Die beliebtesten Weihnachtsklassiker. Martin Luther. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Luther
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788027237555
Скачать книгу
jungen Freunde Abschied genommen hatte und nun von Tag zu Tage mehr zur Erkenntnis kam, daß der Atlantische Ozean zwischen ihm und dem kleinen liebenswürdigen Kameraden lag, fing es in der »gemischten Warenhandlung« an trübselig auszusehen. Mr. Hobbs gehörte weder zu den hervorragenden Intelligenzen, noch zu den gesellschaftlichen Umgangsmenschen und hatte mit seiner schwerfälligen Art nie viele Verbindungen anzuknüpfen verstanden. Er war viel zu phlegmatisch, um sich auf irgend eine Weise an Vergnügungen zu beteiligen, und seine einzige Unterhaltung bestand im Studium der Zeitung, während seine geistige Arbeit sich auf seine nicht gerade korrekte Buchführung beschränkte. Letztere hatte ihre Schwierigkeiten, denn das Addieren langer Zahlenreihen war des würdigen Mannes Stärke eben nicht, und zuweilen dauerte es sehr lange, bis er damit ins reine kam. In der schönen, nun für immer dahingeschwundenen Zeit ihrer Freundschaft hatte der kleine Lord Fauntleroy, der ganz nett auf der Schiefertafel rechnen konnte, hier und da ausgeholfen und das saure Werk gefördert, und dann war er ein so geduldiger aufmerksamer Zuhörer gewesen und hatte sich für alles, was in den Zeitungen stand, aufrichtig »'tressiert,« und wie gläubig hatte er Mr. Hobbs' Ansichten über die Revolution und die Engländer, die Präsidentenwahl und alle Parteifragen entgegengenommen – kein Wunder, daß er in dem Leben des würdigen Krämers eine gähnende Lücke hinterlassen hatte. Anfangs war es dem vereinsamten Freunde vorgekommen, als ob Cedrik gar nicht so weit weg sei und stündlich wiederkehren könnte, als ob es nicht anders sein könnte, als daß er eines Tages, von seiner Schreiberei aufblickend, den kleinen Burschen unter der Ladenthür stehen sehen würde, in dem weißen Anzug mit den roten Strümpfen, den Hut im Nacken sitzend, und mit seinem hellen Stimmchen das bekannte: »Hallo, Mr. Hobbs! Heißer Tag heute – nicht?« rufend. Aber als ein Tag um den andern verging und dieses erfreuliche Ereignis nicht eintrat, da wurde es Mr. Hobbs traurig und unheimlich ums Herz. Nicht einmal an seiner Zeitung fand er den rechten Genuß, und oft und viel legte er das Blatt, nachdem er es durchgelesen, auf den Schoß und blickte lange in Wehmut und trübselige Gedanken versunken auf die hohen gespreizten Beine des Stuhles an seiner Seite, deren Anblick ihn noch weicher und melancholischer stimmte. Trugen diese hohen Stuhlbeine doch tiefe Eindrücke von den kleinen Schuhen des edlen Lord Fauntleroy, künftigen Grafen Dorincourt, dessen blaues Blut ihn merkwürdigerweise nicht abgehalten hatte, im Eifer des Gespräches mit den Beinen zu baumeln und die Absätze kräftig gegen das Stuhlbein zu schlagen. Wenn Mr. Hobbs lange genug auf diese geweihten Fußspuren geblickt hatte, dann zog er wohl die goldne Uhr aus der Westentasche, öffnete sie und las die Inschrift: »Mr. Hobbs von seinem ältesten Freunde, Lord Fauntleroy. Die Uhr, sie spricht, vergiß mich nicht,« worauf er sie mit lautem Knacksen zudrückte, tief aufseufzte und unter die Ladenthür trat, von wo er in geschmackvoller Umrahmung durch Kartoffelsäcke und Aepfelkisten die Straße entlang blickte. Abends, wenn das Geschäft geschlossen war, zündete er dann wohl seine Pfeife an und spazierte wuchtigen, bedächtigen Schrittes bis an das kleine Haus, das Cedrik bewohnt hatte, und das mit seinem weißen Zettel: »Zu vermieten« gar öde und unwohnlich dreinschaute, sah dran hinauf, schüttelte den Kopf, paffte mächtige Rauchwolken aus seiner Pfeife und wandelte gepreßten Herzens wieder nach Hause.

      So gingen zwei oder drei Wochen dahin, ehe ein neuer Gedanke in ihm aufdämmerte. Mr. Hobbs' Gedanken hatten stets einen gründlichen, langwierigen Entwickelungsprozeß durchzumachen, und wenn einmal wirklich einer ins Leben getreten war, pflegte er ihn so unbequem zu finden, wie ein Paar neuer Stiefel. Nachdem sich aber sein Gemütszustand in dieser Zeit eher verschlimmert, als gebessert hatte, gedieh ein ganz nagelneuer Plan schließlich zur Reife. Er wollte Dick aufsuchen. Es war gut, daß er den Tabak seinem eignen Geschäft entnehmen konnte, denn er mußte unzählige Pfeifen rauchen, bis er zu diesem festen Entschlüsse gelangte. Er wollte Dick aufsuchen, Cedrik hatte ihm viel von dem Freunde erzählt, und es lebte ein unbestimmtes Gefühl in ihm, daß er vielleicht in Dick einigen Ersatz und einige Erleichterung für sein Mitteilungsbedürfnis finden konnte.

