Auge nicht jede Allee ganz bis an das Ende verfolgen könnte, und dieses dem Beschauer entzogen wäre. Man würde dabei allerdings die Annehmlichkeit der Gesichtspunkte verlieren, aber man würde den Vortheil gewinnen, auf den die Besitzer so großen Werth legen, daß sich der Einbildungskraft der Ort, an welchem man sich befindet, vergrößert darstellt, und in der Mitte eines ziemlich beschränkten Sterns würde man sich in einen unermeßlichen Park verloren glauben. Ich bin überzeugt, daß der Spaziergang so weniger langweilig, obwohl einsamer sein würde, denn Alles, was der Einbildungskraft Beschäftigung giebt, weckt Ideen und unterhält den Geist. Aber die Gartenmacher sind nicht die Leute dazu, dergleichen zu fühlen. Wie oft würde ihnen an einem ländlichen Orte der Bleistift aus der Hand fallen, wie jenem Le Nostre im Park von Saint-James, wenn sie, wie er, wüßten, was der Natur Leben und ihrem Schauspiel Interesse giebt!]. Jemand, der nicht gern die schönen Tage an einfachen und angenehmen Orten zubringen mag, hat ganz gewiß keinen reinen Geschmack und keine gesunde Seele. Ich gestehe,