Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
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spuken hier gefährliche Wirbel und Strudel, die sogenannten Mahlströme. Sie können kleineren Booten zum Verderben werden. Wir werden noch darüber hören. Beginnt doch hier das Dämmerland der Sagas; aber von hier aus wurden Island, Grönland und – lange vor Kolumbus – Amerika entdeckt; von hier aus gingen die ersten Weitfahrten nordatlantischer Männer in alle Richtungen der Windrose. Von Skandinavien aus wurde das antike Erbe teils zerstört, teils übernommen. Vom Nordkap bis Konstantinopel wurde eine blonde Ära eingeleitet. Die ersten Kiele wurden gelegt für eine abendländische Seeherrschaft, deren Kulmination England hieß und die ihren zenitalen Glanz um 1900 aufwies. Ein golfstromgezeugter Glanz, unruhig und wechselvoll, doch unverändert an den Atlantik gebunden, ganz gleich, wer die Erbschaft jeweils vorbereitete, übernahm oder übernehmen wird.

      *

      Zwischen Island und der Arktis entzieht sich der Golfstrom gern der direkten Ortung. Aber überall zeigt er sich wirksam. Und der alte Götterstreit mit den Riesen scheint hier sein Urbild zu haben. Die „brüllenden Vierziger“ muten sänftlich an gegen die höheren Breiten, darin der Golfstrom zum letzten Male seine Windmühlen spielen läßt, ausgerechnet in den, neben der Neufundlandgegend, saftigsten Fischwaidgründen. Gegen selbstgebraute Schneestürme, gegen Gezeitenschwell und Polarströmungen setzt er sich rüstig durch. Die Meeresoberfläche weist auf siebzig Grad Breite noch eine Wärme von fünf Grad Celsius auf. An der USA-Küste muß man bis auf den fünfundvierzigsten Breitengrad äquatorzu wandern, um, etwa bei Neuschottland, das gleiche zu finden. Norwegen verdankt diesem Umstand seine eisfreien Häfen und Fjorde. Ohne den Golfstrom wäre auch Murmansk nicht der einzige eisfreie Hafen Rußlands. Der weit südlicher gelegene von Petersburg friert Winter für Winter zu, wie auch die übrigen Ostseehäfen. Hat doch sogar Oslo, nur einen Katzensprung um die Ecke vom Segen des Golfstroms entfernt, wintersüber eine Menge Eisbrecherarbeit nötig, um der Schiffahrt eine Fahrrinne offenzuhalten. Und während in Tromsö die ersten Veilchen blühten, konnte man 1954 den Bosporus zu Fuß überqueren, welch eisiges Ereignis seit dem Jahre 1200 oder seit 1200 Jahren – die Gazetten waren sich nicht einig – nicht gebucht worden war. Es hegte daraufhin jemand die Idee, das Rote Meer hätte dem Volke Israel einen ähnlichen Zufall beschert, als es auf dem Wege war, sich von der ägyptischen Kultur abzusetzen.

      An der alten Vulkaninsel Jan Mayen und an der nebelumwogten, noch einsameren Bäreninsel vorbei streicht die äquatoriale Ahnung bis gegen Spitzbergen, immer noch bis auf hundert Meter lotbar, und teilt sich vor dem spitzen Südschelf. Als Nordkapstrom streichelt er ums „Gesäß des norwegischen Bären“ und macht die Barentssee befahrbar, bis er sich unter den spiegelnden Nordlichtern in der Tiefe verliert. Der andere Zweig feiert an der Südwestküste Spitzbergens die nördlichsten Golfstromtriumphe, indem er die Treibeisgrenze fast bis zum achtzigsten Grad hinaufschiebt. An der USA-Küste reicht diese hinunter bis zum fünfunddreißigsten Breitengrad, das wäre etwa in der Höhe von Baltimore. Auf der andern Seite Spitzbergens trifft man auf trostlose Arktis, aber an der begnadeten Kante läßt der Golfstrom in den Sommermonaten Juni bis August unter mehr als hundert Pflanzen auch Mohn, Anemonen und Steinbrech blühen. Die Gegend ist vom ewigen Eise des Nordpols nicht weiter entfernt als London von Oslo oder New York von Illinois oder Berlin von Paris, eine Strecke, die das Flugzeug in wenigen Stunden durchmißt.

      Dann aber ist es aus mit der atlantischen Warmwasserheizung. Ihre letzten bisher meßbaren Strahlungen verlieren sich unter den achaten schimmernden Fluten und den Packeisfeldern des Eismeeres.

