Die Hündin schob ihre Nase in Crows Achsel und bohrte dort herum, als könnten sich Trüffel in den Falten seines uralten Sweaters verstecken. Crow lachte und verpasste der Hündin noch ein paar Seitenhiebe, dann stieß er mit hoher Stimme aus: »Rou-rou-rou.«
Esskay antwortete ihm noch höher, und der Vokal wirkte ein bisschen kompakter: »Ru-ru-ru.«
»Ich bin nicht wirklich ein Jeanette MacDonald- oder Nelson Eddy-Fan«, sagte Tess und schaltete die Anlage ein. Sarah Vaughn’s Stimme erfüllte das Zimmer und übertönte das Crow-Hund-Duett. »Und ich komme mir ein bisschen überflüssig vor. Möchtet ihr zwei alleine sein?«
Crow kam zu ihr herüber und verpasste Tess’ Rücken einen genauso liebevollen Schlag wie dem Windhund. Auch Tess war muskulös, aber voluminöser, deswegen war der folgende Ton tiefer und sanfter.
»Ich würde auch dich mit Salbe einreiben, wenn du wunde Stellen hättest«, flüsterte er. »Brennt es irgendwo, Tesser?«
Durch ihre Sachen hindurch suchten seine Hände Stellen, wo man Knochen fühlen konnte – die Rippen unter den schweren Brüsten, die Beckenknochen, die scharf aus ihren runden Hüften hervorstachen, die knubbeligen Ellenbogen. Er zog ihre Bluse aus ihrem langen, geraden Rock und schob eine Hand unter den Bund, er rieb ihren Bauch, wie er es bei Esskay getan hatte. Mit der anderen Hand zog er die Form ihres Kiefers und ihres Mundes nach, dann berührte er ihren Hals und ihren Nacken, wo er ihr Haar aus dem langen Zopf befreite.
»Gefällt dir das, Tess?« Sie konnte bloß nicken.
Sarah Vaughn ging eine Liste der Dinge durch, die sie der Romantik wegen nicht brauchte: spanische Schlösser, langsame Tänze, Vollmond, blaue Lagunen. Der Windhund stöhnte vor sich hin, leise und fast im Takt der Musik. »Ru-ru-ru.« Tess keuchte und streckte sich nach Crows Gesicht. Sex erschien ihr weniger intim als das hier und daher sicherer.
»Tesser?« Crow hielt ihre Handgelenke und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.
Sie wartete, sie fragte sich, was er als Nächstes sagen würde. Sie fürchtete, er würde wieder vorschlagen, bei ihr einzuziehen. Sie fürchtete, er könnte sagen, dass er sie liebte. Sie fürchtete, er könnte sagen, dass er es nicht tat.
Sarah sang davon, dass ihr Herz stillstand. Tess’ Herz schlug schneller und schneller.
»Lass uns ins Bett gehen«, sagte Crow.
4
Die Maryland Motor Vehicle Administration war, wie die meisten Behörden, ungeheuer ineffizient. Außer wenn man endlich mal eine Verschnaufpause brauchte. Dann war der verdammte Laden plötzlich ein Vorbild in Sachen Geschwindigkeit und Produktivität. Am Mittwochmorgen sehnte sich Tess verzweifelt nach fünf Minuten für sich selbst, aber sie hatte nicht mal die Gelegenheit, ihren Beacon aus der gelben Plastikhülle zu holen, bevor ein fröhlicher Bediensteter ihr auch schon einen Haufen Unterlagen brachte, die Tyner beantragt hatte. Na egal, es gab kein Gesetz dagegen, sich hier auf diese leuchtend blaue Bank zu setzen, hundsmiserablen Kaffee zu trinken und sich die frustrierten Fahrer und Möchtegernfahrer anzuschauen. Die hatten es im Gegensatz zu ihr eilig und mussten deshalb warten. So war die Politik des MVA.
»Ich geb dir zehn Mäuse, wenn du eine Nummer hast, die niedriger ist als meine«, flüsterte ein gehetzter Geschäftsmann Tess zu. Sie kannte den Typen, jemand, der viel zu wichtig war, der alles erledigte, als wäre er der Innenminister, und deswegen drängelte er sich in der Reinigung vor oder schnitt einen an der Ampel, denn natürlich musste er gleich in die Air Force One steigen und an einem Gipfel im Mittleren Osten teilnehmen.
