Der Fürst erhob sich und trat vor das Bild des Seelchens. Seiner Schwester Augen folgten ihm. Er erschien ihr so liebenswert und sollte so gar kein eigenes Glück kennen. Und ihr in langen Jahren mühsam beschworenes Herz fing wieder an zu flattern.
»Das alte Brauneck – es macht einen wehmütig,« flüsterte sie.
Vierunddreißigstes Kapitel.
Heinz Friedrich
Der Mai ist gekommen, und Rosmarie hat ihn genossen, wie keinen Mai ihres Lebens. Er wird auch jedes Jahr schöner, der Frühling, behauptet sie.
Harro hat eines Tages in Brauneck nicht geringes Aufsehen erregt. Es ist die Kunde hinüber gedrungen, daß er auf einen Tag den ganzen neu eingezogenen weiblichen Hofstaat des jungen Thorsteiners verabschiedet hat. Die Amme, die mit ihrem Kinde immer noch dagewesen war, im Falle man sie doch brauche, das elegante Kinderfräulein und das Kindermädchen.
Als die Fürstin hörte, daß des Kindes Bettchen im Schlafzimmer der Eltern stehe, erquickt sie diese Nachricht einen ganzen Tag lang. Wie kleinbürgerlich! Also würde Rosmarie selbst bei Nacht aufstehen und das Kind besorgen! Nun, da konnte sie dünn und häßlich dabei werden. Hellblonde Frauen verwelken am schnellsten. Die Fürstin erwärmt sich einen ganzen Tag an der Botschaft, und Harro wird von seinem Schwiegervater sehr ungnädig empfangen.
Harro hört alles mit demütig gesenktem Haupte an.
Ja, es sei wahr. Aber auf dem Thorstein sei ein so großes weibliches Übergewicht entstanden, acht gegen ihn und Märt, da Heinz doch noch nicht zu rechnen sei, – daß er das Schlimmste befürchtet habe. Übrigens habe Rosmarie noch nie Nachtdienst gehabt. Das mache er. Er interessiere sich für die Psyche ganz kleiner Kinder und gedenke sie zu studieren. Das könne man ja nur am lebenden Objekt. Das Gebiet sei auch noch fast unbebaut.
Der Fürst sieht etwas unsicher zu ihm auf.
»Das ist mir neu, Harro, dies Interesse. Versuchst du dich nicht schon auf fast zu viel Gebieten?«
»Mir ist es auch neu, Vater. Aber wie kann die Seele besser studiert werden, als bei ihrem Erwachen und durch genaue Beobachtung? Ich kann mir auch in meine Erziehungsmaximen nicht hineinreden lassen von noch gänzlich unerzogenen sogenannten Fräulein, vulgo Gänschen. Ja, ich weiß, was du sagen willst, Vater, aber ich bin der Ansicht, daß Erziehung gar nicht früh genug begonnen werden kann. Und – ein halbes Pfund hat er wieder zugenommen! Übrigens habe ich eine große Bitte an dich. Rosmarie ist für die Ansprüche, die an sie gemacht werden, doch noch sehr jung. Ich möchte nicht, daß sie Nachteile hätte von dem beständigen Hergeben...«
»Gewiß, Harro, und gerade darum...« »Möchte ich Rosmarie in die für sie denkbar günstigsten Bedingungen bringen, und ich habe mir etwas ausgedacht, wobei ich zugleich recht ungestört meinem Studium« – hier lächelte der Fürst etwas spitzig – »leben kann. Ich möchte dich um das Jagdhäuschen auf der Römerwiese bitten. Dort können wir den ganzen Tag mitten im Walde zubringen. Rosmarie ist selig über den Plan. Sie könnte morgens hinfahren und abends zurück. Aber das Häuschen muß etwas hergerichtet werden. Dürfte ich dich darum bitten? Unser Berg ist noch zu windig und der Wald zu weit, wenigstens die intimeren Teile, und man will doch ungestört sein.«
Natürlich hat Harro den Tag gewonnen. Der Fürst fährt mit ihm auf die Römerwiese, und sie beschließen, noch eine glasgeschützte Veranda anzubauen. Oben enthält das alte Jagdhaus ein Sälchen mit alter Stuckdecke und sieben winzigen Fenstern und eine geräumige Schlafstube. Unten eine kleine Küche mit uraltem Steinherd und ein Dienergelaß, Stallung für sechs Pferde und große Heuvorräte, denn von hier aus wird das Wild im Winter gefüttert. Der Fürst ist ja immer glücklich, wenn er seiner Tochter eine Freude machen kann.
