Traum und Ziel. Karl Friedrich Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl Friedrich Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711518434
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einen schmetternden Jubelschrei ausstiess, denn er hatte zwei Kistchen Zigarren mit Bauchbinden gefunden.

      Aber Konrad fand ein Geheimnis, etwas, das er schnell unter seinem Kittel verbarg und damit verschwand.

      Es wurde der glücklichste Morgen im Leben der vier Knaben. Und aus dem Morgen wurde ein glücklicher Mittag. Emil fand zu seinem Hammer in einem der oberen Lagerkeller ein leeres Fass, das herrlich nach süssem Wein und verbotenen Genüssen duftete.

      Gemeinsam wälzten sie das Fass ans Ufer des Rheins, in ein Akaziengestrüpp, das für gewöhnliche Menschen und jedenfalls für Erwachsene völlig unzugänglich und somit zu geheimem Treiben hervorragend geeignet war. Emil schlug mit seinem Hammer ein paar Reifen los, schlug den Boden ein. Da zeigte es sich, dass das Fass noch nicht völlig leer und unschuldig war. Eine braungoldene Flüssigkeit, herrlich und süss nach Blüten und Sonne duftend, schimmerte auf dem Grunde. Nicht viel, keine Eimer oder Kannen voll; doch immerhin genug, es mit einer leeren Blechbüchse auszuschöpfen.

      „Vielleicht ist es Gift“, meinte der besinnliche Werner. „Wirf es weg, Emil!“

      „Wegwerfen? Bist du bei klarem Verstande, Mensch?“ widersprach Emil unternehmungslustig. „Ja, das sollte nur fehlen, Mensch. Ich kann dir soviel verraten, dieses ist der herrlichste Wein von der Welt. Königswein.“ Emil spuckte zischend durch die Zähne und behauptete: „Gift, lieber Mensch, riecht meiner Seel nicht so, sondern anders. Versuch du es zuerst, Arnold!“

      Der kleine, dicke und rothaarige Arnold glaubte mit seinen acht Jahren nicht an Gift und Tod und die unzähligen Gefahren des Lebens. Oh, im Gegenteil. Ihm bedeutete es eine Auszeichnung, als erster zu trinken.

      Werner rief ängstlich: „Trink nicht!“

      Bis dahin beteiligte sich Konrad nicht an der Untersuchung des Fasses, sondern lag nur auf dem Rücken und schaute verträumt in den Himmel, der sich zwischen dem Gewirr der Akazienzweige öffnete. Vielleicht erblickte er dort eine Himmelsleiter, und sicherlich war er fern den Begebenheiten dieser Erde. Erst Werners aufgeregtes Rufen zog ihn zurück zu den gewöhnlichen Dingen. „Lass ihn doch“, sagte er gleichmütig, ohne den Kopf zu drehen. „Es ist Malagawein.“

      „Wer behauptet das?“ fragte Emil verblüfft.

      „Das steht eingebrannt im Fassboden.“

      „Hurra — gib die Büchse her!“ schrie Emil und entriss sie Arnolds Händen. „Ja, natürlich ist es Malagawein. Das hab’ ich gleich gewusst.“ Nun trank Emil zuerst und in langen Zügen. Er verdrehte dabei die Augen vor Wonne. „Nein, Mensch — dass es so guten Wein geben darf“, jauchzte er. „Bring jetzt deine Zigarren, Arnold“, befahl er. „Denn jetzt soll hier ein Jubiläum abgehalten werden.“

      Sie tranken wie Männer und rauchten wie Männer. Und eine Weile mundete ihnen dieses Treiben ausgezeichnet. Bis Arnold sehr weiss im Gesicht wurde und ins Gras sank. „So — jetzt sterbe ich“, stöhnte er, warf die prächtige Zigarre fort und erbrach sich furchtbar.

      Emil beobachtete ihn ängstlich und erklärte: „Ich glaube, auch mir wird übel ... Es war also doch Gift! Wenn wir jetzt sterben müssen, ist es deine Schuld, Konrad.“

      Aber Konrad befand sich wieder auf der Himmelsleiter; ausserdem hatte er schon einige Erfahrung gesammelt im Leben. Beschwichtigend erklärte er: „Das kommt vom Rauchen. Bleibt ein Weilchen ruhig liegen, dann wird euch wieder wohler.“

      Sie lagen unter den Akazien und stöhnten. Sie bezahlten ihre grosse Freude. Doch sie starben nicht daran.

      Gegen den Abend hin kehrten sie ins Haus zurück, auf wackeligen Beinen, mit grünen Gesichtern. „Allmächtiger Himmel — wie seht ihr aus!“ riefen die Frauen.

