»Was wandelt dich jetzt an... es sind doch keine Schwalben da.«
Rosmarie streift mit ihren feinen, schmalgewordenen Händen über seine Schläfen:
»Es sind Dinge, von denen man kaum reden kann, manchmal sind sie wie der leichteste Flaum, und dann gehen sie durch einen hin, als wollten sie die Seele mitreißen. In Nächten, meine ich, oder wenn die Wälder im Herbst golden werden und der Himmel hinter den Bäumen hängt wie ein purpurner Teppich. Aber ich will ja gar nicht fort, es ist ja am allerschönsten bei dir. Und ich denke, das werden alle Menschen kennen, wenn sie in sich hineinhorchen. Und es wird wohl die Seele sein, die ihre Wanderflügel versucht.«
Er warf seine Arme um ihre Gestalt.
»Noch lange nicht, noch lange nicht.« – Rosmarie sieht ihn erstaunt an: »Aber, Harro, was ist in diesen Dingen die Zeit? Wenn wir einmal zurücksehen von der rosa Abendwolke nach den Wäldern und Schlössern, dann wird die Zeit doch auch nur wie ein zusammengerolltes Blatt sein, über das der Frost gegangen ist. Wenn ich sterben würde...«
»Still, Rose, gesunde Frauen sterben niemals daran, nur kranke und schlecht gepflegte.«
»Ja, Lieber,« sagt Rosmarie demütig, die gewohnt ist, in den Dingen ihres neuen Standes berichtigt zu werden. »Verzeih, ich habe das Wort plötzlich in mir gefühlt.«
»So kämpfe dagegen, Rosmarie. O Rose, in welchen Himmel will du dich denn verbergen, wenn ich da unten nach dir verschmachte! Komm, die Sonne scheint. Wir sehen nach deinen Schneeglöckchen. Von den Kaiserkronen haben sich auch dicke, grüne Schäfte aus dem Boden gewühlt.«
Rosmarie ging bald zur Ruhe und schlief auch sofort ein. Harro hatte noch seinen Stab nachzusehen, denn er wollte baldmöglichst Hilfe haben, wenn etwas geschähe, und Rosmarie nicht durch die Gegenwart fremder Menschen aufregen. Jedes im Hause wußte auf ein bestimmtes Glockenzeichen hin, was es zu tun habe. Harro überzeugte sich, daß sein wohl durchdachter Apparat funktioniere und lächelte halb vor sich hin. Natürlich wird es nicht kommen, wenn wir alle so vorzüglich eindressiert sind.
Dann schleicht er sich in sein Schlafzimmer. Eine matte Helle erleuchtet es von dem Vogel Rock aus, der nun auf seiner Seite steht. Das Licht genügt gerade, um ihm das schöne Haupt auf den Kissen zu zeigen und die halb offene, nach seinem Lager ausgestreckte Hand. Sie ist gewöhnt, nach seiner Hand zu greifen, ihre Wange daran zu schmiegen, und dann erst den rechten, tiefen Schlaf zu finden. Sie ist so blaß heute und sie lächelt nicht mehr. Ernst und feierlich sieht sie aus, und durch die feinen Lider schimmert ein wenig die Pupille hindurch wie ein feuchter Edelstein. Es weht ihm ein kalter Hauch über die Stirn, und plötzlich fühlt er seine Haare an den Schläfen kleben. Etwas Unaufhaltsames kommt heran. Sie müssen hindurch... an ihr wird das Leiden sein, an ihm das Dabeistehen. Jede Sekunde, die das kleine Ührchen dort abreißt, bringt es unwiderruflich näher. Harro setzt sich vorsichtig auf sein Bett und sucht seinen entfallenen Mut wieder zusammen. Da schrickt Rosmarie in die Höhe und sagt mit hellster Stimme:
»Nein, das kann es nicht sein.«
»Träumst du, Rosmarie?«
Sie öffnet ihre Augen, die ganz dunkel sind:
»Ja, ich träumte, und ich bin froh, daß du mich geweckt hast. Ich träumte, ein schöner, fremder Jüngling sei durch das Zimmer gegangen. Und wie er fort war, da riß etwas an mir, und es war ein gräuliches altes Weib mit Funkelaugen wie eine Katze, und du sagtest: Ich habe der gütigen Mutter Natur nie recht getraut. Ach, ich bin so müde. Gib mir die Hand, daß ich einen besseren Schlaf finde.«
Und Harro legt sich, und Rosmarie drückt ihre Wange an seine Hand, an der der alte Ring glänzt: Gottes Will hat kein Warumb. Aber er schläft nur ganz leicht als ihr getreuer Wächter. Und eben wollen sich doch schwere Traumwolken über ihm ballen, da ist es, als ob jemand an seiner Hand risse und sie dann wild von sich wegschleudere. Er fährt in die Höhe. Rosmarie starrt ihn mit wilden Augen an und sagt:
»Das Weib...«
»Das Traumweib.« beruhigt er sie. »Es ist fort, soll ich aufstehen... O Rosmarie.«
In einem Augenblick ist er in den Kleidern, die Glocke erklingt, und bald klappern eilige Hufe durch die Nacht. Das Goldhaus schlägt alle seine Augen auf. Harros Apparat funktioniert nur zu gut.
