Ärztlicher Brief, Laborbefund, Operationsbericht und FachärztInnengutachten richten sich in erster Linie an FachexpertInnen und fallen daher in den Bereich der internen Fachkommunikation (vgl. Crezee 2013: 53, Weinreich 2015: 394). Diese Textsorten enthalten Zusammenfassungen von medizinischen Gesprächen oder Eingriffen sowie von diagnostischen Untersuchungen und können wie beim ärztlichen Brief Therapievorschläge beinhalten. Sie werden zumeist von der medizinischen Institution nach Abschluss der Therapie bzw. der Behandlung übermittelt. Ebenso können ÄrztInnen nach einer ambulanten Untersuchung oder einem Beratungsgespräch einen ärztlichen Brief verfassen, obwohl dies in der Praxis in Deutschland und Österreich nicht immer der Fall ist (vgl. Möller/Makoski 2015).10 Der ärztliche Brief wird von Weinreich (2015: 397) als Kommunikationsmedium zwischen ÄrztInnen beschrieben, dessen Inhalt aus Diagnose und Therapieverlauf besteht. Laut Weinreich werden viel Zeit und strukturiertes Denken benötigt, um einen ärztlichen Brief zu verfassen, da die Informationen kurz, aber kohärent zusammengefasst werden sollen. Letztendlich kann der ärztliche Brief auch für die Kostenabrechnung von Bedeutung sein (vgl. Weinreich 2015: 398).
2.1.4 Ethnomedizinische Aspekte
Durch das Modell der partizipativen Entscheidung ist die medizinische Kommunikation in den vergangenen Jahren dialogischer und narrativer geworden (vgl. Koerfer/Albus 2015: 118). So können die von den ÄrztInnen gestellten offenen Fragen während der Gesprächsinitialisierung und der Informationsakquise den PatientInnen helfen, das eigene Krankheitsverständnis und die Schmerzwahrnehmung zu kommunizieren oder zu offenbaren. Diese Offenbarungen sind im Sinne der biopsychosozialen Medizin, die nicht nur die dichotomische Dimension von Gesundheit oder Krankheit, sondern auch die psychischen und sozialen Faktoren hervorhebt, von enormer Relevanz: „Krankheit und Gesundheit sind im biopsychosozialen Modell nicht als ein Zustand definiert, sondern als ein dynamisches Geschehen“ (Egger 2005: 3). Das Kranksein ist als dynamisch und in einem direkten sozialen und kulturellen Kontext eingebettet zu verstehen (vgl. Domenig 2003: 28). Der kulturelle Kontext kann darüber hinaus vorschreiben, wie sich Kranke zu verhalten haben. In manchen Kulturkreisen verhalten sich zum Beispiel PatientInnen als Kranke, da dies von ihnen erwartet wird: „They have to lie in bed, refuse to do anything for themselves, cry out in pain and so on“ (Crezee 2013: 27). Aus diesem Grund kann es sogar vorkommen, dass die Kranken bestimmten Empfehlungen zu Essgewohnheiten bzw. körperlicher Tätigkeit nicht nachkommen, obwohl ihnen nach einer Operation empfohlen wird, Sport zu treiben (vgl. Crezee 2013: 27f.). In einigen Kulturkreisen gilt darüber hinaus eine Krankheit als Angelegenheit der gesamten Familie: Die Krankheit besitzt eine intersubjektive Dimension und die Familie hat eine Beistandspflicht (vgl. Bechmann 2014: 222f.).
