»Was für einem Typen?«
»Einem Typen aus diesem Laden, wo er manchmal hingeht?«
Die Hündin schaute zu Tess auf, und der herunterhängende Schwanz bewegte sich ein wenig, als hätte sie eine vage Erinnerung daran, vor langer Zeit einmal damit gewedelt zu haben. Tess schaute zurück. Sie war kein Hundemensch. Sie war auch kein Katzenmensch, Fischmensch oder Pferdemensch. An schlechten Tagen war sie noch nicht einmal ein Menschenmensch. Sie aß Fleisch, trug Leder und liebte heimlich den alten Nerz ihrer Mutter. Pelz war warm, und die Winter in Baltimore schienen immer schlimmer zu werden, trotz der globalen Klimakatastrophe.
»Wieso kannst du sie nicht nehmen, Tommy?«
»Ich kann keinen Hund in der Bar halten, dann macht die Gesundheitsbehörde uns zu? Ihr Name ist S.K.?«
»Was sind denn das für Initialen, S.K.?«
»Nein, Esskay? Wie die Wurst?«
»Wie in ›Schmeck den Unterschied der Kawalität?‹, diesem Spot, bei dem sich Cal Ripken Jr. eine Scheibe Speck in die Basketballfresse schiebt?«
»Ja, das ist ihr Lieblingsessen, aber das kriegt sie nur ausnahmsweise. Die restliche Zeit bekommt sie dieses besondere Hundefutter, das Spike ihr gekauft hat.«
Fünf Minuten später saß Tess in ihrem zwölf Jahre alten Toyota, das Hundefutter lag im Kofferraum, und Esskay stand mit durchgestreckten Beinen auf dem Rücksitz, rutschte in jeder Kurve vor und zurück und wimmerte bei jedem Schlagloch, also etwa alle zehn Meter. Baltimores Straßen, um die es sowieso nie gut gestanden hatte, litten unter diesem Winter mehr als alles andere. Und es half nicht, dass der Wagen hinter ihr das Fernlicht an hatte und offensichtlich bis nach Fells Point an ihrer Stoßstange kleben wollte. Letztendlich überfuhr sie an der Edmondson Avenue eine rote Ampel, nur um diesen Idioten endlich loszuwerden.
»Sitz! Setz dich hin!«, zischte Tess die Hündin an, aber Esskay starrte einfach nur zurück und glitschte weiter über den Vinyl-Rücksitz, sie stieß sich den Kopf am Fenster, dann rutschte sie zur anderen Seite und knallte mit dem Hintern ans andere Fenster. Aber sie bellte nicht, das fiel Tess auf, sie machte überhaupt kein Geräusch, außer diesem fast unhörbaren Wimmern ganz tief im Rachen.
Die Sonne war gerade schwächlich aufgegangen, als Tess am nächsten Morgen die Augen aufschlug. Komisch, normalerweise wachte sie im Winter nicht so früh auf, es war die einzige Jahreszeit, in der sie ausschlafen konnte. Vom Frühjahr bis zum Herbst, wenn sie ruderte, war sie mit den Vögeln auf. »Und jetzt bist du mit Crow im Bett«, scherzte ihre Freundin Whitney immer wieder; ein bisschen zu regelmäßig in den letzten paar Monaten. Ihr war nicht ganz klar, ob Whitney etwas dagegen hatte, dass Tess einen Freund hatte, oder ob sie einfach nur diesen speziellen Freund lächerlich fand. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem.
Aber an diesem Morgen lag nicht Crows langer, warmer Körper neben ihr. Sie rollte sich in die Mitte des zu weichen Bettes und starrte plötzlich in das leichte Schielen Esskays, die ungeschnittenen Krallen der Hündin bohrten sich in ihren Arm, und die Hinterbeine zuckten spastisch.
Tess stützte sich auf einen Ellenbogen und starrte die Hündin an, die Hündin wich zurück, dabei riss sie die traurigen Augen auf.
»Nimm’s nicht persönlich, aber du bist der hässlichste Hund, den ich je gesehen habe.«
Die Schnauze erinnerte sie an einen Dinosaurier, genau genommen an den langen Kiefer des Velociraptors. Die Beine waren dürr, das Fell spärlich und zum Teil verklebt. An Rumpf und Schwanz leuchteten rote Stellen, und der wässrige Blick wich einem aus. Insgesamt ähnlich wie Tess mit dreizehn – zu langer Körper, zu dünne Beine, rote fleckige Haut, schlechte Manieren. Aber auch um die Zähne der Hündin war es schlecht bestellt, dem fischigen heißen Atem nach zu urteilen, den Esskay in schnellen Stößen aushechelte.
