Magie. Ines Witka. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ines Witka
Издательство: Bookwire
Серия: Theater der Lust
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948161095
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müde. Die Party gestern, der Abend heute.«

      Ella murmelt zustimmend, beide verabschieden sich rasch mit dem Versprechen, morgen vor der Öffnungszeit das Café aufzuräumen.

      Heiß und kalt

      Während der Champagner seine Wirkung entfaltet und ich ausgestreckt auf einem der Sofas liege, denke ich über die Verbindung zwischen diesem Abend und den anderen Abenden im Liliths oder Dark Light nach. Sind es die beteiligten Personen? Gil, Sophia und Ella waren bereits bei meiner ersten Bühnenerfahrung mit dabei gewesen Oder ist es das tabulose Ja zum Sex? Als ich zum ersten Mal bei einer Fetisch-Party erlebte, wie eine Frau einen Mann an der Bar des Dark Light mit einem Blowjob verwöhnte, war ich schockiert.

      »Das kommt mir ziemlich gestellt vor«, sagte ich damals zu Ralf.

      »Mir nicht«, antwortete er. »Sie hat eben Lust darauf, das ist alles.«

      »Sie macht das bestimmt nicht freiwillig«, beharrte ich.

      »Das interpretierst du hinein.«

      »Ich sehe hier Männer, die sich nehmen, was sie wollen.«

      »Dagegen lege ich Widerspruch ein. Hier beruht alles auf gegenseitigem Einverständnis. Wenn das so ist, geht es mich nichts an, was und wie die Gäste es treiben. Vielleicht fällst du mit deiner Ansicht auf das gesellschaftliche Narrativ herein, dass Frauen Sex nicht so genießen wie Männer.«

      Heute kann ich zugeben, dass er recht hatte. Ich bin diejenige, die üben muss zu sagen, was ich will. Ich bin diejenige, die es genießt, Kontrolle abzugeben. Das hatte ich lange für mich behalten, aus Angst, dass ich dann nicht mehr als gleichwertige Partnerin gesehen werde.

      Hängen die Abende über die Art, wie ich mich auf sie vorbereitet habe, nämlich mit Recherchen, zusammen?

      Bei meinem Vorstellungsgespräch in Liliths Secret Theatre erzählte Ralf vom salonfähigen Sadomasochismus auf der Bühne. Ahnung hatte ich davon keine. Also zog ich los, um mir Anregungen zu holen. Erste Station war ein Sex-Shop in einer trostlosen Ecke der Stadt. Zwischen Plastik-Dildos, DVDs, billigen Dessous und schmierigen Kerlen fühlte ich mich äußerst unwohl. Die nächste Adresse war ein Fetisch-Kaufhaus, das in einer Nebenstraße zu einer Luxuseinkaufsmeile lag. Staunend und mit klopfendem Herzen stand ich zwischen Ständern voller erotischer Kleidung: Lack- und Lederkorsagen, Spitzenmieder, Röcke und O-Kleider. Mir fiel eine dunkelrote Satinkorsage auf. Ich hielt sie mir vor den Oberkörper und drehte mich vor dem Spiegel hin und her. Ein grauhaariger, hochgewachsener Mann, der selbst ein Unterbrustkorsett über einem weißen Hemd trug, sprach mich an.

      »Gefällt Ihnen das? Welche Größe haben Sie da in der Hand?«

      »Oh, das weiß ich gar nicht.«

      »Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Korsage an Ihnen fantastisch aussieht. Möchten Sie das Teil gern anprobieren? Ich kann Ihnen behilflich sein.«

      Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Sagen Sie, was versteht man unter softem SM?«

      »Eine interessante Frage«, sagte er mit einem liebenswürdigen Lächeln, »auf die ich keine Antwort habe. Versuchen wir es mal anders: Suchen Sie etwas Extravagantes für einen Abend im Club zum Tanzen oder für die sexuelle Praxis?«

      »Das weiß ich auch nicht so genau«, antwortete ich wahrheitsgetreu.

      »Spielsachen und Bücher finden Sie im Obergeschoss, Schuhe im Zwischengeschoss und Latexkleider, Gummimasken und solche Sachen ein Stockwerk tiefer. Eher nicht soft. Wenn Sie hinunter möchten, schalte ich das Licht an.«

      Ich wählte die Treppe ins Obergeschoss. Im vorderen Teil standen Vitrinen, in denen Spielzeuge für Erwachsene ausgestellt waren: mit einem glitzernden Kristall versehene Edelstahlplugs, schraubbare Brustklemmen, Knebel und Räder mit Nadelrollen. An der Wand hingen Spreizstange, Edelstahl- und Lederfesseln und eine breite Palette an Schlagwerkzeugen. Die Verkäuferin erklärte mir einfühlsam, wie all die Spielzeuge verwendet werden. Als sie merkte, dass ich hoffnungslos überfordert war, riet sie mir, mich in der Bücherecke einzulesen.

