Es macht mich so unglaublich wütend, wenn ich daran denke. So wütend und sauer, dass die ganze Gedankenübertragungssache darin untergeht, wenn ich es versuche. Deshalb funktioniert es bestimmt auch nicht. Zur Gedankenübertragung braucht man die strahlende Energie der Liebe, heißt es im Buch. Aber das geht halt nicht, wenn man wütend ist. Jedenfalls nicht bei mir. Vielleicht könnte man es mit irgendeiner Magie gegen Wut versuchen… Dazu steht auch was im Buch.
Wut bei Liebeskonflikten:
Male einen Kreis auf den Boden. Schreibe den Namen oder die Namen der Person(en) rein, auf die du wütend bist. Schreie und Fluche und klopfe mit einem Schuh 108 Mal in den Kreis. Werfe dann den Schuh über die linke Schulter und sieh dich nicht um.
Wie eigenartig! Ich suche ein Stückchen Kreide aus meiner Federtasche. Es ist eins von denen, die Kasper mal nach mir geworfen und die ich aufgehoben habe. Das ist jetzt aber auch ganz egal. Ich hasse ihn irgendwie, nach allem, was passiert ist.
Wo soll ich denn bloß einen Kreis malen? Sicher nicht draußen auf dem Bürgersteig, wo es alle sehen können!
Ich gehe ins Badezimmer und mache die Dusche an, damit man mein Schreien nicht hören kann. Dann male ich einen Kreis auf die Fliesen und schreibe Helena und Julie rein. Ich ziehe meinen einen Schuh aus und haue ihn auf den Boden, während ich laut schreie:
„Ahhhhh!“
Es fühlt sich völlig bescheuert an. Trotzdem werfe ich den Schuh über die Schulter und drehe ihm den Rücken zu.
Es poltert gegen die Tür. „CILLLLLEEEEE!“ Es ist Malthe. „Wir wollen um den Krokodilsee radeln.“
„Ok, viel Spaß“, rufe ich zurück. Der Türgriff bewegt sich wild hoch und runter. Gut, dass ich abgeschlossen habe und der kleine Terrorist nicht rein kommt. Es ist beinahe unmöglich, irgendetwas zu machen, ohne dass er angetanzt kommt.
„Was machst du denn?“ Malthe hämmert wieder gegen die Tür.
„Ich spiele Pirat.“
„Kann ich mitmachen?“
„Nein!“
„Sag mal, hast du das Wasser laufen, ohne unter der Dusche zu sein?“ Es ist die Klimapolizei. Mamas Stimme klingt böse, während sie schnelle, kleine Klopfer gegen die Tür schlägt. „Ist dir klar, wie viel Geld du da verpulverst? Und wie viel Wasser einfach verschwendet wird? Das sind mal eben 20 Liter pro Minute!“
„Ja, ja, ich mache schon aus!“
Ich bin langsam wirklich dabei, zu viel von ihr zu kriegen; eine Überdosis. Wenn ich mich nie wieder mit Helena und Julie vertrage und für immer und ewig hier im Haus sitze, drehe ich noch durch.
Oh man, wie ich meine Freundinnen vermisse. Ich muss sie einfach erreichen. Ich bin überhaupt nicht mehr sauer, kein Stück. Ich betrachte mich im Spiegel. Die Falte auf meiner Stirn hat sich geglättet und ich kann im ganzen Körper spüren, wie meine Wut verflogen ist. Wie krass. Die Magie funktioniert!
Das Buch liegt auf meinem Bett und ich bin endlich alleine zu Hause. Es gibt ein Kapitel über Kontakte. Ich muss rausfinden, wie ich Julie dazu bringe, sich zu melden.
Kontakt mit Geistern. Kontakt mit Verstorbenen. Kontakt zu dir selber. Kontakt mit Menschen.
Kontaktmagie:
Zeichne mit blauer Tinte einen Engel auf ein Stück Papier. Nimm das Papier in die Hand und sage: „Geehrtes Element Luft, ich möchte, dass (Name der Person) mit mir Kontakt aufnimmt. Hilf mir, diese Nachricht zu übermitteln.“
Schließe dann die Augen und stelle dir vor, wie die Person dir schreibt.