Tess murmelte leise vor sich hin. Sie zog einen Trainingsanzug und Wanderstiefel an, um schnell mit dem Hund rauszugehen. Die Hündin sprang begeistert auf, als sie ihre notdürftige Leine sah, eine lange, schwere Metallkette, mit der Spike wahrscheinlich sonst sein Parkplatztor sicherte. Aber am oberen Ende der Treppe blieb Esskay plötzlich stehen. Letzte Nacht war der Windhund auch nicht bereit gewesen, die Treppe zu Tess’ Wohnung hochzugehen, also hatte sie Esskay zwei Stockwerke hochgetragen; sie war davon ausgegangen, dass die Hündin zu schwach zum Klettern war. Aber jetzt stellte sich heraus, dass der Windhund prinzipiell etwas gegen Treppen zu haben schien.
»Komm schon, du blöde Töle«, sagte Tess und zog am Halsband der Hündin, aber Esskay rührte sich nicht. Sie kniete sich hinter sie und versuchte, sie die Treppe runterzuschieben, aber die Hündin stemmte sich dagegen, und ihre dürren Beinchen erwiesen sich als ganz schön kräftig.
»Na los, verdammt noch mal! Ich trag dich doch nicht jeden Tag die Treppe rauf und runter.«
Tess’ Ausbruch beeindruckte den Hund gar nicht, ließ aber ihre Tante auf den Absatz im ersten Stock treten. Kitty war normalerweise genau die Art Vermieterin, die man liebte: Sie stellte wenig Regeln auf und hatte kaum etwas gegen Lärm und merkwürdige Besucher. Aber sie konnte nichts ertragen, was unschön aussah, und was das anging, war Esskay ganz bestimmt ein Problem.
»Wie geht’s Spike?«, fragte sie und hüllte sich in eine braune Chenille-Robe. Ihr blasses Gesicht war gerötet, ihre roten Locken waren zerzaust. »Tut mir leid, dass ich weg war, als du gestern Nacht zurückkamst, aber ich musste zu diesem Meeting der Ladenbesitzer aus der Gegend. Wir kämpfen immer noch gegen diese Megabars. Und was ist das? Die größte Ratte der Welt?«
»Das ist ein Riesennervvieh, und ich verdanke es Spike.«
Ein kleiner, muskulöser Mann tauchte hinter Kitty auf. Er trug einen karierten Bademantel, den Tess in den zwei Jahren, die sie über ihrer Tante wohnte, schon an vielen Männern gesehen hatte. Sie kannte diesen Typen nur vom Sehen – er war Barkeeper in einem neuen Laden an der Thames Street, einer der sogenannten Megabars, gegen die sich die Nachbarschaft in Fells Point engagierte. Aber Kitty war immer schon sehr offen gewesen; sie konnte sich gegen ein Geschäft einsetzen, aber sich dennoch gut mit den Angestellten verstehen.
»Das ist einer dieser Windhunde von den Hunderennen«, stellte der Barkeeper selbstzufrieden fest. »Wie lang hast du ihn schon?«
Erstaunlich, wie manche Männer ihr eigenes Geschlecht auf alles projizieren, als müssten alle Lebewesen männlich sein bis zum Beweis des Gegenteils.
»Ich hab sie seit ungefähr zwölf Stunden.«
»Na, da hast du die Ursache des Problems. So ein ehemaliger Rennhund hat noch nie Treppen gesehen, also musst du ihn erst dran gewöhnen. Ein Fuß, anderer Fuß. Ein Fuß, anderer Fuß. Mein Cousin hatte mal einen Windhund. Man hilft ihnen rauf und runter, bis sie’s kapieren. Sie kennen auch keine Spiegel.«
»Das Glück sollten Frauen haben«, murmelte Kitty. »Das ist übrigens Steve. Steve, das ist meine Nichte Tess.«
»Nichte?«
Andere Frauen hätten ihm sofort versichert, dass Tess’ Vater viele Jahre älter sei. Tess’ Tante Kitty war der Nachschlag in einer Familie mit vier Jungs, und sie war keine fünfzehn Jahre älter als die 29-jährige Tess. Aber Kitty war selbstsicher, lächelte einfach nur und nickte.
Tess kniete sich vor Esskay und führte die Vorderbeine der Hündin eine Stufe herunter. Die Hündin war erstaunlich kooperativ, sie ließ jede Pfote hochnehmen und absetzen. Aber sie ging nicht alleine weiter. Eins-zwei, Vorderbeine runter, drei-vier, Hinterbeine. Wiederholen. So brauchte Tess ein paar Minuten, um auch nur den Treppenabsatz zu erreichen, wo sie innehielt, um Atem zu schöpfen. Sie war gut in Form, aber ganz offensichtlich hatte sie bei ihren normalen Workouts die Muskeln vernachlässigt, die man für das Windhund-Treppentraining brauchte. Und Kauern war die Hölle für ihren Rücken und die Knie.
»Was wissen sie außerdem noch nicht?«, rief Tess zu Barkeeper Steve hoch, als sie mit Esskay die zweite Treppe in Angriff nahm.
»Sie sind an