Etwas zuversichtlicher hakte ich nach: »Und die Schlüpfer?« Ja, Schlüpfer nannte ich sie, denn Slip war ein viel zu zarter Ausdruck für diese Stoffbeutel mit drei Löchern. »Ach, Mädel!« Anika seufzte. »Hast du schon mal von den Pants gehört? Die sehen flott aus, die gibt es auch mit Spitze oder eben ganz einfach. Du bist sowieso dem Stringtanga-Alter entwachsen!« Ent… was? Entwachsen? Wie unverblümt sich Anika wieder ausdrückte, wie verteufelt nüchtern sie immer war. (Rausgewachsen, aus den Nähten geplatzt, in die Breite gegangen, ausladend, unförmig, pummelig, dickbäuchig!) Mir fielen so viele Synonyme zu entwachsen ein und Anika plapperte inzwischen munter weiter, von ihren eigenen Ideen regelrecht inspiriert. »Hotpants gibt es sogar, da ist dein Bäuchlein eingepackt.« Bäuchlein nannte sie das also, eine Verniedlichung der zu Fleisch und Fett gewordenen (einst schlankwüchsigen) Erscheinung. »Und es sieht trotzdem hübsch verpackt aus. Du musst dich damit nicht schämen!« Ich hörte nur hübsch verpackt und dachte an meine frühere Begründung, warum ich regelmäßig das Sonnenstudio aufsuchte: »Brauner Speck sieht besser aus als weißer« und alle lachten über diese Aussage. Nun ja, sie werden wohl gelacht haben, weil ich das sagte, obwohl ich aussah, als könne ich mich hinter einem Zaunpfahl umziehen und beim Duschen von Strahl zu Strahl springen. Schließlich mochte ich Anika und ihre Art. Ich wusste genau, dass ich dringend nachdenken musste und dafür brauchte ich Zeit und Ruhe.
Ich musste meine gesamte Kleidung im Kopf neu gestalten und mich dann aufmachen, um die XXL-Läden zu stürmen. Ich kannte einen Laden, der hieß: »Fülle in Hülle«. Immer, wenn ich früher daran vorüberfuhr, bedauerte ich die Frauen, die dort einkaufen gingen. »Oh Anika, danke, dass du mir wieder zugehört hast!« Anika lachte und sagte: »Du bist mir Eine! Gerne immer wieder, meine Liebe!«
Ja, ich war Eine, und was für Eine … Ich war seit Tagen eine – eine unausstehliche, alternde Diva und alles andere als eine liebe. Ich brannte und ich war aggressiv. Vielleicht wurde ich schon wie meine Mutter? Ich kam mir vor, als würde ich auf einem Pulverfass sitzen, in dem sich die andere Mitte meines Lebens befand (gealtert, faltig, zerfressen von Bitterkeit und folglich auch unsexy … und nicht zu vergessen: mit einem Sparbuch unter dem Kopfkissen, in dem ich jeden Monat die Verbesserung der Qualität des Holzes für meine Kiste verfolgen konnte).
Die Frau im Sack
Ich beschloss, doch irgendwie weiterleben zu wollen und machte einen Plan. Erstens: Kleiderschrank beräumen, zweitens: Kleidung verschenken, drittens: Geschäfte für die Frau ab Größe 44 aufsuchen. Also, los ging‘s. Ich probierte alles an. Vorher nahm ich eine Baldriantablette, um meine gereizten Nerven zu beruhigen. Es dauerte zwei Stunden: Die wunderschönen Oberteile meiner früheren Lieblingsmarken stapelten sich auf dem Bett. Ich liebte all diese Sachen und hatte sie immer geschont. Ich wusch sie mit den Händen, um den Stoff nicht in der Waschmaschine zu quälen. Sie hingen in meinem Kleiderschrank abgesondert von den anderen Sachen, damit ich mich immer an ihrem Anblick erfreuen konnte. Und nun? War alles vorbei. Der Schrank wurde immer leerer und gähnte mich mit regelrechter Bösartigkeit an. Ich setzte mich auf die Bettkante und weinte verstört. Meine Lieblingsmarken gab es nicht mehr in dieser Größe, ich musste mich von ihnen endgültig verabschieden. Die Sachen mussten weg. Ich wollte sie nicht mehr sehen, wollte nicht, dass sie mich täglich an den Verlust meiner jugendlichen Schönheit erinnerten. Meine Schwägerin hatte diese Größe und nicht viel Geld. Ich beglückte sie am Ende dieses furchtbaren Tages mit all diesen phantastischen Oberteilen, Röcken und Jeans. Sie freute sich ungeheuer. Normalerweise machte es mich ungemein glücklich, anderen Menschen eine Freude zu machen. Diesmal jedoch befand ich mich in der Schlucht von übermächtiger Trauer. Immer, wenn ich seit diesem Tag meine Schwägerin sah, völlig neu eingekleidet mit meinen Sachen, wurde ich traurig. Ich hatte ihr meine Schönheit vermacht. Manchmal konnte ich sie kaum ansehen, weil mich der Schmerz um meine alte, schöne Figur fast zu erdrücken drohte.
