Traum und Ziel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518434
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Hast du selber das gemacht?“

      Werners Herz krampfte sich vor Schreck zusammen.

      „Nein, das ist doch ausgeschlossen“, murmelte der Lehrer. Dabei hob er Werners Kopf, forschte staunend in dem zuckenden, schamerfüllten Knabengesicht. Dieser Lehrer malt ja Bilder und ist fast ein Künstler. Er weiss sicher nicht mehr, was er tut. Er zieht Werners Kopf an seine tabakduftende Brust und murmelt: „Fürchte dich nicht, Werner Frank ... Das ist wahrlich kein Grund, sich zu schämen. Denn das, was du dort gezeichnet hast, ist ein kleines Meisterwerk.“

      So unvermutet kam das, so rein närrisch und unfassbar wurde es. Atemlose Stille im Raum, ein gespanntes Aufhorchen. „Ein Meisterwerk“, wiederholte der Lehrer feierlich. Und Werner, der oft bestraft, aber nie gelobt worden, senkte langsam den Kopf und weinte.

      „Nein, nein, nein“, murmelte der Lehrer, selber ergriffen. „Zeichnest du zu Hause?“

      Werner nickt, die Hand vor den Augen.

      „Willst du mir einmal deine Arbeiten bringen?“

      „Ich habe keine.“

      „Was sagst du?“

      „Mein Vater hat mir verboten zu zeichnen.“

      „Deshalb vernichtest du deine Arbeiten?“

      „Ja.“

      „Hat man schon so etwas gehört? Was ist dein Vater?“

      „Eisenbahner.“

      „Ein lebendes Rätsel ... Dir, Knabe, wurde etwas sehr Seltenes geschenkt ...“ Nachdenklich holt der Lehrer mit der Zunge ein Ende seines Schnurrbartes zwischen die Lippen und kaut daran.

      Das war Werners grosser Augenblick. Eine helle Flamme schlug auf dem grauen, alltäglichen Himmel nieder auf seinen Scheitel ...

      Werner kauert jetzt an Konrads Seite und erzählt ihm sein Erlebnis. „Sicher wollte er damit sagen, dass ich Talent habe. Was meinst du?“

      „Ja, du wirst einmal ein grosser Künstler sein“, nickt Konrad eifrig.

      Leider blieb es nur ein kurzes, grelles Aufleuchten. Die Flamme erlosch, und Werners Leben wurde abermals grau und freudlos. Werner Frank wurde wieder zurückgestossen in die Masse und tauchte darin unter. Wahrscheinlich schämte der Lehrer sich nachträglich des kleinen Zwischenfalles und seiner Ergriffenheit. Die Sache schien ihm wohl gar zu unmöglich, und er vergass sie bald. Er war ein grosser Mann mit gewaltigem Bartwuchs, gewiss hatte er ein warmes und gutes Herz. Die Herzen der Menschen sind fast immer gut; nur träge sind sie — Gott bessere es.

      Was aber dieses anbetrifft, so waren die Herzen der Lohmanns durchaus nicht träge, denn sie strengten alle ihre Kräfte an, dem Bösen zwei verlorene Seelen zu entreissen.

      Der einzige, der vom Geistertreiben keine Ahnung hatte, war der alte Klaus. Unscheinbar und unbeachtet, wie seit jeher, ging er seine eigenen Wege, ausgeschlossen vom Vertrauen. Und so rumorte er also im Keller, indes in der Stube Hannes Frank beim Schein der drei Kerzen altlateinische Sprüche murmelte.

      Es war seit jeher der Traum dieser armen Menschen, durch ein Wunder mühelos und schnell reich zu werden. Sie lebten immerzu in der Zuversicht, dass ihr Dasein irgendwie eine überraschende Wendung nehmen müsse. Sie waren glücklich in ihrer Hoffnung. Ihr Glaube war so stark, dass sie alle Not der Gegenwart leicht überwanden. Nun konnten zwar die armen Seelen in den dreimal drei Nächten nicht erlöst werden. Hannes Frank setzte also den Kampf im Walde fort, unter einer gewissen Eiche. Nebenbei erfüllte man die gewöhnlichen Pflichten des Alltags, führte Kriege und schloss Frieden.

      Ein Versprechen

      Und da war nun dieser grosse, gesegnete Garten. Die Früchte an den Bäumen reiften allmählich und konnten gepflückt werden; ein grosses Ereignis für die Knaben, die solches zum erstenmal erlebten.

      Im Garten gab es einen Hügel, der einst dadurch entstanden, dass das viele Erdreich beim Ausgraben der mächtigen Kellereien dort abgelagert worden. Auf dem Hügel wuchsen Tannen, schlanke, hohe Stämme, deren Wipfel im Herbstwind sangen und sachte hin und her schwankten und aus deren dichten Zweigen es dunkel rauschte und lockte.

