Ganz zerschlagen in allen Gliedern und mit einem Gefühl, als könnte sie im Leben nicht wieder sauber werden, schließt Rosmarie die Putzorgie um fünf Uhr ab und schickt die Weiber zu deren großem Entzücken mit dem vollen Tagelohn heim. Zunächst flüchtet sie ins Badezimmer; fürchterlich wäre es allerdings, wenn Harro jetzt heimkäme. Er würde eine Wüste finden, gegen die der vorige Zustand noch paradiesisch genannt werden müßte. Beim Abendessen bringt die Babette wieder eine Postkarte. Wieder mit Ansicht. Das Lustschloß Solitude bei Stuttgart! Darunter: »Sehr stimmungsvoll, nicht wahr! Hoffentlich bist Du auch vergnügt wie wir. Grüßend Dein Harro.« Und unten noch ein feines »H. Fr.«
Vergnügt! Das Wort überwältigt Rosmarie so sehr, daß ihr Abendessen zu einem plötzlichen Abschluß kommt. Sie muß sich in den Schmollwinkel zurückziehen und kommt sich einen Augenblick ganz verraten und verlassen vor. Und der nächste Morgen bringt wieder die Putzweiber. Rosmarie ist nun schon so weit, daß sie sich von Lisa eine große Schürze borgt, ihre lilienweißen Arme entblößt und selbst mit angreift. Es ist nicht ganz so schlimm wie das Danebenstehen. Und allmählich steigt eine Hoffnungsküste auf. Die Wasser verlaufen sich langsam. –
Wenn der Fürst seine Tochter jetzt sähe! Sie steht hinter einem großen Tisch, hat sämtliche angefangenen Holzschnitzereien vor sich, die rot- und weißgestreifte Schürze um, einen Schleier um ihre Haare gebunden. Und nun wird Stück für Stück sorgfältig abgestäubt und abgerieben, in die Wandregale untergebracht und ein Verzeichnis angelegt für jedes Fach, daß man alles leicht finden kann. Das schreibt Rosmarie, und Lisa klebt es in das Fach hinein. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Mühe, die bewältigt werden muß. Die Mappen sind noch nicht einmal angefangen. Und Lisa drückt das Gefühl, daß sie nicht dulden sollte, daß ihre junge Herrin sich so anstrengt. Aber sie fühlt, daß sie nicht allein gelassen werden kann diesem entsetzlichen Vielerlei von Dingen gegenüber.
Heute wird Rosmarie aber zu Nacht essen, und wenn noch so vergnügte Postkarten kommen. Noch im Leben nicht hat sie einen solchen grabenden Hunger verspürt. Und die Köchin scheint ihr gegenüber durchaus nicht der Ansicht zu sein, daß geschlemmt werden müsse. Ihr Beefsteak ist lederzäh, und an dem Kartoffelpüree scheint der heilige Florian vorübergegangen zu sein. Wenn Rosmarie nicht gar so grün als Hausfrau wäre, so müßte sie bemerken, daß die Köchin an ihr Erziehungsversuche macht. Und nun kommt die Karte.
»Liebe Rosmarie! Gestern in Musik geschwelgt. Heute im Kunstverein den Herbstabend gehängt. Gute Wandfläche, keine allzu störenden Nachbarn. Bin in den ersten Saal avanciert. Hoffe, Du unterhältst Dich immer gut. Dein Harro.«
Diesmal werden Rosmaries Wangen nicht naß, aber sehr rot. Wie lange hat sie sich das gewünscht, einmal mit ihm eines seiner Bilder zu sehen, wenn es nun in der Fremde unter den andern da hängen würde. Und nun wäre es möglich gewesen, daß sie mit dem Künstler auch dabei gewesen wäre, ihre Meinung hätte abgeben dürfen, wie hoch – wie nieder... Und um diese Wonnen kommt sie nun. Und die schöne Musik! Statt dessen muß sie Magddienste tun, und man fragt sie noch, wie sie sich unterhält? Hätte sie sich da nicht noch ein paar Tage von Tante Helen hätscheln lassen können? Alle Muskeln schmerzen ihr von der ungewohnten Arbeit. Aber daran denkt Harro gar nicht, und wenn es Vater wüßte! Harro meint wohl, man dürfe es den Weibern nur sagen, dann machten sie es auch. Aber nein, dem widerstreitet seine offenbar auf Erfahrung gegründete Kenntnis der Putzfrauen. Und es dämmert eine Ahnung in ihr auf. Bisher hat sie beinahe gefürchtet, wenn Harro erfahre, was sie alles getan, werde er ärgerlich sein. Aber je mehr sie die Arbeit, nun sie die einmal durchgemacht, überlegt, desto weniger kann sie sich verbergen, daß Harro auch wissen muß, daß sie nun durch dick und dünn mitmüsse. Eine für eine Prinzessin von Brauneck, Durchlaucht, zuerst etwas bitter anmutende Erkenntnis.