Am nächsten Tag suchte ich dieses Geschäft »Fülle in Hülle« auf. Die Puppen im Schaufenster trugen höchstens Gr. 40, was mich zutiefst beunruhigte. Ich war froh, als ich sah, dass die Verkäuferin mindestens zwei Konfektionsgrößen größer trug als ich jetzt brauchte und nahm all meinen Mut zusammen, um folgenden Satz herauszuquetschen: »Ich muss mich neu einkleiden und suche etwas Modernes in meiner Größe.« Ohne das ich es bewusst tat, brachte dieser Satz die Verkäuferin dazu, meine Konfektionsgröße zu erraten (was diese Berufsgruppe wohl gern machte und mich früher stets erfreute). »Ich schätze mal, Sie brauche höchstens die 44?«, meinte sie und lächelte mich freundlich an. Darauf war ich nicht vorbereitet. »Äh, ja, die 44 bis 46 brauche ich. Das heißt oben herum brauche ich eher die 46, bei den Hosen reicht die 44«, nuschelte ich. Sie verstand mich trotzdem und lachte irgendwie gemütlich. »Na, andersherum wäre es nicht so angenehm, nicht wahr?« Ich war ja nicht so schnell mit dem Begreifen, vor allem, wenn ich abgelenkt und angestrengt war. »Nee, wäre es wohl nicht«, meinte ich salopp und als ich den Satz ausgesprochen hatte, verstand ich ihre Bemerkung erst. (Sie hatte das wohl durchaus freundlich gemeint, mich nicht mit einer Birne zu vergleichen!). »Was haben Sie sich denn so vorgestellt?«, fragte die Verkäuferin besonnen und sah mir direkt in die Augen. Ich bemerkte, dass sie jene mütterliche Ausstrahlung besaß, die ich an anderen Frauen mochte (nur eben nicht an mir) und fasste etwas mehr Vertrauen zu ihr. »Nun ja, ich habe im letzten Jahr zugenommen, hatte früher die Größe 38 und würde jetzt gern etwas Weiteres tragen, was mein Gewicht kaschiert.« Die Frau sah mich an, als hätte ich gerade offenbart, dass heute noch die Welt untergehen würde. Ich bemerkte, wie sie schluckte und überlegte. »Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, junge Frau«, begann sie und sprach betont langsam, »aber wir führen hier Größen bis über die 54 hinaus. Die Frauen, die diese Größen tragen, wollen tatsächlich kaschieren, was auch in Ordnung ist. Aber Sie, mit der 44 oder 46, müssen doch nichts kaschieren. Sie können doch ihre Weiblichkeit betonen.« Sie sprach noch weiter, aber ich verschwand schon wieder in meinem Tunnel. Ich hörte nur Weiblichkeit und war enorm gestresst. Irgendwie gelang es ihr jedoch, dass ich wenigstens meinen Kopf wieder aus der Öffnung des Tunnels steckte.
»Sie sind wesentlich größer als der Durchschnitt der Frau von heute und man sieht Ihnen die Konfektionsgröße gar nicht an.« Das war Balsam für meinen Ohren und so kroch ich vollends aus dem Tunnel hervor. Dabei überlegte ich kurz, ob Verkäuferinnen vielleicht eine psychologische Ausbildung hatten, was ich bisher noch nie festgestellt hatte. Als ich noch dünn war, sagte mal eine Verkäuferin zu mir: »Sie brauchen zwar nur die 36/38, aber Sie haben ausladende Hüften. Solche Kleidung führen wir hier nicht.«
Damals flüchtete ich aus diesem Laden, man sah mich dort nie wieder und ich bekam diesen Satz auch nie aus meinem Kopf. Ich begann, meine ausladenden Hüften zu verachten und versuchte fortan, sie zu verbergen.
Jedenfalls stand hier ein offensichtlich außergewöhnlich nettes Exemplar dieser Zunft vor mir und ich beschloss, aus diesem Einkauf einiges zu lernen. »Ach, ich weiß nicht, ich war früher immer schlank und kann noch nicht so richtig damit umgehen. Ich möchte wirklich lieber erst einmal etwas, was nicht so am Körper anliegt, will mich einfach wohler fühlen.« »Das verstehe ich sehr gut«, meinte die nette Dame und tätschelte meinen Arm. »Kommen Sie doch mal mit. Ich zeige Ihnen mal einiges in dieser Größe und Sie können in Ruhe anprobieren und auswählen. Es ist niemand weiter im Laden und Sie haben alle Zeit der Welt. Die Kleidung ist so wichtig im Leben einer Frau und gerade in unserem Alter legen die Frauen besonderen Wert auf ihr Äußeres.« Upps! Der erste Teil ging noch runter wie Öl. Doch bei dem letzten Satz begann es in meinem Kopf plötzlich verdächtig zu hämmern. (›In unserem Alter‹, sagte sie? Diese Frau ist ganz sicher über 50 und ich noch nicht einmal Mitte 40! Das sind mindestens acht Jahre! Da gibt es wohl erhebliche Unterschiede!) Gerade war ich dabei, in meinen geliebten Tunnel zu gleiten, da sagte die Frau: »Nun ja, Sie sind gewiss jünger als ich und können sich mehr Extras gönnen«. Und wieder lächelte sie gütig. Sie wirkte ruhig und ausgeglichen und so hielt ich mich an der Kabinentür fest, um nicht wieder im Tunnel zu verschwinden.
Ich suchte mir zunächst zwei Ponchos aus: einen dunkelbraunen und einen grauen. Ich mochte die Farbe Grau nicht, sie ließ mich blass und müde wirken. Jetzt war mir alles gleich, Hauptsache,