      Als Dick eines Tages mit größter Energie die Gehwerkzeuge eines Kunden bearbeitete, ereignete es sich, daß ein untersetzter, stämmiger Mann mit einem runden Kopfe und spärlichen Haaren auf dem Trottoir stehen blieb und unverwandt Dicks Schuhputzerzeichen anstarrte und die Inschrift:

      Professor Dick Tipton, Schwarzkünstler

      studierte, was endlich Dicks Interesse lebhaft erregte, und ihn, nachdem der erste Kunde einstweilen im Besitze spiegelblanker Stiefel abgezogen war, zu der Frage veranlaßte: »Stiefel wichsen, Sir?«

      Mit entschlossener Miene trat der Mann vor und setzte den Fuß auf die kleine Bank.

      »Ja,« sagte er bestimmt.

      Während Dick sein Kunstwerk mit Eifer begann, sah der breitschulterige Mann bald ihn, bald das Schild aufmerksam an.

      »Woher haben Sie das Ding?« fragte er.

      »Von einem Freunde von mir,« erwiderte Dick, »von einem Knirps. Hat mir die ganze Einrichtung geschenkt. War der beste kleine Kerl, den's gibt. Ist in England jetzt. Soll so ein – so ein Lord werden da drüben.«

      »Lor – Lord?« fragte Mr. Hobbs mit bedeutsamer Langsamkeit. »Lord Fauntleroy, hm? Künftiger Graf Dorincourt?«

      Um ein Haar hatte Dick die Bürste fallen lassen.

      »Donnerwetter,« rief er, »Sie kennen ihn?«

      »Ich habe ihn gekannt,« versicherte Mr. Hobbs, sich die feuchte Stirn trocknend, »seit er überhaupt auf der Welt ist. Jugendfreunde – ja, Jugendfreunde sind wir gewesen.«

      Es verursachte ihm wirklich eine gewisse Gemütsbewegung, von seinem Freunde zu sprechen. Er zog die prachtvolle goldne Uhr aus der Tasche, klappte den Deckel auf und wies Dick die Inschrift.

      »Das war's, was er mir als Andenken gab vor der Abreise. ›Ich will nicht, daß Sie mich vergessen,‹ so hat er Wort für Wort gesagt. Hätt' ihn auch nicht vergessen, meiner Seel'!« fuhr er kopfschüttelnd fort, »wenn er mir auch kein Andenken gegeben hätte, und wenn ich auch mein Lebtag nichts mehr von ihm zu sehen kriegte. Den vergißt keiner.«

      »Der netteste Bursche war er,« stimmte Dick bei, »den die Sonne je gesehen hat. Und Grütze im Kopf. Hab' mein Lebtag nicht so viel Grütze bei so einem Knirps gesehen. Habe große Stücke auf ihn gehalten, das ist wahr, wir sind auch Freunde gewesen, so auf eine Art, das will ich meinen. Seinen Ball habe ich ihm unter einer Kutsche vorgeholt und das, das hat er mir nie nicht vergessen, der kleine Kerl! Und da ist er heruntergekommen zu mir mit seiner Mutter oder seiner Mamsell und dann schrie er: »Hallo, Dick,« als ob er ein sechs Fuß hoher Bengel wäre und gerade der rechte Kamerad für mich, und dabei war der Guck in die Welt nicht so hoch wie mein Kasten und steckte noch im Mädelsrocke. Ein fideles kleines Haus war es, und wenn es einem einmal schief ging, that es einem gut, mit ihm zu diskutieren.«

      »So ist's,« bestätigte Mr. Hobbs, »und Sünd' und Schand' ist's, aus dem einen Grafen zu machen. Der hätt's zu was gebracht in der Spezereibranche oder auch im Ellenwarengeschäft – aus dem hätte sich was machen lassen,« und er schüttelte sein massives Haupt mit tiefem, ehrlichem Bedauern.

      Es zeigte sich bald, daß die neuen Bekannten so viel miteinander zu besprechen hatten, daß die Sache sich nicht auf der Straße abmachen ließ, und so wurde verabredet, daß Dick am folgenden Abend sich bei Mr. Hobbs im Geschäft einfinden sollte, was dem jungen Manne außerordentlich einleuchtete. Er war ein Kind der Straße von klein auf, aber in ihm lebte von jeher eine gewisse Sehnsucht nach einer ehrbaren, bürgerlichen Existenz. Seit er sein Gewerbe allein betrieb, hatte sich seine Einnahme so ansehnlich gesteigert, daß er sich ein Nachtlager unter Dach und Fach gönnen konnte, und keine Haustreppen mehr als solches zu benutzen gezwungen war, und allmählich gestattete er sich auch den Luxus, Pläne zu schmieden und nach noch Höherem zu streben. Die Einladung zu einem so umfangreichen, ansehnlichen Manne, der einen eignen Laden und sogar Wagen und Pferde zur Beförderung seiner Waren besaß, war ein bedeutender Schritt auf dem Wege zu einer höheren Lebensstellung.

      »Ist Ihnen über Grafen und Schlösser vieles bekannt?« erkundigte sich Mr. Hobbs. »Ich möchte gern mehr Einzelheiten über diese Sachen wissen.«

      »In der Penny Story Gazette kommt eine Geschichte, wo sich's um vornehme Leute handelt. Sie heißt: ›Das Verbrechen einer Krone‹ oder ›Die