Und fertig ist sie auch noch nicht! Einen Augenblick besinnt sich Rosmarie, ob sie nicht streiken soll. Kann man die Mappen auch noch verlangen! Aber ein gewisser Trotz überkommt sie. Wenn schon einmal Magddienste, so will sie nicht als schlechte Magd erfunden werden. Und sie macht sich am nächsten Morgen über die staubigen Mappen, von denen manche seit Jahren nicht geöffnet worden sind. Und es wäre sehr verlockend, bei dem Inhalt zu verweilen, aber dann verfliegt die Zeit so unheimlich schnell, und mitten drin will sie sich nicht überraschen lassen. Und heute bringt ihr die Post eine weitere Anfeuerung.
»Liebe Rosmarie! Du wirst mit der Putzerei wohl nicht zu Streiche kommen, da auch die Mappen nachgesehen werden sollten. So lasse denn alles liegen und stehen, wie es liegt und steht, bis ich komme. Unter keinen Umständen laß unbeaufsichtigte Putzweiber darin wüten. Hans Friedrich bringe ich mit. Du kannst ihm die Weststube richten lassen, er ist mehr für die untergehende als die aufgehende Sonne. Erwarte uns nicht vor Sonntag. Dein Harro.«
Eine leise Befriedigung schleicht sich in ihr Herz. Harro hat ihr doch zu wenig zugetraut. Nun, er wird sehen. Rosmarie wird es ganz elend und erbärmlich ums Herz und demütig. Ach, wenn er nur wieder käme! Sie hat so gar keinen Charakter, würde Tante Helen –, sie ist so wenig neues Weib, würde der Herr Professor sagen. Dann am andern Tag wirft sie sich wieder in ihr Arbeitsgewand und klopft und schrappt und sucht aus und klebt Mappenschilde mit Inhaltsverzeichnis. Und der Abend bringt ihr sogar einen Brief. Allerdings nur eine eingeschlossene Karte. Auf der Vorderseite ist ein reizend zierlich mit der Feder gezeichneter Frühstückstisch mit einem Glas voll Chrysanthemen in der Mitte, neben dem ein Brief liegt. Auf der Rückseite der Karte steht nur:
»Liebe Rosmarie! Wie schmeckt das plötzliche Alleingelassenwerden? Dein Harro.«
O Harro! Also hat Vater doch recht, der sich ängstigte, wie ihr Gatte die Flucht aufnehmen würde. Und es taucht in ihr die Erkenntnis auf, daß ihr alter Harro, der immer nur Güte und Liebe für sie gehabt, auch seine Ecken und Kanten haben könnte. Sollte es nebenbei eine Kur für Hochmut und gar zu prinzessinnenhaftes Wesen sein? Nun könnte Rosmarie Charakter zeigen! Sie fühlt ordentlich Tante Helens Augen auf sich ruhen. »Die Ehe, auch wenn sie glücklich ist,« hatte sie doziert, »ist ein Kampf. Und man muß sich nicht schon von vornherein in den Nachteil bringen lassen. Und durch zu große Nachgiebigkeit verdirbt man die Männer. Die möchten freilich, so modern sie sich gebärden, am liebsten eine Griseldis haben. Aber sage einmal, hat dieses übrigens sagenhafte Frauenzimmer, ich glaube nicht, daß je ein solches existiert hat, – ihren Mann durch ihre Schwäche zu einem abscheulichen Tyrannen gemacht? Sie hat ihn verdorben und ihn und sich um alle Lebensfreuden gebracht, wenn man die Geschichte weiter ausdenken will.«
Rosmarie kann nicht umhin, sich dieser Worte und der daran geknüpften guten Lehren zu erinnern. Und ein wenig nach Griseldis schmeckt diese ganze Putzarbeit. Die junge Herrin von Thorstein bringt einen sehr nachdenklichen Abend zu... Und am andern Morgen geht sie in das Atelier und besieht ihr Werk. Diese noch herumliegenden Mappen sind sehr störend. Sonst wäre alles so schön frisch und mit Lisas Hilfe auch praktisch eingerichtet. Eine Riesenarbeit, und sie kann sich die Anerkennung nicht versagen. Und diese hoffnungslose Ehesklavin begibt sich mit einem Seufzer an den Rest der Arbeit. Die Angst beflügelt den eilenden Fuß, denn ums Leben möchte sie jetzt nicht dabei erfunden werden. Und jetzt schlägt auch die Stunde der Befreiung. Die letzte Mappe ist geordnet. Rosmarie geht nach ihrem Bad in das Schlafzimmer, läßt sich von Lisa die Haare waschen und ißt mit dem wallenden Mantel um sich dort zu Nacht. Eine Karte kommt nicht, und der Sonntag ist auch morgen. In der Nacht hört sie einiges Geräusch, aber sie schläft so tief und ruhig nach ihrer Mühe, daß sie es bis zum Morgen vergessen hat.
Einunddreißigstes Kapitel.
Das Fest der Flügelweihe
Rosmarie hat das