»Dann trauen sie doch wahrscheinlich ihr nicht. Weil sie neu ist und jung.«
Feeney schüttelte den Kopf. »Beim Beacon heutzutage ist es besser, neu und jung zu sein als alt und alt. Sie. Ich. Wir beide. Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Ich bin müde, Tess. Ich bin so müde, und es ist so eine verdammt gute Story, und am liebsten würde ich mich einfach jetzt hier auf dem Tisch schlafen legen, aufwachen und dann feststellen, dass sie sie doch noch gedruckt haben.«
»Feeney, ich bin sicher, sie werden sich bei dir entschuldigen, und du wirst deine große Story bekommen«, sagte sie und schob sein Wasserglas näher zu ihm hin in der Hoffnung, ihn abzulenken. Er scheint sich zu beruhigen, dachte sie. Vielleicht ist der Abend noch zu retten.
Feeney sprang auf. Er umklammerte das Martiniglas immer noch fest. »Es geht doch nicht um mich oder meine große Story!«, rief er. Die anderen Barbesucher schauten sich nach ihm um, sie betrachteten ihn überrascht und verärgert.
»Okay, es geht um mich«, zischte er, wobei er sich herunterbeugte, sodass nur Tess ihn hören konnte. Er hatte so viel getrunken, dass ihm Gin aus den Poren zu kommen schien. »Es geht um meine Karriere oder was davon noch übrig ist. Aber es geht auch um diese wichtigen Sachen, um die es in Zeitungen doch eigentlich gehen sollte. Du weißt schon – Wahrheit, Gerechtigkeit, der erste Zusatzartikel, die vierte Macht. Wir sollten keine Cheerleader sein, die ›Lah-lah-lah, gib uns den Ball‹ rufen. Wir sind gottverdammte Wachhunde, die einzigen, die es interessiert, ob die Stadt gut bei etwas abschneidet oder von irgendeinem Drecksack über den Tisch gezogen wird.«
Er schwankte beim Sprechen ein wenig, und seine Worte verschwammen. Er brachte kaum noch Konsonanten hervor, aber er war nicht so betrunken, wie fünf Martinis vermuten ließen. Seine Trauer hatte ihn stärker im Griff als der Alkohol.
»Feeney, was soll ich denn dagegen tun?« Tess war nicht die beste Zuhörerin, wenn es um die Ehre des Journalismus ging.
»Was schon, trink auf das Ende meiner Karriere!«, dröhnte er und prostete allen Anwesenden mit seinem inzwischen leeren Glas zu. Die üblichen Verdächtigen hoben erleichtert ihre Gläser. Das war der Feeney, den sie kannten, der für das Publikum spielte.
»Weshalb bist du so glücklich?«, rief ein weißhaariger Mann von der Bar aus.
»Bin ich glücklich? Bin ich frei? Die Frage ist absurd! Es ist etwas weit, weit Besseres, was ich tue, als was ich je getan habe!« Feeney knallte sich seine zerknitterte Kappe auf die Rübe und eilte hinaus, die Fransen seines Schals flogen hinter ihm her, das Martiniglas behielt er in der Hand. Tess blieb mit einem halb ausgetrunkenen Martini, Feeneys Rechnung und ohne Gesellschaft für die Tortellini, auf die sie sich gefreut hatte, zurück. Feeney wusste, wie man abging, das musste man ihm lassen. Nur die Anspielung auf Charles Dickens’ Eine Geschichte aus zwei Städten war ein bisschen ungewöhnlich – zu leicht erkennbar für Feeneys Geschmack. Er bevorzugte unbekanntere Zeilen, wie die davor: Bin ich glücklich? Bin ich frei? Das kam ihr verdammt bekannt vor, aber ihr fiel nicht ein, woher.
Es war noch nicht acht Uhr, und jetzt war sie allein, und außerdem verdammt hungrig. Tess hasste es, allein im Restaurant zu essen. Eine Charakterschwäche, das war ihr klar, und eine Beleidigung für Feministinnen in aller Welt. Aber so war es nun einmal. Sie trank aus, beglich Feeneys stattliche Rechnung und ging. Sie könnte bei Eddie’s Eager reinschauen, sich was Tiefgekühltes und vielleicht noch eine der blöden Zeitschriften holen, die man in der Badewanne las. Der verdammte Feeney. Sie hatte ausgehen wollen, und jetzt war sie allein, hatte einen Drink heruntergestürzt und konnte sich auf eine tiefgekühlte fettarme Lasagne freuen.
Aber als sie dreißig Minuten später ihre Wohnung erreichte, kam der Duft im Flur aus ihrer Küche, nicht aus Kittys. Sie erschnupperte Lamm, Brot, Backäpfel. Sie nahm zwei Stufen auf einmal, wie die hungrige Esskay am Morgen.
