Spuk im Hochhaus. Eva Rechlin. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Rechlin
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788711754344
Скачать книгу
ja denken! Also: Irgend jemand hatte ihm mit den Seufzern und dem rätselhaft entstandenen Satz aus seiner Schreibmaschine einen dummen Streich gespielt. Und er konnte sich auch leicht denken wer: Einer der zahlreichen Happenduckdickdanzer’s aus oder außerhalb dieser Stadt. Vermutlich, weil er sich um die Sippschaft nicht mehr kümmerte, seit er die schicke Wohnung auf dem Hochhausdach bezogen hatte.

      Es fragte sich nur noch, wie es den Tätern gelungen war, in seine Wohnung einzudringen. Bei seinem Einzug hatte er ein neues Sicherheitsschloß an der Wohnungstür anbringen lassen. Über die Dachterrasse konnten sie sich schwerlich an seine Fenster herangemacht haben, die er abends sorgfältig zu schließen pflegte. Wer auf die Dachterrasse wollte, mußte durch seine Wohnung. Er spielte das in Gedanken durch. In das Hochhaus an sich einzudringen, war für Schlauberger nicht schwer. Wer als Mitbewohner keinen eigenen Schlüssel besaß, der brauchte nur gewisse Tricks anzuwenden, um hineinzukommen. Aber damit war er noch nicht in der Wohnung!

      Mit solchen Überlegungen bog der Professor zum Flußkai ein, eine gute, eine vornehme, eine ruhige Wohnlage. Er erreichte sein Hochhaus und blieb grübelnd davor stehen. Hatte er sich eigentlich jemals darum gekümmert, wer außer ihm noch darin wohnte? Wenn er seine Blicke an der Fassade hinauf- und wieder hinabwandern ließ, verrieten ihm die zahlreichen, von innen erhellten Fenster, daß das Haus von unten bis oben bewohnt war. Er schaltete das Minutenlicht an und begann die Namensschilder zu lesen. Es gab Meiers, Müllers und Schmidts im Hause. Sein Familienname stand nur einmal da, links oben, über der Sprechanlage zu seiner Wohnung. Wer wohnte eigentlich unter ihm? ›Valeska Pustong‹ stand da. Komischer Name. Eine Dame also. Ihm war im Lift oder auf der Feuertreppe nie ein Mitbewohner aufgefallen. Er sah keinen an, grüßte keinen, ihn interessierte keiner. Warum sollte ein Mitbewohner ihm dumme Streiche spielen? Alles Unfug. Er würde die ungewöhnlichen Vorkommnisse schon noch enträtseln, beschloß der Professor, öffnete die Haustür, ging hinüber zu den Fahrstühlen, stieg ein und in weniger als einer halben Minute ganz oben, vor seinem Penthouse, wieder aus. Es drängte ihn zurück an seinen Schreibtisch, wo er endlich mit dem ersten Kapitel seines Buches über die Dummheit des Aberglaubens beginnen wollte. Schwungvoll schloß er seine Wohnungstür auf, schlüpfte in die Diele, warf die Tür hinter sich zu und zog seinen Mantel aus. Ein wenig ärgerte es ihn, daß er bei seiner Flucht nicht die Lampen ausgeschaltet hatte.

      Gerade als er seinen Mantel an der Garderobe aufhängen wollte, hörte er es wieder. Ein Seufzen, lang hingezogen wie erschöpft oder gelangweilt. Ihm fiel der Mantel aus den Händen und zu Boden. Kerzengerade stand er wie angewurzelt in der Diele. Aber diesmal verlor er nicht den Kopf, obwohl seine Hände schon wieder zu zittern begannen. Er krampfte sie zusammen. Es half nichts. Sie bibberten auch als Fäuste. Noch einmal ertönte ein gedehntes Seufzen. Es kam aus seiner Bibliothek. Auf seine Sinne konnte er sich verlassen. Und wieder hörte er es: Ochuuuujuuhuu … Eine Stimme, kein Zweifel. Eine menschlich wirkende Stimme. Bruno-Kuno, sagte er sich, nicht zittern, Bruno-Kuno! Wo ist der Revolver? Er bückte sich nach dem Mantel, tastete die Taschen ab, vergeblich. Auf wievielen Reisen hatte ihn sein Revolver begleitet, nie hatte er ihn benutzen müssen – aber jetzt, ausgerechnet jetzt war das verflixte Schießeisen nicht da, wo es hingehörte: griffbereit! Hatte er ihn etwa in eine Schreibtischlade eingeschlossen? Furchtbarer Gedanke! Aber nein, da hing ja seine ausgebleichte Safarijacke am Garderobenständer, das gute, alte, stabile Kleidungsstück mit den vielen ausgebeulten Taschen. Und in einer davon fand er endlich den Revolver. Er wußte nicht mehr, ob er geladen war oder nicht, und er dachte in diesem Moment auch nicht darüber nach. Lautlos gab er sich selbst Kommandos: Los jetzt, Alter! Nur Mut! Nicht zittern, verdammte Pfote! Vorwärts, aber lautlos gefälligst!

      Er pirschte über den moosweichen Teppichboden. Die Tür zum Wohnzimmer, das er durchqueren mußte, stand noch offen von seiner vorherigen Flucht. Diesmal würde er vor nichts und niemand flüchten!