Ich male einen Engel mit großen Flügeln. Fuck, sieht der hässlich aus. Ich kann überhaupt nicht malen. Aber das macht bestimmt nichts. Ich schließe meine Augen und sage:
„Geehrtes Element Luft, ich möchte, dass Julie mit mir Kontakt aufnimmt. Hilf mir, diese Nachricht zu übermitteln.“
Ich habe die Augen noch nicht einmal wieder auf, bevor eine SMS von Julie mein Handy piepsen lässt. Sie ist an Helena und an mich. Julie sagt, sie will, dass wir alle zu ihr nach Hause kommen. Sie vermisst uns und sie liebt uns und kann nicht ohne uns leben. Sie sagt, sie ist sich sicher, sie wird in Portugal eingehen, wenn wir uns nicht vertragen, bevor sie abreist.
Mein Herz schlägt aufgeregt. Ich lege meine Hände auf das Magische Buch und sehe auf den Engel. Es ist unfassbar. Vollkommen unwirklich, dass ich so ein Buch habe. Aber auch grausam, dass ich es gestohlen habe. Irgendwann muss ich es zurückbringen. Aber nicht genau jetzt, nicht heute.
Wiedersehen
Ich fahre auf den letzten 100 Metern vor Julies Haus langsamer. Wie es wohl wird, die beiden wieder zu sehen? Ich weiß nicht genau, ob ich ihnen freudig an den Hals springen oder mich eher etwas zieren sollte.
Helenas Fahrrad ist noch nicht da. Sie stellt es sonst immer in die Einfahrt.
Also bin ich die erste. Die Tür geht auf und Julie steht in einem neuen Outfit da. Ein tolles, weißes Strandkleid mit Bikini drunter.
„Ohh, Cille! Komm schnell her“, sagt sie mit Hundeaugen und ausgebreiteten Armen. Sie ist bereit für eine Mega-Umarmung.
Ich drücke sie fest an mich, sauge den Duft ihrer Haare ein und schließe meine Augen. Ich bin kurz davor, zu heulen, aber ich kann mich gerade noch so zurückhalten. Ich habe keine Lust, hier rumzuschluchzen.
Aber ich gebe Julie ein Küsschen auf die Wange und sie drückt mir auch eins auf, bevor sie mich mit in ihr Zimmer zieht. Fuck. Es ist so unglaublich gut, dass alles wieder in Ordnung ist!
Julie hat den Tisch mit Tee und solchen super leckeren Keksen gedeckt, die ihre Mutter backt. Sie hat auch Kerzen angemacht und es riecht nach… Ja, nach was eigentlich?
„Riechst du es?“, fragt Julie mit großen Augen. Sie ist so hübsch. „Das ist Lavendel. Hab´ ich aus dem Kult.“
„Habe ich mir schon gedacht… Es riecht so gut“, sage ich und frage mich, ob es wohl normal ist, fast ganz verliebt in seine Freundin zu sein. Also, es ist ja nicht so, wie bei Kasper. Es ist bestimmt nur, weil ich so fertig war wegen dem Streit.
„Ich habe das Lavendelöl gekauft und das hier…“ Julie schwingt ein kleines Pendel. Es hängt an einer Silberkette und hat eine Perle am Ende. „Es ist aus Bergkristall“, sagt sie fröhlich und reicht es mir.
Es gibt auch ein Kapitel über Pendel im Buch, aber so weit habe ich noch nicht gelesen. Ich weiß nur, dass man dem Pendel Fragen stellen kann und es dann antwortet, indem es auf die eine oder andere Art schwingt.
Aber das mit dem Buch sage ich noch nicht. Wir müssen uns erst wieder richtig vertragen, 100 Prozent und für eine ganze Weile. Vielleicht hält sie mich auch für einen Dieb. Und das bin ich ja auch, irgendwie. Doch ich werde das Buch ja zurückbringen. Oder sparen und es bezahlen, das habe ich mir geschworen. Aber ob Julie das versteht?
„Was ist mit Helena?“, frage ich.
Julie zuckt mit den Schultern. „Ich habe nichts von ihr gehört.“
„Auch keine SMS?“
„Nope.“
Wir setzen uns an den Tisch und Julie schenkt Tee ein. Sie macht auch einen Löffel Zucker in jede Tasse. Wir haben ihn von zwei Löffeln reduziert. Helena nimmt natürlich gar keinen Zucker mehr.
„Glaubst du, sie ist schon weg?“ Ich verbrenne mir die Zunge am Tee. Typisch.
„Nee, erst Morgen.“
„Vielleicht wurde es verschoben“,