Mehr dazu findest du im WissensRaum der Es-Welt unter dem Begriff der bezogenen Individuation (S. 80).
Der erste Hinweis auf Veränderungsbedarf zeigt sich oft in somatischen Markern
Wir können uns voll Vertrauen darauf verlassen, dass uns unser Organismus permanent Hinweise darauf gibt, wie derzeitige innere, äußere Situationen und die Wechselwirkungsräume dazwischen gerade »bewertet« werden. Manchmal spürbar wie bei unserer Maus durch ein kleines Rauschen, oder etwas kribbelt im Bauch, etwas zieht, und wir spüren einen Sog oder ein Unstimmigkeitsgefühl – irgendetwas passt hier nicht. Wie wir dann damit umgehen, wie wir diese Signale aufnehmen, bewerten und welchen Rahmen und Raum wir ihnen geben, hat wieder mit unseren bisherigen Erfahrungen zu tun – auch das läuft zunächst unwillkürlich oder sogar unbewusst ab. Wir können aber auch, und manchmal geschieht das gleichzeitig, ganz bewusst willentlich, je nach Lebenssituation und Kontext, unseren Umgang mit diesen Signalen gestalten. Dies stellt eine ganz wichtige Prämisse des hypnosystemischen Arbeitens dar.
Aus der Geschichte mit unserer Maus wissen wir: Dieses Rauschen wird zunächst von ihr nur als Rauschen wahrgenommen – ein Rauschen, noch nicht eingebettet, noch nicht eingeordnet, zunächst nur ein Rauschen. Sobald wir diesem Rauschen unsere Aufmerksamkeit zuwenden, können wir neugierig beobachten, was uns innerlich gerade bewegt. Welche Bilder – visuell, akustisch, körperlich empfunden5 – gerade auftauchen, wie unser Körper reagiert, welches Erleben er gerade unterstützt und anbietet. Wir können dem Rauschen unsere Aufmerksamkeit bewusst zuwenden, es kann aber auch unwillkürlich geschehen, weil das Rauschen so laut und schrill geworden ist oder weil es einfach nicht mehr aufhört und trotz Bemühungen nicht mehr weg geht.
Vergleiche dazu im WissensRaum der Ich-Welt das dreiteilige Gehirn (S. 44).
Wir nehmen eine Beobachterinnenposition ein und schauen, horchen und spüren in uns hinein.
Vergleiche dazu im ErlebnisRaum der Ich-Welt den Aufbau einer Beobachtungsposition (S. 60).
Es interessiert uns, wir beobachten es – die Aufmerksamkeit wird darauf fokussiert
Wir interessieren uns für diese Prozesse, die da erlebbar werden. Unsere inneren Welten sind spannende Orte. Die Signale, die auftauchen, seien sie noch so diffus und mit unserem gerade vorherrschendem bewussten Wissen um uns vielleicht nicht sofort versteh- und einordbar, bewerten wir als Bemühen unseres Organismus, unserer unwillkürlichen, intuitiven Weisheit, uns Orientierung zu geben, uns Informationen und Hinweise über Anliegen und Bedürfnisse zu geben, die unserer bewussten Ich-Welt (noch) nicht erschlossen sind.
Und so wie unsere Maus zunächst allein mit dem Rauschen ist und dann auf ihrem Weg zur Erforschung des Rauschens Wegbegleiter findet, so bemerken auch wir, dass wir manchmal Begleiterinnen, Waschbären, also Coaches, Beraterinnen oder Therapeutinnen auf unserem Weg gut gebrauchen können. Dass es manchmal gar nicht möglich ist, ganz für sich alleine die Beobachtungsposition einzunehmen und zu halten. Dass es Sinn macht, sich von anderen, deren Blick, deren Anderssein, deren Weisheit aus deren Welten zur Unterstützung der eigenen Prozesse zu gönnen. Einladungen, gemeinsam das Rauschen zu beobachten und ihm einen Raum zu geben, gemeinsam neugierig zu lauschen, gemeinsam die nächsten Schritte zu erahnen und die intuitiv vorhandenen Erfahrungen zu nützen.
Das Erforschen des Rauschens braucht BegegnungsRäume mit Haltung
Hier möchten wir uns jenem Beziehungsraum, Begegnungsraum, Kooperationsraum, diesem ganz besonderen Kontext widmen, der zwischen Mäusen und Waschbären, zwischen Menschen, die in herausfordernden Situationen Unterstützung suchen, und Begleiterinnen dieser Reisen, hilfreich gestaltet wird und entstehen kann. Dieser Raum findet sowohl in der äußeren Welt als auch zwischen den Beteiligten eine Entsprechung und kann auf beiden Ebenen so gestaltet werden, dass Wahrscheinlichkeiten auf hilfreiche Prozesse erhöht werden.