Hinsichtlich des narrativen Ansatzes bildet besonders die Schmerzbeschreibung eine Herausforderung für alle Beteiligten, denn der Kommunikationsstil unterscheidet sich nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern wird auch von kulturbedingten Aspekten beeinflusst (vgl. Menz et al. 2013: 23). So wird der Präsentationsstil u.a. von der Kultur der Sprechenden beeinflusst, die sich in einem ärztlichen Erstgespräch darüber verwundert zeigen könnten, dass die Kommunikation nicht dem Muster eines für sie gewohnten Small Talks folgt. Schmerzen basieren zwar immer auf subjektiven Erfahrungen (vgl. Crezee 2013: 27, Spranz-Fogasy/Becker 2015: 94f.), aber sie weisen mehrere Dimensionen auf: „Nach dem Dreiebenenmodell menschlichen Verhaltens beinhaltet Schmerz psychologische, physiologische und soziale Aspekte“ (Bergener 1987: 21). Die Schmerztoleranz – aber auch die Meinungsbildung zum Schmerz – ist daher nicht vom Individuum isoliert zu betrachten, sondern wird von soziokulturellen Faktoren beeinflusst. Lalouschek (2008: 31ff.) thematisiert die Kulturgebundenheit sowie die soziokulturelle Dimension von Schmerzbeschreibungen, Beschwerden und Syndromen sowie die Geschlechtsspezifik von Krankheit und Gesundheit. Anhand von Beispielen aus verschiedenen Kulturkreisen zeigt sie den Zusammenhang zwischen Symptomwahl, Symptomdifferenzierung und Krankheitsbeschreibungen.1 Deutschsprachige PatientInnen weisen in der Regel unabhängig vom Alter eine relativ hohe Schmerztoleranz auf (vgl. Delli Ponti/Forlivesi 2005: 198) und klagen seltener und weniger über Schmerzen im Vergleich zu PatientInnen aus dem Mittelmeerraum. Delli Ponti und Forlivesi (2005) führen als Beispiel den Fall eines deutschen Patienten an, der fünf Stunden im Wartesaal der Notaufnahme saß, ohne sich zu beschweren, obwohl die ÄrztInnen, die ihn später untersuchten, seine Lage viel ernster bewerteten als jene anderer PatientInnen aus Italien, Albanien und dem Maghreb, die ihre Schmerzen viel stärker nach außen getragen hatten und daher früher behandelt worden waren. Auch die non- und paraverbale Sprache bei der Schilderung von Schmerzen spiegelt soziokulturelle Aspekte wider: „Patients from some cultures express the fact that they are in pain by yelling, shouting and moaning, whereas people from other cultural backgrounds may have learned to grit their teeth and ‘suffer’ in silence“ (Crezee 2013: 28). Die individuelle Dimension des Schmerzempfindens (vgl. Meyer/Bührig 2014: 305) und das subjektive, private Krankheitsmodell (vgl. Bechmann 2014: 158) werden also um die kulturbedingte Schmerzkonzeption ergänzt. Daraus kann eine schwer nachvollziehbare Schmerzbeschreibung entstehen, die die Erstellung einer Diagnose deutlich schwieriger gestaltet.
Manche Syndrome gelten in der medizinischen und sprachwissenschaftlichen Literatur als kultur- und genderspezifisch, weshalb sie nur unter Berücksichtigung des spezifischen (sub-)kulturellen Kontexts verstanden werden können. Um diese Elemente der Beschwerdeschilderung zu verstehen, ist Kulturkompetenz in beiden Sprachen von großer Bedeutung. Ein Beispiel ist das mittel- und südamerikanische susto, ein „Schrecken, der zu Seelenverlust führt“ (vgl. Lalouschek 2008: 33). Oder die cervicale für italienischsprachige Menschen (vgl. Mitzman 2011), die in anderen Ländern nur als steifer Nacken oder Nackenschmerzen beschrieben und nicht unbedingt als ernsthafte Problematik wahrgenommen wird. Ein weiteres Beispiel für die Kulturgebundenheit von Schmerzen ist das sogenannte Mittelmeer-Syndrom, auch Morbus mediterraneus oder Morbus bosporus genannt, das durch eine exzessive Emotionalität gekennzeichnet ist und eine „erhöhte Somatisierungsneigung und Tendenz zur Somatisierung psychischer Störungen“ (Bechmann 2014: 221) von PatientInnen aus bestimmten Regionen bedeutet.2
Auch Tabus, die in jeder Gesellschaft existieren und Unterschiede zwischen Sprach- und Kulturkreisen aufweisen, können die ÄrztInnen-Patienten-Kommunikation beeinflussen. Dazu gehören Krankheiten oder Themen, die besonders mit Sexualität, Tod und menschlichen Sekreten verbunden sind (vgl. Trubel 2004: 48). Was als Tabukrankheit wahrgenommen wird, verändert sich im Laufe der Zeit (vgl. Kautsch 2012). Typische Beispiele für Krankheiten unserer Zeit, die einer gesellschaftlichen Stigmatisierung unterliegen,