      *

      Obwohl kaltes Wasser bekanntlich schwerer ist als warmes, vermag das Golfstromwasser kraft seines größeren Salzgehaltes das salzarme Polarwasser zu untertauchen. Wir sagten schon, es ist nicht ausgeschlossen, daß seine Spuren unterm Eise zu guter Letzt doch den Pazifik erreichen. Wie denn auch die letzten Ausläufer des Nordkapstromes an Sibirien entlang über Ost womöglich die Belohnung des langen Weges finden, und wären es auch nur ein paar Tropfen aus der Karibischen See, die, sich vereinend mit denen, die über West hereinsickern, wie Freudentränen durchs Beringmeer in den ersehnten Großen und Stillen Ozean münden. Und dann eisgekühlt mit dem Oya-Schio-Strom einschwingen in den Nordpazifischen Strom und gen Kalifornien reisen, dort gemeinsam mit den aufquellenden Tiefenwässern die heißen Gestade kühlen und, schließlich, nach Westen drehend, den Anschluß erreichen an den Nordäquatorialstrom auf der pazifischen Seite des Hindernisses Mittelamerika, das zu so weitem Umweg gezwungen.

      Dann geht es in den ungeheuren Einsamkeiten an Hawaii vorbei und an verlorenen Atollen, und irgendwann knallt ein kilometerhoher Rauchpilz in den Himmel, und meilenweit sterben die Fische in den radioaktiven Giften militärischer Massenmordexperimente, und die Lungen der Fischer stinken, bedroht von Zerfall. Aber der Atem der Meeresströme duftet rein wie am ersten Schöpfungstag.

      Lang ist der Weg bis Insulinde, wo die Wasser nach Süden und Norden auseinanderprallen (der gen Nord gehende Kuro-Schio ist der Golfstrom Japans), und nur schmale Strähnen finden in den Indischen Ozean, und wieder steht eine Schranke im Weg, der Klotz Afrika, und wieder beginnt das Ausweichen, diesmal nach Süden, herum ums Kap der Guten Hoffnung mit dem Agulhasstrom in den Atlantik und wieder gen Nord mit dem Benguelastrom und mit diesem einfließend in die Südpassatdrift und wieder gen Brasilien und hinüberschwingend in den Nordwestpassat und, von ihm getrieben, die berüchtigte Pfefferküste hinauf, an der Teufelsinsel vorbei wieder hinein in das Schlangenmaul und den Drachenschlund und in die See der Kariben. So kommt das letzte wieder zum ersten und zurück zu dir, Tlaloca.

      Das ist ein Teil des wunderbaren Kreislaufes, der über unabsehbare Entfernungen durch die Ozeane der Welt geht und dessen großartigste Erscheinung der Golfstrom ist.

      *

      Runter die Mütze, Kuddl,

      (dohl mit de Klott!)

      dies ist der Golfstrom.

      Wird dir warm unterm Hemd?

      Ja, das kitzelt von tief her,

      das Ziehende, Schmatzende,

      durch den Schiffsbauch durch

      bis ins Gedärm.

      Und so glitzrig, so blau, so harmlos manchmal

      wie ein Meerweib auf einem Seebadplakat

      und, Deubel noch mal zu,

      mit allen Wettern gewaschen.

      Das streichelt dahin,

      tiefer, als jeder Fabrikschornstein hoch ist,

      oder die gesamte Takelage nebst Kirchturm

      oder Wolkenkratzer und verschiedne Gebirge

      und genau so tückisch

      und schon so gräßlich lange,

      eh es noch so viel Kram gab

      und eh unsere Vorgroßväter sich von Ast zu Ast

      in unsere glorreiche Gesittung schwangen.

      Mahlzeit!

      Und dies nasse Gesäusel

      hat schon die Nina gehätschelt,

      auf der jener Phantast und Geschäftsmann

      Don Cristoforo Colon

      – als Jungs nannten wir ihn Klumbumbus –

      heimseilte, nachdem er den Bahamas

      und den Inseln unter und über dem Winde

      eine schlimme Entdeckung gewesen.

      Höchst symbolisch war inzwischen sein Flaggschiff,

      die Santa Maria (Beschützerin der Unschuld),

      zu Bruch gegangen.

      Aber vor ihm waren schon andre auf der Route,

      die kleinen Barken von Plymouth Sound

      und Dieppe und Bilbao

      und die vom Clyde und von Cobh

      und wo immer Europa die Visage

      schnuppernd in die Kimm reckt.

      Unglaubliche