      Kaum hörbar schlich er durch sein Wohnzimmer, die Pistole schußbereit in der rechten Hand, den Zeigefinger gekrümmt am Abzug. Die Hand schlotterte und heiß wurde ihm. Unter seinem Nackenhaar hervor tropften ihm eklige Schweißtropfen ins Genick. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand nur einen schmalen Spalt offen. Den Kopf konnte er nicht hindurchstecken. Er sah einzig einen Lichtstreifen von seiner Schreibtischlampe auf dem dort grau-weiß gesprenkelten Bodenteppich. Esgelang ihm aber mit der Schulter, die Tür geräuschlos weiter aufzustoßen. Er preßte sich blitzschnell gegen die Türfüllung, stieß seine Hand mit dem Revolver vor und wollte rufen, brüllen, wollte furchterregend kommandieren, doch er konnte nur elend keuchen: »Kein Mucks – oder ich schieße!«

      Niemand antwortete. Er hörte keinen Laut. Und dennoch rührte sich etwas in seiner Blickrichtung auf das große Fenster links vom Schreibtisch. Vor den zugezogenen dunkelbraunen Samtvorhängen hob sich ein schimmerndes Bündel, reckte sich zu Menschengröße, begann kurvend um den Schreibtisch zu schlüpfen oder zu wabern, sich jedenfalls unheimlich still vorwärts zu bewegen. Der Professor tastete nach dem Lichtschalter für seinen Kronleuchter. Dabei fiel ihm die Waffe aus der Hand. Das mächtige Licht an der Decke flammte auf. Licht, Licht! Der Professor riß sich den Kragen auf, japste nach Luft und ließ das bewegliche helle Ding an seinem Schreibtisch nicht aus den Augen. Er verengte die Augen und musterte die Lichterscheinung scharf. Ja, alles an ihrer Form erinnerte an Menschengestalt. Und da sprach es. Oder richtiger: sprach er! Eine dumpfe, tiefe, verruchte Stimme sprach aus dem schimmernden Bündel, während es langsam, in kleinen Zügen näher zu dem Mann hinrückte, der sich wie festgeleimt gegen die Türöffnung preßte. Jetzt hielt er die Augen aufgerissen, groß und und voller Angst. Sein Kopf wackelte, als sollte das ausdrücken, was er dachte: Nein, so etwas kann kein noch so moderner Apparat erfinden, projizieren, zustandebringen, nein, so etwas nicht! Er als Fachmann für oder gegen Aberglauben begriff die Wahrheit. Was hier in seinem Arbeitszimmer passierte, war Spuk. Echter, purer Spuk. Ein Geist war das, ein Gespenst. Hier mitten in der Großstadt im sechsundzwanzigsten Stockwerk – ein Geist im Hochhaus! Und geisterte obendrein außerhalb der magischen Mitternachtsstunde herum, denn es konnte allerhöchstens zwischen zehn und elf Uhr abends sein. Und er sprach, der Geist, sprach fast wie ein Mensch, nur ziemlich halskrank oder versoffen, trotzdem beschwichtigend: »Sind Sie nicht albern, Herr Kavalier. Gucken Sie nicht an mich hin wie verfluchter Kerl schöne Hexe. Bin ich nicht. Weiß ich ja, Sie glauben nicht, daß es mich gibt.«

      Bruno-Kuno Happenduckdickdanzer konnte endlich wieder richtig atmen. Er brachte es sogar fertig zu antworten: »Das glaube ich auch jetzt noch nicht und werde es nie glauben.«

      »Kneifen Sie sich in den Arm!« befahl der Geist.

      »Wozu das?«

      »Denken Sie nämlich, ist alles Einbildung. Los, kneifen Sie, oder ich …«

      »Bleiben Sie dort!« bat der Professor. Übereifrig kniff er sich so gemein in den Arm, daß er aufschreien mußte. »Ist es eingebildet?« fragte der Geist. Widerwillig knurrte Bruno-Kuno:

      »Das kann ich erst morgen sagen, wenn ich dort einen blauen Fleck kriege. Oder eben keinen!«

      »Es wird sein ein Fleck. Erst blau, später grün, zuletzt gelb. Weiß ich von Schlägen auf Menschenhaut.«

      »Sie werden mich doch nicht schlagen?« entfuhr es dem Professor bange. Du lieber Himmel, er nahm das quatschende Lichtbündel ja ernst! Er mußte sich lustig machen über das Unglaubliche. Nur damit konnte er seine Überlegenheit beweisen. Also fragte er höhnisch:

      »Was sind Sie denn schon? Ein wandelndes Bettlaken? Ein wildgewordenes Badetuch?«

      Aus dem Gespenst kollerten heiseres Lachen und die Worte: »Dummer Mensch, Sie. Sieht jede Maus, was ich bin. Freunde nennen mich Bludlsudlbubu. Also sagen Sie meinen Namen!«

      »Bludlsudlbubu«, antwortete Bruno-Kuno gehorsam, »Bludlsudlbubu. Ein scheußlicher Name.«

      »Ist nicht schlimmer als Happenduckdickdanzer«, kam es zurück und wieder mit hechelndem Gelächter:

      »Hat Spiriton Ihnen nichts gesagt von mir. Hat er überlistet mich mit Spiegeln. Ist Spiriton längst weg, wenn Männer kommen und holen Spiegel. Will mich loswerden, der Spiriton. Ist damals geflüchtet vor mir hierher. Aber ich überliste ihn und komme mit her … ha, machen Sie warm hier! Es ist alles kalt an Ihnen. Ich sage nichts mehr, wenn Sie so kalt bleiben.