Und die Maus hört ein Rauschen. Martina Gross. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Gross
Издательство: Bookwire
Серия: Reden reicht nicht!?
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849782429
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      •Zwei Bewertungssysteme »hin zu/weg von«

      •Neurozeption willkürlich/unwillkürlich – bewusst/unbewusst

      •Aufmerksamkeitsfokussierung

      •Haltung

      •Pacing

      •Räume

      Zur leichteren Orientierung möchten wir dir den WissensRaum mit Hilfe von sogenannten Statements anbieten. Diese bieten einen Überblick über die Themen, die wir für den Reisebeginn als nützlich erleben.

      1)Informationen zu Stimmigkeit-Unstimmigkeit laufen blitzschnell, permanent unwillkürlich und auch oft unbewusst in uns ab.

      2)Über somatische Marker greifen wir auf unseren gesamten Erfahrungsschatz zu.

      3)Auf der Ebene der somatischen Marker verfügen wir über zwei voneinander unabhängige Bewertungssysteme.

      4)Der erste Hinweis auf Veränderungsbedarf zeigt sich oft in somatischen Markern.

      5)Es interessiert uns, wir beobachten es – die Aufmerksamkeit wird darauf fokussiert.

      6)Das Erforschen des Rauschens braucht BegegnungsRäume mit Haltung.

      7)Wir wissen zu schätzen, was auftaucht (Eigenpacing).

       Informationen zu Stimmigkeit-Unstimmigkeit laufen blitzschnell, permanent unwillkürlich und auch oft unbewusst in uns ab

      Wir alle kennen diese kleinen Signale, die uns unser Organismus zur Orientierung zur Verfügung stellt. Dadurch bekommen wir blitzschnell Rückmeldung, wie das, was uns in der äußeren Welt oder auch in der inneren Welt gerade begegnet, von unserem Organismus eingeschätzt wird. Droht Gefahr für unsere Stabilität, oder dient es unserer Stabilität und Sicherheit? Vielleicht nennst du es »Bauchgefühl« oder auch »Intuition«, manche nennen es »Stimmigkeit« – Gunther Schmidt spricht oft vom »Untrüglichen Wissen des Organismus« (Schmidt 2007). Stephen Porges, der Begründer der Polyvagaltheorie, die wir später noch erläutern werden, schlägt dafür den Begriff der Neurozeption vor (Porges 2019).

      Die Entwicklung unseres Gehirns beruht auf all den Erfahrungen, die unser gesamter Organismus in Wechselwirkung mit all den Umwelten macht – von zunächst labilen Verschaltungen im Gehirn hin zu immer komplexeren Schaltkreisen. Viele Teile unseres Gehirns sind bereits weit vor der Geburt ausgereift und speichern jene Vorgänge, die im Inneren des Körpers ablaufen – dies entspricht einem völlig unbewussten Informationsfluss. Hier werden Muster neuronaler Netzwerke und somit der Zustand des Organismus abgebildet, die von Antonio Damasio als »somatische Marker« (Damasio 1997, S. 227–276) bezeichnet werden. Wir erleben diese Signale oft nur recht undifferenziert, und zumeist sind sie schwer oder gar nicht beschreibbar und in Worte zu fassen. Diese Erfahrungen des Organismus dienen uns als Referenzsystem für die Bewertung von eigenen Erfahrungen, die auf der Ebene von Körpersignalen beschrieben, erlebt und auch genützt werden können.

       Über somatische Marker greifen wir auf unseren gesamten Erfahrungsschatz zu

      Alles, was ein Mensch erlebt und macht, wird nicht nur als Erfahrung gespeichert, sondern immer auch mit einer Bewertung dieser Erfahrung versehen. Diese diffusen Körpersignale können spürbar unterschieden werden in eher angenehme und eher unangenehme Gefühle – sie stellen eine Orientierung für den Organismus dar, um sich in der von ihm vorgefundenen Umwelt bestmöglich im Sinne des Überlebens zurechtzufinden.

      Wir möchten hier die Metapher der Wächterin anbieten – lokalisiert im Bereich des Stammhirns –, die ständig und in jeder Sekunde unseres Lebens, auch dann, wenn wir schlafen, über unsere äußere Welt, unsere Umwelt und auch unsere körperlichen Befindlichkeiten und Prozesse wacht. Diese Instanz bemerkt kleinste Veränderungen, kleinste Reize, und gleicht diese blitzschnell mit unseren bisherigen Erfahrungen ab. Sehr schnell und daher auch etwas ungenau bekommen wir eine Einschätzung, ob das, was gerade wahrgenommen wird, eher zu unserer Stabilität beiträgt oder eher eine Gefahr sein könnte. Vor allem auf Gefahr können wir blitzschnell reagieren. Unser Organismus stellt sofort alles zur Verfügung, um für den Umgang mit dieser Gefahr gerüstet zu sein.

