Der Schatten des anderen. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718551
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      Marie Louise Fischer

      Der Schatten des anderen

      Roman

      SAGA Egmont

      Der Schatten des anderen

      Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof A/S

      Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

      Originally published 1979 by Goldmann Verlag, Germany

      All rights reserved

      ISBN: 9788711718551

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Daß ich Hans Ullrich Garden kennenlernte, war reiner Zufall — natürlich, man könnte es auch als seltsame Fügung des Schicksals bezeichnen, das kommt ganz darauf an, welchen Standpunkt man zu den Ereignissen dieser Welt einnimmt. Jedenfalls war es höchst ungewöhnlich, daß ich an jenem Samstagabend allein von der Universität nach Hause ging. Sonst war ich fast immer mit meiner Freundin Renate Römer zusammen, Peter, Bill, Pützchen und noch ein paar andere Figuren pflegten unseren Geleitzug zu ergänzen. Aber an jenem Abend war der ganze Haufen ins Kino gegangen. Es wurde ein französischer Film der »Neuen Welle« gegeben, auf den sie alle scharf waren. Natürlich hatte ich ursprünglich mit von der Partie sein wollen, aber nach dem soziologischen Seminar hatte Professor Gahlen mich zurückgehalten, um mich mit einem Referat zu betrauen. »Technisierung der Freizeitgestaltung.« Professor Gahlen hatte es sich nicht nehmen lassen, mich auf alle möglichen Gesichtspunkte, die ich berücksichtigen sollte, aufmerksam zu machen, und als er endlich glaubte, alle Unklarheiten beseitigt zu haben, waren die anderen längst fort. Den Film konnte ich mir morgen auch noch ansehen, und falls Renate mir berichtete, daß er eine Enttäuschung gewesen war, hatte ich sogar vier Mark und fünfzig Pfennig gespart. Ich empfand es als ausgesprochen angenehm, einmal allein zu sein und Zeit zu haben, und ich entschloß mich, nicht wie gewöhnlich durch die engen Gassen der alten Stadt nach Hause zu gehen, sondern einen Umweg durch den Park zu machen.

      Es war ein milder Abend im April. Der Himmel war noch hell, aber die schmale Sichel des aufgehenden Mondes hing schon über den mächtigen alten Bäumen. Es roch verheißungsvoll nach Erde, feuchtem Laub und Frühling.

      Als ich in die Nähe des Konzerthauses kam — ein ganz moderner Bau, erst nach dem Krieg errichtet, und eigentlich viel zu groß für unsere kleine Universitätsstadt —, sah ich eine Menschenmenge. Es waren vorwiegend junge Leute, das, was man heutzutage Teenager und Halbstarke nennt. Sie versuchten, die Kette der Polizisten, die eine Absperrung bildeten, zu zerreißen, und gerade als ich mich näherte, gelang es ihnen.

      Im ersten Augenblick glaubte ich, daß sich die Menschen um eine Unglücksstelle drängten, aber dann fiel mir ein, daß heute nachmittag im Konzerthaus eine Fernsehveranstaltung stattgefunden hatte. Anscheinend war sie gerade zu Ende, denn während die Jugendlicher zum Konzerthaus stürmten, strömte das Publikum heraus. Es kam zu Zusammenstößen, Schimpfworte flogen hin und her, der Polizei gelang es offensichtlich nicht, Ordnung zu schaffen.

      Eine Weile schaute ich mir den Tumult aus sicherer Entfernung an, überlegte mir, ob solche Zeiterscheinungen auch zur Technisierung der Freizeitgestaltung zu rechnen waren, dann wurde mir die Sache zu dumm, und ich beschloß, mich aus dem Staub zu machen. Das Hauptportal und der Künstlereingang waren von Menschen blockiert. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich an der stillen, fast unbeleuchteten Seite des Konzerthauses vorbeizuschlängeln.

      Ich hatte fast die Rückseite des Gebäudes erreicht, als ich sah, wie wenige Schritte vor mir die Flügel eines Fensters im Hochparterre von innen aufgestoßen wurden. Ein junger Polizist sprang federnd heraus, richtete sich auf, streckte seine Hand nach oben und sagte: »Kommen Sie!«

      Gleichzeitig näherte sich eine stattliche Limousine, die vorschriftswidrig an der linken Fahrbahnseite stoppte. Meine Neugier war geweckt. Ich blieb stehen und starrte hinauf.