So wird das Haus zum fünfzehnten Mai fertig, mit grüngestrichener Veranda, die etwas seltsam zu dem alten silbergrauen Holzhaus steht. Das Sälchen ist geweißt, etwas anderes hat Harro für stillos erklärt, und mit hellen Korbmöbeln ausgestattet. Vorhänge an den kleinen Fenstern gibt es nicht, zu allen sieht ja der Wald herein und die blühende Wiese. Die Römerwiese hat viele Windungen und Zipfel, und von allen Seiten umschließt sie der Wald. Hinter dem Hause gegen Norden schließt sie eine hohe Tannenwand ab, eine breite, doppelte Buchenallee führt zu der hinteren Stalltür, gegen Süden und Westen umschließt sie die Wiese. Ein großer Kastanienbaum steht am Rande der Wiese, jetzt ganz weihnachtlich voll weißer Kerzen, und legt seine Aste liebevoll auf das silbergraue Schindeldach. Darunter steht nun Heinz Friedrichs hochfüßiges Korbbett, Vögel singen, Schmetterlinge gaukeln über ihm, eifrige Käfer brummen.
Bald werden die Abende immer herrlicher und linder, und Rosmarie möchte nur einmal den Wald in ihrem Schlaf rauschen hören. Harro hat nur darauf gewartet. In das Schlafzimmer kommen zwei Betten an.
Harros Organisationstalent bewährt sich wieder. Sein Hauptgrundsatz – so wenig wie möglich Bedienung, die wieder bedient werden muß, – triumphiert. Alle Morgen elf Uhr erscheint das Break von Thorstein mit Lisa und zwei großen Schließkörben. Der eine enthält warm eingewickelt das fertige Mittagessen, das die zu allem brauchbare Lisa vollends herrichtet, im zweiten Schließkorb ist die frische Wäsche für Mutter und Kind. Denn Rosmarie weiß nicht, daß man ein Wäschestück auch zweimal tragen und zweimal im gleichen Bettbezug schlafen kann. Um drei Uhr fährt das Break wieder ab. Lisa hat dann die Zimmer gerichtet, abgedeckt und ihren Schließkorb wieder gefüllt. Das Nachtessen ist immer kalt und einfach, und Rosmarie, der die kleine Arbeit helle Freude macht, deckt und schmückt den Tisch oben oder in der Veranda.
Den tiefsten Grund, warum Harro sich dieses Wald-, Wiesen- und Kleinkinderdasein eingerichtet hat, ahnt niemand. Er ist genötigt gewesen, zum ersten Male in seinem Leben Ferien zu machen. Ein Schwindelgefühl, ein Flimmern vor den Augen, das ihn hie und da überfällt, haben ihn überzeugt, daß er nicht ungestraft so atemlos wie in den letzten Jahren fortarbeiten darf. Namentlich das Flimmern in den Augen hat ihn erschreckt und ihm einen Augenblick eine heiße Angst eingejagt. Und wie kann er in Thorstein feiern, solang es da noch leere Wände gibt! Rosmarie weiß nichts davon. Sie freut sich kindlich über das schöne Faulenzerleben, das sich ihr Mann mit einem Male gönnt.
Und nach wenigen Tagen verliert sich auch das Flimmern, und es wird Rosmaries allerschönster Mai. Kaum zehn Schritte vom Hause stehen die weißen Maiblumen in Scharen, der Kuckuck ruft unermüdlich aus dem Walde, und tausendfältiges Leben geigt, zirpt und schrillt und brummt über der Wiese. Rosmarie sitzt auf der Veranda im leichtesten Gewande mit hängenden Haaren, und wenn sie nicht so vergnügt wäre und der kleine Heinz Friedrich so gar kein Schmerzenreich, so könnte sie eine schöne Genovefa abgeben. Das Kind schlummert oder gibt sich dem allerschönsten Genusse an der Mutter Brust hin, oder es schaut mit blanken Augen in die wunderbare, grüne, leicht bewegte Welt über ihm. Harro in einem grauleinenen Rock und kurzer Hose und gar keiner Krawatte liegt längelang im Grase und betrachtet durch das Kastaniendach den Himmel, wie er in tiefblauen Ecken hindurchsieht, und ist sehr philosophisch aufgelegt dabei. Das Kind hat viele Namen, – der Genießer, der Sybarit, der Tyrann, das Würmlein, und wenn Harro seine Rose ärgern will, das arme Kind!
Abends kommt der Fürst angeritten, allein ohne Reitknecht, und duldet nicht, daß Harro sein Pferd besorge, sondern bringt es selbst in den Stall. Dann wird der Tyrann zu Bett gebracht, und es ist das allererste Erwachen des Geistes in dem Kinde, daß dabei ein gewisser Ritus vollzogen wird, den es sich gemerkt haben muß, und den es zu verlangen scheint.
Dies erklärt Harro seinem Schwiegervater in den gelehrtesten Worten, die er auftreiben kann. Daß dies Verlangen