      Der Garten gehörte jetzt den vier Knaben. Er durfte wachsen und alt werden, ehe er ein paar Menschenherzen erfreute. Früher war es ein vornehmer und stiller Garten. Die stolze Frau Bondorf spielte als Kind darin. Sie wurde im Ritterhof geboren und erbte ihn nach ihrem Vater, dem Herrn Kesser, der ein wirklicher Weinhändler gewesen und überhaupt eine glückliche Hand hatte, so dass er Geld auf Geld häufen konnte.

      Auch das Töchterchen Alma spielte hier. Auf den Hellen Kieswegen machte es die ersten Schritte seines Lebens, allein, still, fern vom Lärm der Stadt. Im Grunde blieb es doch so unbegreiflich, warum der unglückselige Herr Bondorf das viele, viele Geld nicht behalten durfte; warum er nicht in diesem Garten mit seiner schönen Frau glücklich sein und grau und alt werden durfte. Die Leute behaupten jetzt, dieser Herr sei kein rechter Patrizier gewesen. Er stamme von irgendwo her, von jenseits der Grenze, vielleicht von Spanien oder Peru. Sie nennen ihn nachträglich eine mystische Person. Eine gelbe Haut hatte er; dunkle, feurige Augen hatte er. Diese heissen Augen betörten die reiche Tochter.

      Zweifellos leben auch in anderen Städten vornehme Leute. Aber wozu brauchten die Bondorfs vier oder sechs Pferde auf einmal und verschiedene Wagen und zwei Kutscher? Viel Unerklärliches haftete diesen Menschen an.

      Jeden Morgen ritten sie miteinander durch die Strassen. Und soweit die gewöhnlichen Leute sich auf Pferde verstehen konnten, ritt Herr Bondorf auf einem echten Araberhengst. Das Töchterlein Alma aber ritt auf einem braunen Pony und war überaus niedlich. Die Knaben standen mit offenen Mündern am Wegrand — genau dieselben Knaben, die jetzt im schönen Garten lärmten.

      Die Bondorfs trieben es doch gar zu toll mit Luxus und Verschwendung, mit Gärtnern und Kammerzofen und Gott weiss was. Sie gaben glänzende Feste. Wollten sie vielleicht dadurch aller Welt beweisen, dass der zugereiste Herr Bondorf kein Habenichts, kein Abenteurer oder Zirkusmensch war? Und da endlich alle Welt glaubte, dass Herr Bondorf ein richtiger Hidalgo sei, drehte er selber den Gashahn auf. So ungefähr hing das zusammen; und es war grauenhaft und ein wenig lächerlich. Deshalb überwucherte jetzt Unkraut die hellen Wege. Konrad benahm sich als der Gesittetste, er setzte sich hier und dort auf eine Bank und blickte den Wolken nach, die über die Tannenwipfel zogen. Er allein konnte die Büsche und Bäume beim rechten Namen nennen. Der rote Arnold verstand sich eben erst aufs Obstessen, und Emil, der unruhige Geist, erfand jeden Tag neue Spiele, neue Teufeleien. In dieser Beziehung war er ein Genie und der geborene Anführer.

      Aber Werner zeichnete, unbeholfen, doch in tiefer Andacht. Kleine Werke, ein knorriger Baumstamm vielleicht, ein paar Zweige, einen Stein mit dunklem Schatten dahinter. Und zuweilen kletterte er auf eine Tanne.

      In diesem Knaben wohnten zwei Seelen, eine verschüchterte Träumerseele, die aus verborgenem Winkel hervor die mannigfaltigen Bilder der Welt erschauernd in sich aufnahm. Doch er liebte in gleicher Weise die Stille und die Gefahr.

      Von den höchsten Wipfeln der Tannen tat er einen Blick in die Nachbargärten, auf das Dächergewirr der Stadt und hinaus in die grosse Ebene, an deren äusserstem Rande der mächtige Rhein als flimmernde Linie verschwand. Eine frischere Luft wehte. Die Menschen in den Strassen erschienen klein und in ihrer Gestalt wunderlich verzerrt. Als Kegel schoben sie sich vorwärts, mit hastigen, komischen Bewegungen; ja selbst ihre Stimmen klangen befremdlich. Manchmal schwirrte ein kleiner Vogel nahe vorbei, und der Windzug seines Schwingenschlages streifte Werners Gesicht. Vom Menschenstrom in fernen Gassen stieg dumpfes Brausen über die Dächer. Eisenbahnzüge fuhren in die Ebene hinaus, schrill pfiffen Lokomotiven; der Wind trug ihr Rasseln und Schnauben heran, bald stärker, bald schwächer. Ein endloses Kommen und Gehen, ein ungeheurer Wille zum Leben, und jähe, erschreckte Stille dazwischen. Nichtig schienen die Menschenfiguren in all dem Dröhnen, Kreischen, Klirren und Rasseln, das sie doch selber erzeugten ...

      An den obersten Wipfel der höchsten Tanne klammerte sich Werner, überrascht und erschüttert von der Grösse der Welt. Gleich den vorbeihuschenden Vögeln stiess