      Ein Herr im Wintermantel und Hut kletterte aus dem Fenster, sprang auf die Straße — nicht ganz so elastisch wie der junge Polizist. »Ach, verdammt!« sagte er und rieb sich seinen rechten Knöchel. Der Hut war ihm vom Kopf geflogen, der Polizist lief hinterher, hatte ihn nach wenigen Schritten eingeholt und brachte ihn zurück.

      »Danke«, sagte der Herr und stülpte sich den Hut wieder auf das blonde, leicht zerzauste Haar. Dann plötzlich sah er mich, und ich errötete unwillkürlich unter seinem Blick — nicht, weil er mich als Mann beeindruckt hatte, sondern weil mir zu Bewußtsein kam, daß ich mit offenem Mund wie ein Schulmädchen dagestanden und ihn angestarrt hatte. Ich gab mir einen Ruck und setzte mich in Trab, um weiterzugehen.

      Er deutete meine Reaktion offensichtlich falsch. »Na, Sie sind ja eine ganz Gerissene, mein Fräulein«, sagte er halb ärgerlich, halb geschmeichelt.

      »Wieso?« fragte ich ahnungslos.

      »Na, kommen Sie her, ich weiß schon, was Sie wollen!« Er holte eine Fotografie aus der Innentasche seiner Jacke, drückte sie mir in die Hand. »So — und nun verschwinden Sie, aber rasch.«

      Ich starrte von der Fotografie auf den seltsamen Vogel, der sie mir zugesteckt hatte. »Was soll ich damit?« fragte ich hilflos.

      Der Mann hatte sich schon zum Gehen gewandt. Er drehte sich plötzlich noch einmal um. »Haben Sie etwa kein Autogramm gewollt?«

      »Natürlich nicht. Ich kenne Sie ja gar nicht.«

      Seine Augen wurden groß vor Verblüffung. »Was? Wollen Sie allen Ernstes behaupten, Sie kennen Hans Ullrich Garden nicht?«

      Als ich den Namen hörte, ging mir ein ganzer Kronleuchter auf. Natürlich wußte ich, wer Hans Ullrich Garden war — jeder weiß es. Hans Ullrich Garden galt als der Quizmaster des Fernsehens. Trotzdem sagte ich — und es entsprach der Wahrheit: »Ich habe Sie noch nie gesehen.«

      »Das darf doch nicht wahr sein!« sagte er voll ungläubigen Staunens.

      Dann packte er mich beim Handgelenk und zerrte mich zum Auto. Als der Wagenschlag von innen geöffnet wurde, steckte er seinen Kopf hinein und sagte: »Stellen Sie sich vor, Lewin, was ich für einen Fang gemacht habe! Ein junges Mädchen«, er wandte sich mir zu, musterte mich prüfend und sagte dann, wieder in den Wagen hinein: »Etwa zwanzig Jahre alt, das noch nie etwas von Hans Ullrich Garden gehört hat! Was sagen Sie dazu?«

      Aus dem Innern des Wagens ertönte ein boshaftes Kichern, und eine helle Stimme sagte: »Ein schwerer Schlag für Ihre Eitelkeit, wie?«

      Hans Ullrich Garden lachte vergnügt. Entweder war sein Selbstbewußtsein so groß, daß man ihn nicht kränken konnte, oder er nahm sich doch nicht so ernst, wie es den Anschein hatte.

      »Na, steigen Sie schon ein, Süße!« sagte er und wollte mir in den Wagen helfen.

      Ich versuchte, mich seinem Griff zu entziehen. »Aber nein! Warum? Ich will doch nicht …«

      Ohne auf meinen Protest und meine Abwehr zu achten, schob er mich auf den Rücksitz des Wagens, und wenige Sekunden später war ich ihm fast dankbar dafür, denn jetzt hatten die Fans den Quizmaster und das Auto entdeckt und rasten wie eine wilde Horde durch die dunkle schmale Straße auf uns zu, Bestimmt war jeder einzelne dieser jungen Leute für sich allein ziemlich harmlos, möglicherweise sogar liebenswert. Aber wie sie da grölend, mit aufgerissenen Mündern und funkelnden Augen auf uns zustürmten, eine wilde, fanatisierte Masse, erschrak ich bis ins Herz hinein. Ich schloß die Augen