Crow empfing sie in der Tür, er umschlang sie mit seinen langen Gliedern, bevor sie auch nur den Mantel ausziehen oder die Einkäufe abstellen konnte.
»Ich hab dich nicht erwartet«, murmelte sie in seinen kratzigen Wollpullover, und sie hoffte, er würde nicht bemerken, wie sehr sie sich freute. »Ich hab dir eine Nachricht hinterlassen, dass ich mit Feeney ausgehe.«
»Ich hab heute für Kitty abgeschlossen, also dachte ich mir, ich geh hoch und mach was zu essen. Schlimmstenfalls wärst du ganz kicherig von deinem Saufgelage heimgekommen, ich hätte dich ins Bett gesteckt und morgen Mittag Lammeintopf und Apfelkuchen gegessen.«
»Glaub mir, Feeney war heute Abend ganz bestimmt nicht kicherig.«
Crow hörte nicht wirklich zu. Er küsste ihre Augenbrauen und ihre Ohren, er fasste sie überall an, er schien wie immer erstaunt zu sein, sie wieder zu sehen, selbst in ihrer eigenen Wohnung.
»Dein Gesicht ist ganz kalt, Tesser«, sagte er und benutzte den Kindheitsnamen, den sie sich selbst gegeben hatte, eine Mischung aus ihren beiden Vornamen, Theresa Esther. Ein Name, der nur Familienmitgliedern und ganz alten Freunden zustand. Crow war keiner davon, nicht nach fünf Monaten. Er war 23, sie 29. Fröhliche, sorglose 23. Er hatte glänzend schwarzes Haar, das fast so lang war wie ihres, obwohl er normalerweise grüne oder rote Streifen einfärbte, und er hatte einen federnden Gang. Es überraschte sie immer noch, dass sie den Kopf heben musste, um in sein schmales eckiges Gesicht zu schauen, als bedeutete der Altersunterschied, dass er auch kleiner sein müsste.
»Was hältst du von dem Neuzugang?«, fragte sie und deutete mit dem Kinn auf Esskay, die Tess anstarrte, als versuchte sie sich zu überlegen, woher sie sie kannte.
»Sie ist süß. Kitty und ich haben sie vorhin rausgelassen, dann habe ich ihr Reis und gedämpftes Gemüse gemacht. Sie hat eine sehr alte Seele, unsere neue Hündin.«
Tess runzelte die Stirn. »Unser« war ein Wort, das man um jeden Preis meiden sollte. Ihre Beziehungsregeln – genauer gesagt ihre Nichtbeziehungsregeln – verbaten gemeinsame Bücher oder CD’s, erforderten das Aufteilen der Rechnungen, wenn man essen ging, und erlaubten keinerlei gemeinsame Anschaffungen.
Aber sie sagte bloß: »Wieso um Himmels willen hast du ihr Reis und Gemüse gemacht? Ich hab doch zehn Kilo Hundefutter.«
»Ich koche gern für meine Frauen«, sagte er und rückte ihr einen Stuhl an dem großen Tisch zurecht, der zugleich als Esstisch und Tess’ Schreibtisch fungierte. »Hey, hab ich dir erzählt, dass Poe White Trash am Samstag spielt?«
»Wo?«
»In der Floating Opera.«
»Das heißt ja wohl, dass ich mir nichts von Rodgers und Hart wünschen kann«, sagte sie und versuchte, keine Grimasse zu schneiden. Die Floating Opera war ein regelmäßiger Rave ohne festen Standort, der durch die ganze Stadt zog – oder zumindest durch die angesagteren, heruntergekommenen Gegenden – gemäß eines Musters, das nur die Jünger begriffen. Deshalb hatte die F.O. keine der Annehmlichkeiten eines echten Clubs, wie Alkohol, Essen oder Toiletten, aber alle Nachteile: Zigarettenrauch, zu laute Musik, zu junges Publikum.
»Rodgers und Hart«, stöhnte Crow. »Wir haben nichts übrig für diesen Retro-Dreck.«
»Elvis Costello hat ›My Funny Valentine‹ gesungen.«
»Tesser, Elvis Costello ist alt genug, um mein Vater zu sein.«
»Aber nicht alt genug, um meiner zu sein, stimmt’s?«
Er lächelte, was sie entwaffnete. »War Feeneys Laune ansteckend? Oder bist du bloß wild auf einen Streit?«
»Ein bisschen von beidem«, gestand sie und aß zerknirscht und peinlich berührt von ihrer Laune stumm ihren Eintopf.
Nach dem Essen stellte sie die Schalen in die Spüle, nur damit Crow sie für Esskay wieder rausholte, die den Resten schnell den Garaus machte. Crow streichelte die Hündin und klopfte ihr auf die Seiten. Für so einen dünnen Hund hatte sie jede Menge Muskeln: Crows liebevolle Schläge dröhnten wie auf einer Trommel.
»Ist Eintopf gut für sie, nach dem Reis und dem Gemüse?«,