      Ich blätterte durch Bildbände und war beeindruckt. Zu jedem Fetisch gab es passende Bücher: zu Korsetts, Nylons, High Heels, zu kunstvoll gefesselten, meist weiblichen Körpern, mit Tattoos und Piercings überzogenen, meist männlichen Körpern. Und immer wieder Latex-Fashion-Bondage-Inszenierungen. Meine Entdeckerlaune, die ich beim Betreten des Ladens gespürt hatte, sank beim Anblick der Bilder und der Vielzahl der Angebote. Das Satinkorsett, das ich kurz zuvor in der Hand gehalten hatte, erschien mir nun viel zu brav angesichts der kunstvollen und aufwendig gestylten Models. Es lagen Bände mit Fotos von harten Strafmaßnahmen, die mich erschreckten, neben denen, die mit Macht und Unterwerfung spielten, ohne allzu schmerzhaft zu wirken. Diese Szenen fand ich sofort erregend und entschied, dass sie »salonfähig« waren.

      Ich suchte nach weiteren Antworten und blätterte in einem BDSM-Lexikon, das mich noch mehr einschüchterte. Unter dem Stichwort »salonfähig« war nichts zu finden. Ab und zu blickte ich verstohlen auf und beobachtete andere Kunden, die bei den Vitrinen standen, sich beraten ließen oder spielerisch eine der Peitschen schwangen. Sie sahen harmlos aus.

      Um mich für die aufmerksame Beratung zu bedanken, wollte ich etwas kaufen und wählte aus einer Vitrine ein weiches Spitzenhalsband. An der Kasse entdeckte ich dann den Flyer des Clubs namens Dark Light. Der Name sagte mir damals nichts.

      Heute weiß ich, dass sich der Club direkt unter dem Theatercafé befindet. Der Eingang liegt im Hinterhof des Theaters. Eine steile Treppe führt in den Garderoben- und Kassenraum hinunter. Von dort geht’s über eine schwankende Holzbrücke in die Clubräume. Auf dem Weg über die Brücke steigt die Spannung unwillkürlich. Die Backsteinwände des Gewölbekellers sind unverputzt. Ein Teil des Clubs ist als Bar eingerichtet. Der größte Teil ist jedoch als mittelalterliche Welt inszeniert.

      Beim ersten Besuch ging ich mit aufmerksamen Augen durch die Clubräume. Dabei versuchte ich, die Ställe, die Ketten, den Pranger und andere Möbelstücke, die ich im schummrigen Licht erkannte, mit der Professionalität einer Forscherin wahrzunehmen. Irritiert musste ich zur Kenntnis nehmen, dass sich mein Geschlecht – meine Lady – mit heftiger Erregung meldete. Sie funkte ununterbrochen: »Das ist geil, ja, fesseln, ja, am Pranger stehen, ja, ja.« Einen noch größeren Konflikt zwischen Kopf und Körper erlebte ich, als ich die erste Schlag-Session beobachtete. Davor brachte ich Schläge mit frauenfeindlichen Reden und dem mit Gewalt verbundenen Sex in Verbindung. Ich brachte es mit meinem eigenen Ausleben von Selbsthass und mangelndem Selbstwertgefühl in Verbindung. Doch am Pranger stand keine Frau, sondern ein Mann, der sich schlagen ließ und dies genoss. Trotz dieser Widersprüche zuckte meine Lady und bescherte mir ein feuchtes Höschen. Im Laufe dieses Rundgangs begegnete ich auch Frauen, die Schläge empfingen, und sie dienten ihrem Vergnügen.

      In den Monaten, die seit diesem Streifzug durch die Geschäfte und den ersten Erlebnissen im Club vergangen waren, entdeckte ich mit der Theater-Clique so viel Neues. Wie viel Vergnügen mir eine Augenbinde und Handfesseln bereiten, wie ich Federn für sanfte Streicheleinheiten und die Klatsche für leichte Schläge genieße und wie lustvoll es sein kann, dabei fixiert zu sein und nicht zu wissen, was als Nächstes geschieht.

      Ohne Ralfs und Gils liebevolle Unterstützung hätte ich nie gewagt, ihnen die hässliche Geschichte von Alexanders Abschiedsfick zu erzählen oder den Tisch beim Roten Mond Salon zu betreuen. Die Angst, dass sie mich dann nicht mehr lieben, empfinde ich bei ihnen nicht. Ralf fand Alexanders Verhalten abscheulich, Gil war voller Mitgefühl und gleichzeitig aufgebracht.

      »Ich behaupte mal, dass das häufig vorkommt«, sagte sie damals. »Diese ungeklärten Vorfälle zwischen Beziehungspartnern, die der Mann als leidenschaftlichen Fick deutet und die Frau bestenfalls als Missverständnis. Du machst dir vor, dass dies noch einmal ein Akt nach Alexanders Regeln war. Er nimmt sich das, was er will, und das ist okay für ihn, weil er ein Mann ist. Du lässt es zu, weil du noch seine Frau bist. Doch diese Pflichterfüllung dem Mann gegenüber existiert nicht mehr. Heute gibt es sexuelle Selbstbestimmung und den Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe. Du kannst Alexander anzeigen. Willkommen im 21. Jahrhundert.«