      Unser gesamter Organismus ist stets um eine gute Balance, eine Homöostase bemüht. Er gleicht aus, fügt hinzu, fährt Prozesse runter oder rauf – immer im Sinne des Überlebens und einer möglichst optimalen Anpassung an die vorgefundenen Umwelten. Und das alles ohne unser willentliches Zutun – diese Prozesse laufen ganz unwillkürlich, zumeist unbewusst ab. Nehmen wir unser Herzkreislaufsystem, wenn wir uns schneller bewegen oder bergauf unterwegs sind: Der Organismus erkennt, dass mit dem derzeitigen Sauerstoffgehalt im Blut und mit der derzeitigen Herzfrequenz die Aufgabe nicht zu lösen ist – es entsteht ein Ungleichgewicht. Und so wird die Atmung verändert, der Herzschlag angepasst, was dem Organismus ermöglicht, auch diese Herausforderung zu meistern.

      Hier möchten wir auf die Begriffe »unwillkürlich – willkürlich – unbewusst – bewusst« eingehen: Unwillkürliche Prozesse können unbewusst ablaufen, so wie z. B. die vielen kleinen, permanent ablaufenden Erneuerungsprozesse unserer Haut oder in unseren Zellen uns nicht bewusst sind und auch von uns willentlich nicht beeinflusst werden können. Andere unwillkürliche Prozesse, beispielsweise unsere Atmung, können wir uns bewusst machen und sie auch willentlich beeinflussen (jedoch nicht willentlich beenden). Man könnte sagen, unser Körper ist die ganze Zeit dabei, so gut für uns zu sorgen, dass wir uns um viele Details bewusst-willentlich nicht kümmern müssen.

      Mehr dazu findest du im WissensRaum der Körper-Welt (S. 100).

      Diese Signale, die der Organismus zur Verfügung stellt, müssen, vor allem beim Entdecken von Gefahren, nicht unbedingt immer richtig liegen. Das heißt, wenn unser Organismus sich auf die Abwehr von Gefahren oder auch den Schutz vor Gefahren einrichtet, so müssen diese in der gerade erlebten Situation nicht als tatsächliche Gefahren bewertet werden. Unser intuitives Wissen greift zurück auf das durch Erfahrung erworbene Referenzsystem.

       Auf der Ebene der somatischen Marker verfügen wir über zwei voneinander unabhängige Bewertungssysteme

      Anders als lange Zeit angenommen, sind hier keine Pole eines Kontinuums zu entdecken, sondern vielmehr zwei Bewertungssysteme zu lokalisieren, die unabhängig voneinander arbeiten und auch unterschiedlichen neuronalen Schaltkreisen zugeordnet werden können. Aber es zeigen sich nicht nur diese beiden Systeme, sondern sie können auch noch in ihrer Intensität unterschieden werden. Von einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch bis hin zu einer massiven Abwehr- bzw. Fluchtreaktion genauso wie auf der angenehmen Seite von einem kaum merklichen Lächeln oder warmen Gefühl bis hin zu einem explodierenden Hochreißen der Arme und einem Jubelschrei. Die extremsten Ausprägungen sind zumeist leichter spür- und einordbar als die zarten Hinweise, und es braucht bewusstes Beobachten und auch Neugier für die eigene innere Welt, um Zugang zu diesen zarten Empfindungen zu bekommen.

      Die in der Schweiz tätige Psychologin und Autorin Maja Storch schlägt den Begriff »somato-emotionale Marker« (Storch u. Krause 2005, S. 48) vor, da die Signale sowohl auf körperlicher Ebene spürbar werden können, z. B. über ein kribbelndes Gefühl im Bauch oder eine Enge in der Brust, aber auch auf emotionaler Ebene im Sinne von gefühlter Freude, Wut oder Trauer. Daher kann niemals von einem sogenannten richtigen oder falschen Erleben eines Menschen gesprochen werden – aufgrund seiner individuellen Lebensgeschichte sind die unbewussten Bewertungen des Organismus immer stimmig. Menschen haben über somatische Marker zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens Zugriff auf ihre gesamte Lebenserfahrung.

      So oder ähnlich können wir uns das System der somatischen Marker vorstellen: Unsere Wächterin wacht nicht nur über unsere äußeren Umwelten, um sie aufgrund der bisherigen Lebenserfahrungen zu bewerten und es dem Organismus zu erleichtern, darauf zu reagieren. Es werden auch innere