Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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zu müssen. Oft entlockt sie ihnen Thränen der Reue und Scham, und nicht selten wird sie beim Anblick ihrer Reue selber weich, in der Hoffnung, daß es nicht nöthig sein werde, ihr Wort wahr zu machen. Mancher, der alle die Mühe, welche man sich hier in dieser Hinsicht giebt, nach dem, was bei ihm oder bei seinen Nachbarn geschieht, beurtheilen wollte, wird darin etwas Unnützes oder zu Beschwerliches finden. Sie aber, Milord, der Sie von den Pflichten und Freuden des Familienvaters eine so hohe Meinung haben, und die natürliche Herrschaft kennen, welche Geist und Tugend über das menschliche Herz ausüben, begreifen die Wichtigkeit von dem Allen, und fühlen, wie groß der Erfolg sein müsse. Reichtum macht nicht reich, heißt es in dem Roman, „die Rose." Das Gut eines Menschen liegt nicht in seinem Kasten, sondern in dem Gebrauche, den er davon macht; denn man macht das, was man besitzt, nur durch die Anwendung zu seinem Eigenthume, und die Reichthümer sind stets leichter zu erschöpfen, als der Mißbrauch, daber man nicht im Verhältniß zu dem, was man ausgiebt, Genuß hat, sondern im Verhältniß zu der Art, wie man es thut. Ein Narr kann Barren Goldes in's Meer werfen und sagen, daß er Genuß davon habe; aber welcher Unterschied zwischen diesem unsinnigen Genusse und dem, welchen ein weiser Mann sich mit geringeren Mitteln zu bereiten weiß! Nur mittelst guter Ordnung und wohlgeregelter Verwendung, wodurch man den Gütern einen mannigfaltigeren und dauernderen Nutzen abgewinnt, kann man das Vergnügen in Glück verwandeln. Wenn somit in der Beziehung, welche wir uns zu den Dingen geben, der wahre Begriff des Eigenthums liegt, wenn mehr die Anwendung des Reichthums, als denen Erwerbung uns reich macht, was kann dem Familienvater mehr am Herzen liegen, als eine zweckmäßige und wohlberechnete Verwaltung seines Hauses, bei welcher Alles in die vollkommenste Beziehung zu ihm selbst unmittelbar tritt, und das Wohl jedes Gliedes zu dem des Hauptes beiträgt?

      Sind denn die Reichsten die Glücklichsten? Was thut also der Wohlstand zur Glückseligkeit? Aber ein wohlgeordneter Hausstand ist ein Bild von der Seele des Herrn. Wandvergoldungen, Pracht und Luxus geben nur die Eitelkeit Dessen zu erkennen, der sie zur Schau stellt: überall dagegen, wo man Ordnung ohne Peinlichkeit, Ruhe ohne sklavische Furcht, Ueberfluß ohne Verschwendung herrschen sieht, kann man dreist sprechen: Ein Glücklicher gebietet hier.

      Ich für meinen Theil glaube, daß es kein zuverlässigeres Zeichen von wahrer Zufriedenheit der Seele giebt, als ein zurückgezogenes, auf die Häuslichkeit beschränktes Leben, und daß Solche, die ihr Glück immer nur auswärts suchen, bei sich zu Hause keines haben. Ein Familienvater, der sich in seinem Hause wohlfühlt, findet den Lohn für alle seine Sorgen und Mühen in dem beständigen Genusse der süßesten Gefühle der Natur. Er allein von allen Sterblichen ist der Herr seines eigenen Glückes, weil er wie Gott selbst glücklich ist, ohne etwas mehr zu wünschen, als was er genießt. Wie das unendliche Wesen, denkt er nicht daran, seinen Besitz zu vermehren, sondern ihn wahrhaft sein eigen zu machen, durch die vollkommenste Entwickelung aller Beziehungen und die zweckmäßigste Anordnung des Ganzen; bereichert er sich nicht durch neue Erwerbungen, so ist er dennoch reicher, durch den besseren Besitz dessen, was er hat. Er hatte nur den Genuß von dem Ertrage seiner Ländereien; jetzt hat er von denselben Ländereien abermals Genuß, indem er ihrer Bewirthschaftung vorsteht und sie unablässig beläuft. Sein Bedienter war ihm fremd; er macht ihn zu seinem Gute, zu seinem Kinde, er eignet ihn sich an. Er hatte ein Recht nur auf die Handlungen; er erwirbt sich eines auch auf den Willen. Er war nur Herr für sein Geld, er wird es nun durch die geheiligte Macht der Wohlthat und der Achtung und Liebe. Möge ihm das Glück seine Reichthümer rauben, die Herzen kann es ihm nicht rauben, die er sich gewonnen hat; Kinder ihrem Vater rauben kann es nicht: der ganze Unterschied ist, daß er gestern sie ernährte, morgen wird er von ihnen ernährt werden. So lernt man seiner Güter, seiner Familie und seiner selbst wahrhaft genießen; so wird jedes Kleinste, was zum Hausstande gehört, etwas Köstliches für den wackeren Mann, der den Werth desselben zu erkennen weiß: so macht er, weit entfernt, seine Pflichten als eine Last anzusehen, sich ein Glück daraus, und macht es sich durch seine herzerfreuende und edle Thätigkeit zum Ruhme und zur Lust, Mensch zu sein.