So wie der äußere Raum – z. B. der jeweilige Raum, wo die Begleitung stattfindet – Wohlbefinden und Stimmigkeit für die Begleiterin repräsentieren kann (In welchem Umfeld fühlt sich Waschbär zu Hause? Was erlebt er als artgerecht und seinen Bedürfnissen gerecht werdend?), so können Aussagen, Gesten, Haltungen, Wortwahl u. v. m. einen Blick auf die innere Welt der Begleiterin freilegen. Die Beziehungsräume, in denen wir uns begegnen – Reisende, Mäuse, Waschbären –, werden zumeist unwillkürlich und oft sogar unbewusst gestaltet, laden Menschen implizit in diese Welt ein und können ganz bewusst genutzt und gestaltet werden. Nicht im Sinne eines linear-kausalen, einseitigen Prozesses, sondern vielmehr als ein gemeinsames Gestalten.
Diese Prozesse, die in und zwischen Menschen sekündlich ablaufen, sind vielschichtig und komplex, und wir möchten hier wieder darauf hinweisen, dass wir darum bemüht sind, zum leichteren Verständnis, diese Prozesse wie linear zu beschreiben (mit der Gewissheit, dass es so etwas wie Linearität im Bereich lebender Systeme gar nicht geben kann).
Wir möchten nun Begrifflichkeiten aus der bereits erwähnten Polyvagaltheorie einführen, die uns relevant erscheinen, den Begegnungsraum zwischen Mäusen und Waschbären zu gestalten. Um gut mit Menschen in Kontakt zu gehen, brauchen wir Sicherheit – nur dann ist es auch möglich, Nähe zuzulassen und herzustellen. Um einen hilfreichen gemeinsamen Begegnungsraum zu gestalten macht es daher Sinn – das ist unsere Erfahrung –, für diese Sicherheit zu sorgen. Da wir keinen direkten Einfluss auf unsere Klientinnen haben, haben wir zunächst vor allem die Möglichkeit, uns selbst in äußere und innere sichere Räume zu begeben. Intuitiv machen wir das, wenn wir unsere äußeren Räume so einrichten, dass wir uns wohlfühlen. Dass das Sein in unseren Räumen innere Stimmigkeit ermöglicht. Wir richten uns ein. Da sind Farben, Formen und Gegenstände, die mit uns im Einklang sind, die auf einer bestimmten Ebene uns zeigen. Ähnlich kann auch unsere innere Welt gestaltet werden – was brauchen wir, um uns sicher zu fühlen?
Hör dir dazu die Taschentuch-Trance im BegegnungsRaum des Reisebeginns an (S. 33).
Ohne dass es uns bewusst sein muss und ohne unser Zutun signalisiert unser Organismus unentwegt unseren eigenen emotionalen Zustand. Dieser zeigt sich laut Stephen Porges in unserem Gesicht, vor allem im oberen Gesichtsbereich (der Augenringmuskel spielt dabei eine zentrale Rolle – durch ihn zeigen wir besonders sichtbar für andere Freude und Zuneigung), in der Intonation unserer Stimme (Prosodie) und auch durch unsere Gesten und Körperspannung.
Um unsere BegegnungsRäume für uns selbst möglichst sicher zu gestalten und um die Wahrscheinlichkeit für Sicherheitsgefühle unserer Gegenüber zu erhöhen, können wir auf diese Basis achten. Und gleichzeitig, so sehr auch »die Chemie« zwischen zwei Menschen stimmen mag, sind es immer noch zwei Menschen, die sich aus verschiedenen inneren und äußeren Welten annähern und die Bezug, Kommunikation und Entwicklung ermöglichen möchten. Begleiterinnen bringen in den beratenden, therapeutischen Kontext nicht nur ihre gelernten Methoden und ihre diesbezüglichen Erfahrungen mit, sie bringen sich als ganze Menschen selbst ein. Ihre Lebenserfahrungen, ihre Bindungserfahrungen, ihre Beziehungserfahrungen, all ihre Erfahrungen auf allen Gebieten ihres Lebens. Wenn also zwischen Begleiterin und jenen Menschen, die gerade auf dem Weg sind, ihr Rauschen kennenzulernen, »die Chemie stimmt« – und das entscheidet sich zumeist in wenigen Sekunden –, dann stimmt die Chemie mit dem ganzen Menschen und nicht nur mit der von ihr eingebrachten Methoden oder den angebotenen Interventionen.
Menschen begeben sich dann in Beratung oder Psychotherapie und gehen dann auf ihre Reise, wenn sie mit den ihnen derzeit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten keine für sie befriedigenden Ideen für die Herausforderungen ihres Lebens mehr finden