      „Ho — das ist schon gar nichts mehr“, erklärte Emil. „Ihr hättet uns früher sehen sollen! Wir haben nur ein paar unreife Äpfel gegessen.“

      Hierauf kehrte Hannes Frank von seinem Dienst zurück und vernahm das von den Äpfeln. Als Mann und Herrscher rief er: „Ich hätte grosse Lust, euch alle vier gründlich zu verhauen, damit in Zukunft die Äpfel an den Bäumen hängen und reifen können. Was seid ihr doch für verfluchte Taugenichtse.“ Nach seiner Gewohnheit ass er schnell, redete sich nebenbei in Wut und geriet in die rechte Stimmung.

      Um den Vater von seinem Vorhaben abzulenken, rief Emil: „Wir haben viele gute Sachen gefunden.“

      „Was habt ihr gefunden?“

      „Werner fand eine Menge Papier und Farbenstifte.“

      „Papier!“ sagte Hannes Frank verächtlich. „Wartet nur, ihr Schlingel, bis ich fertig bin ...“

      „Und Arnold fand zwei Kisten Zigarren.“

      „Hol sie!“

      Willig lieferte Arnold seine Zigarren ab. Sein Herz hing nicht länger daran.

      „Das sind feine Zigarren“, nickt Hannes Frank versöhnlich. „Aber ich verhau’ euch doch. — Sonst noch etwas?“

      „Ein Hammer und eine Säge.“

      „Gut. Her damit!“

      Der rote Arnold starrte auf des Vaters Teller, der schon fast leer war; verzweifelt rief er mit seiner kleinen Krähstimme: „Konrad hat etwas anderes gefunden.“

      Tiefe Stille um den langen Tisch. Alle Augen richteten sich auf Konrad. In kalter Ruhe fragt Hannes Frank: „Was hast du gefunden?“

      Da wird Konrads Gesicht dunkel; gleich darauf wird es noch bleicher als gewöhnlich. Arnold senkt den Kopf und schweigt.

      „Komm doch einmal zu mir herüber, Bürschlein!“ befiehlt Hannes Frank unheimlich leise.

      Sogleich lässt Konrad den Löffel in den Teller fallen und erhebt sich. Mit kurzen, ungelenken Schritten schleicht er der Wand entlang, und es läuft ein heftiges Beben durch seinen mageren Körper.

      „Er hat nichts gefunden. Ich habe nichts gesehen“, ruft Werner angstvoll. „Ich war die ganze Zeit bei ihm.“

      Zu seinem Unglück sitzt Werner an der Seite des Vaters, darum erhält er den ersten Schlag, so dass vor seinen Augen rote Funken stieben. Werner presst beide Hände vors Gesicht. Aber in seine Ohren dringt die fürchterliche Stimme des Richters: „Wer hat dich gefragt, Strolch?“ Und nun ist Hannes Frank mit dem Essen fertig. Er säubert den Löffel mit der Zunge, schmatzt und richtet den Blick auf Konrad. Fast gemütlich fragt er: „Nun, Jüngling, wie steht es mit deiner Zunge? Ich werde sie dir wohl lösen müssen.“ Dabei löst er selber den Leibriemen. „Also ...“

      „Nichts“, flüstert Konrad kaum vernehmlich.

      „Seht — hier steht der Lügner!“ Förmlich frohlockend ruft Hannes Frank — und eigentlich gilt das der Schwägerin Elisa für ihre Bemerkung vom Morgen, die noch nicht vergessen ist. Hannes streckt seine Faust nach dem schlotternden Opfer, dreht es um. „Seht euch ihn an! Seht euch ihn genau an, von allen Seiten, ihn, dem wir soviel zu danken haben.“

      Neugierig starren alle auf Konrad. Nur Werner presst seine Hände vor die Augen, und die Tränen rinnen ihm zwischen den Fingern hervor, die Arme entlang.

      „Ich frag’ dich zum letztenmal: Was hast du verborgen?“

      „Nichts.“

      Hannes Frank schlägt zu. Der breite, schwarz und glatt gescheuerte Riemen saust zischend durch die Luft und klatscht auf Konrads Rücken, auf seine Hüsten und Beine.

      Am anderen Ende des Tisches beginnt Arnold zu heulen, blechern, verzweifelt. „Oh, oh, oh ...“ Arnold windet sich, als träfen ihn die Schläge. Aber Konrad gibt nicht einen Laut von sich, macht keine Bewegung; nicht einmal den misshandelten Rücken zieht er ein. Nur seine blauen Augen hebt er auf zu Hannes Frank, den mehr und mehr der Zorn fortreisst. Konrad blickt seinen Richter seltsam fragend an, furchtlos, mit flimmernden Augen und einem unerklärlichen Ausdruck im totenblassen Gesicht; doch kein Wort und kein Zeichen. Er scheint die wuchtigen Schläge gar nicht zu fühlen. Gott weiss, vielleicht