In fünfzehn Minuten ist die große schlanke Berlinerin da. die bisher im Pfarrhaus untergebracht war, in einem imponierenden, weißen Kleide und mit weißer Schürze.
Das Telephon läutet an...
»Lieber Harro, die Pferde sind bereit, ich warte nur auf den Hofrat, in einer Stunde können wir drüben sein.«
»Du auch, Vater! Warum?« stöhnt Harro, aber das Telephon läutet Schluß. Harro hat nichts mehr zu tun. Die Berlinerin ist bei seiner Rose und hat ihn hinausgetrieben. Wenn jetzt doch ein schönes Durcheinander wäre, das man schlichten könnte! Da erscheint schon das Gebilde in Weiß und versichert ihn, daß sich alles in vorzüglichem Stande befinde. Durchaus keine Ursache zur Besorgnis.
Jetzt kann er hereinkommen und Rosmaries ganz fremd gewordene Augen sehen. »Das Traumweib,« stammelt sie. Und in ihren grauen Augen steigt ein Entsetzen auf. »Lieber Harro, sage mir doch... so sollte es nicht sein. Unmöglich, ich bin doch wohl krank.«
Die Berlinerin beruhigt.
»Es geht sehr gut von statten, nur etwas schnell vielleicht.«
»Sagt sie die Wahrheit, Harro?«
Harros Lippen sind trocken bis innen.
»Ja, Rosmarie, du mußt Geduld haben, eine kleine Zeit noch,« lügt er.
Wenn doch der Herr Hofrat käme, er hätte hier schlafen müssen, denkt er. Harro sieht auf seine Uhr und fängt an, in die Nacht hinaus zu horchen. Aber das ist ja Unsinn, sie sind eben erst dort fortgefahren.
Und nun ist Rosmaries schönes Gesicht wieder ruhig. Ja sie lächelt ein wenig: »Nun ist's vorüber, Harro!«
»Eine Ruhepause, Durchlaucht!«
Rosmarie sieht scheu an der weißen Gestalt hinauf. Es ist ihr, als trüge die ihre Qualen mit sich und ließe die auf sie los. Ach, und die Pause ist nur kurz, und da ist wieder das Traumweib. Rosmarie sieht sie deutlich, wenn sie nur ein wenig die Augen schließt. Harro beißt die Zähne zusammen, und eine halbe Stunde später hat er keinen trockenen Faden mehr am Leibe. Und dem Wagen von Brauneck muß ein Unglück geschehen sein, daß er nicht kommt. Der Berlinerin traut er gar nichts mehr zu. Sie steht so unbewegt da. Und kann es denn sein, daß alle Uhren einmütig stehen geblieben sind?
»Märt, renne auf die Halde hinüber und sieh, ob du noch keine Lichter vom Wagen siehst!«
Märt sieht seinem Herrn in das verstörte Gesicht, und sein Unterkiefer beginnt zu zittern, die großen knochigen Hände schlagen wie Perpendikel zusammen. Dann läuft er davon, als ob das Leben an seiner Schnelligkeit hinge. Über die Halde braust der Märzenwind und heult und faucht aus der Reiherklinge herauf. Märt starrt in die Nacht, daß ihm die Augen flimmern. »Unser Vater im Himmel,« stammelt er. »O Gott, Zu gut ist's ihnen gegangen, wie die Engel im Himmel droben haben sie gelebt. Wenn jetzt nur ein kleines Unglück käme... So soll's nicht gehen in der Welt. – Wie zwei Tauben im Nest und alles noch dazu, was der Weltbrief ausweist. Aber nur, daß die Frau sterben nicht müßt. Ein kleines Unglück. Vater im Himmel, nur nicht das!«
Endlich blitzt es auf der fernen dunkeln Berglinie auf. Einen Augenblick wartet er noch, bis er sich überzeugt hat, daß es zwei Lichter sind, dann rennt er zurück. Sein Herr steht barhäuptig im Schloßhof mit aufgerissener