»Ich habe überhaupt keine Nummer«, sagte sie zufrieden und musste darüber lachen, wie er von ihr wegschoss. Ja, nur eine echte Irre würde im MVA abhängen wie im Freiheitspark, wie Tommy sagen würde. Aber Tess war den ganzen Morgen unterwegs gewesen, seit der Wecker nicht geläutet hatte, was sie dreißig Minuten gekostet hatte. Weitere dreißig Minuten hatte sie verloren, weil Esskay auf den Wohnzimmerteppich gekotzt hatte. Tyner hatte sie für ihre Schlamperei bestrafen wollen, also hatte er Tess gleich wieder mit einer Liste an Unterlagen losgeschickt, für die sie fünf Behörden in zwei Gerichtsbarkeitsbezirken besuchen musste. Jetzt war es beinahe elf, und zum ersten Mal hatte sie die Gelegenheit, von ihrem Kaffee zu trinken, statt ihn sich im Auto in den Schoß zu schütten. Außerdem war es die erste Gelegenheit, im Krankenhaus anzurufen und zu fragen, wie es Spike ging.
»Immer noch stabil«, sagte eine fröhliche Krankenschwester, deren Onkel wahrscheinlich nicht im Koma lag.
»Immer noch stabil. Ist das nicht redundant?«, schnauzte Tess und knallte den Hörer wieder auf. Sie schüttete sich Kaffee in den Rachen, der heiß und kräftig genug war, ein ordentliches Brennen hinter dem Brustbein auszulösen, dann überflog sie die Titelseite. Nichts Interessantes über dem Bruch. Sie arbeitete sich zur unteren Hälfte der Seite, dem Teil, der normalerweise für Features und langweilige, aber aus irgendeinem Grunde notwendige Geschichten reserviert war. Feuchtgebiete, Abstimmungen, Sozialhilfereformen. »Pflichtficks«, wie einer ihrer ehemaligen Redakteure so schön gesagt hatte.
Aber Feeneys Autorenzeile zierte dieses spezielle Stück Text auf der Titelseite. Und außer der Headline war nichts Langweiliges daran.
QUELLEN DEUTEN AUF WYNKOWSKI-PROBLEME HIN
Von Rosita Ruiz und Kevin V. Feeney,
Beacon-Redakteure
Gerard S. »Wink« Wynkowski, jener Millionär aus eigener Kraft, der versprochen hat, seiner Heimatstadt eine professionelle Basketballmannschaft zu kaufen, kann seinen Traum vielleicht nie verwirklichen, wenn man bedenkt, wie es um seine Firmen steht und was es mit seiner bunt gescheckten Vergangenheit auf sich hat, in der unter anderem eheliche Gewalt und eine verheerende Spielsucht zu Problemen führten, erfuhr der »Beacon«.
»Bunt gescheckte Vergangenheit?«, fragte Tess laut, sodass der eilige Geschäftsmann sich lieber noch ein paar Sitze weiter von ihr wegsetzte. »Oh, Feeney, bitte sag mir, dass du das nicht geschrieben hast.«
Davon abgesehen war es Feeneys Story, genau wie er sie ihr geschildert hatte. Wie hatte er nicht wissen können, dass sie heute kam? War er so besoffen gewesen? Nein, selbst im Suff hätte er gewusst, dass seine Geschichte in der Zeitung stünde. Irgendjemand hatte gestern Abend die Chefredaktion umgestimmt. Vielleicht hatte einer der TV-Sender die Story auch in Planung, so unwahrscheinlich das auch sein mochte.
Wynkowskis Firmengruppe »Montrose Enterprises« ist nur noch ein Kartenhaus, in dem das Geld von einer Tochterfirma zur anderen wandert, um Engpässe zu vertuschen und für Cashflow zu sorgen. Seine Gläubiger reichen wortwörtlich von A bis Z – von »Ambulanter Notdienst« bis zu »Zippys Druckerei«, welche die Flyer für die Veranstaltung am Inner Harbor druckten.
Wynkowski hat es stets geschafft, seine größten Lieferanten zu bezahlen, aber kleinere Firmen sind oft gezwungen, ihn zu verklagen, um alte Schulden einzutreiben, was daran zweifeln lässt, ob Wynkowski über genügend Geld verfügt – benötigt werden geschätzt 95 Millionen Dollar –, um eine Mannschaft in die Stadt zu holen.
Selbst wenn Wynkowski den Deal finanziell stemmen sollte und sogar noch das Geld aufbringt, die monatlichen Kosten einer Mannschaft zu decken, würde eine Überprüfung seiner Person sicher zu einem Abbruch seiner Verhandlungen mit der NBA führen, wenn die Liga feststellt:
– Glaubt man Freunden und Bekannten, ist Wynkowski ein unverbesserlicher Spieler, der große Summen auf Sportereignisse setzt.
– Er führte eine dramatische erste Ehe, in der die Polizei des Öfteren wegen ehelicher Gewalt einschreiten musste, berichten Quellen, die dem Paar damals nahestanden. Er zahlt seiner