      Wenn diese kostbaren Vortheile gemißachtet oder wenig bekannt sind, und wenn selbst die kleine Zahl Derer, welche nach ihnen trachten, sie so selten erlangt, so hat dies nur eine und dieselbe Ursache. Es giebt einfache und doch erhabene Pflichten, die zu lieben und zu erfüllen die Sache Weniger ist; solcher Art sind die Pflichten des Familienvaters, die einem durch den Ton und die Unruhe, die in der großen Welt herrschen, zuwider werden, und deren man sich auch dann noch schlecht entledigt, wenn man keine anderen Beweggründe hat, sie zu erfüllen, als Geiz und Eigennutz. Mancher glaubt ein guter Familienvater zu sein, und ist weiter nichts als ein wachsamer Hausverwalter; das Gut kann gedeihen und das Haus sehr schlecht bestellt sein. Man muß auf einem höheren Standpunkte stehen, wenn man diese wichtige Verwaltung richtig auffassen und mit glücklichem Erfolge leiten will. Das Erste, womit die Herstellung einer guten Hausordnung beginnen muß, ist, daß man nur rechtschaffene Leute im Hause leide, welche nicht einen geheimen Hang, die Ordnung zu stören, mit hineinbringen. Sind aber Knechtschaft und Rechtschaffenheit so vereinbar, daß man hoffen dürfte, Bediente zu finden, die rechtschaffene Leute wären? Nein, Milord, wenn man sie haben will, muß man sie nicht aufsuchen, man muß sie schaffen, und nur ein tüchtiger Mann versteht die Kunst, Andere tüchtig zu machen. Ein Heuchler möge sich immerhin mit dem Scheins der Tugend bekleiden, er wird die Liebe zu ihr keinem Menschen einflößen; wüßte er sie liebenswerth zu machen, so würde er sie selbst lieben. Was können frostige Ermahnungen, die das eigene Beispiel beständig Lügen straft, anders bewirken, als daß man denke, Der, welcher sie feilbietet, wolle mit der Leichtgläubigkeit Anderer sein Spiel treiben? Was für ein abgeschmackter Einfall, von Anderen zu verlangen, daß sie das thun, was man anpreist, wenn man es selbst nicht thut! Wer das, was er sagt, nicht thut, sagt es niemals auf rechte Art, denn es fehlt die Sprache des Herzens, welche rührt und überredet. Ich habe oft dergleichen plump berechnete Reden gehört, welche man vor den Hausbedienten, wie vor Kindern hält, um ihnen auf indirektem Wege gute Lehren zu geben. Es ist mir nie eingefallen zu glauben, daß sie sich dadurch nur einen Augenblick würden zu Narren halten lassen, und ich sah sie auch immer heimlich lächeln über die Einfalt des Herrn, sie für solche Tröpfe zu halten, vor denen er mit aller Breite Grundsätze auskramen könnte, von denen sie doch recht gut wußten, daß es nicht die seinigen wären.

      Von dergleichen pfiffigen Manoeuvres weiß man in diesem Hause nichts; die Kunst der Herrschaft, ihre Bedienten so zu machen, wie sie sie haben will, besteht vornehmlich darin, sich ihnen so zu zeigen, wie sie selbst ist. Ihr Betragen ist stets offen und frei, weil sie nicht zu fürchten brauchen, daß ihre Handlungen ihre Reden Lügen strafen. Da sie nicht für sich eine andere Moral haben, als sie Anderen beibringen wollen, so haben sie nicht nöthig, sich mit dem, was sie sagen, ängstlich in Acht zu nehmen; ein zufällig entschlüpftes Wort wirft nicht Grundsätze über den Haufen, welche sie mühsam eingeführt haben. Sie geben nicht alle ihre Angelegenheiten geschwätzig zum Besten, aber sie sprechen alle ihre Grundsätze frei aus. Bei Tische, auf dem Spaziergange, unter vier Augen oder vor aller Welt wird stets dieselbe Sprache geführt; man sagt über jede Sache unbefangen, was man denkt, und ohne daß es beabsichtigt würde, findet Jeder immer Etwas dabei zu lernen. Da die Bedienten ihre Herrschaft nie Anderes thun sehen, als was recht und billig ist, so sehen sie die Gerechtigkeit nicht als einen Tribut des Armen, als ein Joch des Unglücklichen, als einen Fluch ihres Standes an. Die Achtsamkeit, mit welcher man dafür sorgt, daß die Arbeiter nicht vergeblich nach ihrem Lohne laufen und ganze Tage damit verlieren, gewöhnt sie, den Werth der Zeit zu fühlen. Wenn sie sehen, wie angelegen es sich die Herrschaft sein läßt, Anderen Zeit zu ersparen, so schließt daraus Jeder, daß seine Zeit ihr kostbar ist und würde es sich um so übler nehmen, müßig zu gehen. Das Vertrauen, welches man zu der Redlichkeit der Herrschaft hat, giebt Allem, was sie anordnet, die Kraft, durch welche es sich in Geltung setzt und den Mißbrauch ausschließt. Man hat nicht Furcht, daß die Herrin bei der Ertheilung der wöchentlichen Gratification immer finden werde, daß der Jüngste oder Schönste am fleißigsten gewesen sei. Ein alter Bedienter fürchtet nicht, daß man irgend eine Chikane hervorsuchen werde, um die ihm in Aussicht gestellte Erhöhung des Lohnes zu ersparen. Man hofft nicht von Uneinigkeiten der Herrschaft Nutzen zu ziehen, um sich wichtig zu machen und von dem einen Theil zu erlangen, was der andere abschlägt. Diejenigen, welche sich zu verheiraten wünschen, fürchten nicht, daß man ihrem Vorhaben in den Weg treten werde, um sie länger zu behalten, und daß so ihr Eifer im Dienste zu ihrem Schaden ausschlage. Wenn ein