Des Kaisers Reeder. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467237
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und Mariannens Gesicht neigt sich erschrocken über ihn. Wie gut, daß er nicht voreilig gewesen ist, dann wäre es nicht Marianne, sondern die hamsterbackige Witwe Reimers, die sich über seine Starre gebeugt, und der unechte Perser ihres Logiszimmers wäre schwer mit einer Sommerwiese zu verwechseln. Aber nun hat sich alles von Grund auf gewandelt. Ein Häuschen steht bereit, es lohnt sich ungemein, dem Dasein schrankenlos zu vertrauen. Lange Jahre großer Segen, spricht eine alte milde Stimme in ihm.

      „Herr Wuttke“, sagt er und schlägt die Augen so jählings berauscht auf, daß es dem Juwelier, der die eingepaßte Nadel gerade elegant präsentiert, wie ein Schreck durch Mark und Knochen fährt und er beschwörend herunterhaspelt: „Beste Präzisionsarbeit, mein Herr, sowohl für Kravatte geeignet wie fürs Chemisett. Hier haben Sie die einfache kleine Sicherung. Unser Patent. Wollen Sie gleich anlegen? Darf ich mal? ... So! Ausgezeichnet.“ Er rückt einen venetianischen Kristallspiegel heran: „Nicht wahr?“

      Ballin blitzt ihn dankend an. „Ich brauche eine weitere Sicherung, Herr Wuttke. Wissen Sie, so ein paar kleine runde Miniaturhandschellen, um mich selbst für den Rest meiner Tage an die Kette zu legen.“

      Wuttke, alsbald verstehend, versichert voller Erleichterung: „Auch das in jeder Ausführung. Möchten wir uns in die Offizin zurückbequemen? Darf ich übrigens hören, ob die kleine Uhr damals soweit gefallen hat?“

      „Gewiß, gewiß!“ lächelt Ballin, erhebt sich und zückt den eigenen Chronometer, dessen Tombak, wie Wuttkte mit wohlgeübtem Blick feststellt, sicher demnächst durch ein hanseatisch echt goldenes Exemplar mit Sprungdeckel und Repetierwerk zu ersetzen sein wird.

      „Sie belieben das Maß für die verehrte Zukünftige gewiß bei sich zu haben, Herr Ballin?“ fragt er und schlüpft leichten Fußes durch den roten Vorhang.

      Gerade tritt eine Dame von draußen herein, Marianne. Sie ruft ungeziert in die weihevolle Lautlosigkeit von Sammet und Gefunkel: „Na, Albert, komm ich noch zurecht? Sind die Fesseln parat?“

      Ballin strahlt: „En miniature und per sofort, Madam.“

      Schon hat Wuttke eine Auswahl massiver Trauringe auf weißem Atlastablett über den Ladentisch gleiten lassen. Seine ergebene Miene läßt nicht vermuten, daß er sich dabei mokant selber fragt: „Hat nun diese blonde Kriemhild, weibliche Ausgabe des pompösen Goliath, den kleinen David hier zur Strecke gebracht oder umgekehrt?“

      *

      Die Hochzeit findet im engsten Familienkreise am 11. Januar 1883 statt. Marianne hatte nicht gedrängt, daß Albert sich taufen lasse. So hätte die standesamtliche Eintragung genügt, die durch Bismarck seit acht Jahren Gesetz war und jeder konfessionellen Beurkundung vorging. Da man aber in der schönen Villa des Generalkonsuls Rohlsen feierte, der Mariannes Schwester Bertha zur Frau hatte, war ihre Familie doch sehr erbaut, daß der hausbefreundete Pastor in der kleinen ehrwürdigen Dreifaltigkeitskirche zu Hamm dem jungen Paar seinen Segen nicht vorenthielt.

      *

      Ein paar Tage auf der Insel Helgoland, das ist die ganze Hochzeitsreise, aber sie genießen sie gebührend. Marianne schwelgt in lustigen Erinnerungen, und die Nordseeinsel, damals noch nächstgelegenes englisches Ausland, ist malerisch mit rotröckigen britischen Wachtsoldaten als lebendigen Gegenstücken zu den roten Felsen geschmückt. Nirgends kann man Champagner so billig und zollfrei trinken, und nirgends schmeckt der Hummer so gut wie hier.

      Albert nennt das Eiland ein Schilderhaus, darin Britannien die Elbmündung bewacht, falls die Franzosen sich nicht länger im Zaum halten können, Elsaß-Lothringen zurückzuholen und Hamburg, wie schon einmal, als Kolonie zu kassieren.

      „Mit ihren paar Kanonen können aber auch die Engländer von hier aus ebensogut unsere ganze Schiffahrt sperren“, meint Marianne.

      „Grund genug, uns mit ihnen zu vertragen, Marianne. Wir haben mehr davon, wenn sie Helgoland behalten, als daß ein paar Schreihälse bei uns daraus ein kleines Außenfort gegen England machen und noch wunder was meinen, wie pfiffig und patriotisch das sein würde.“

      Erst auf Helgoland erreicht sie ein Telegramm Cassels. Sein Glückwunsch klingt wehmütig: „Möge Ihnen beiden dauernder ein Glück beschieden sein als mir.“

      „Das klingt ja fast tragisch, Albert.“

      „Ernest Cassel hat seine Frau nur drei Jahre haben dürfen. Ich hab’ sie noch gekannt. Sie ist jung und frisch und blühend gewesen, wie vom Lande. Und blond wie du. Erst als sie im Sterben lag, von Schwindsucht aufgezehrt, und der Pfarrer ihr das Sakrament reichte – sie war katholisch – hat sie ihren Mann gebeten, er möge sich zu ihrem Glauben bekennen.“

      „Warum das, Albert?“

      „Sie fürchtete, ihn sonst im Himmel nicht wiederzusehen.“

      „Das ist ja ein sonderbarer lieber Gott, der sich wie ein Zöllner oder Polizist einen Paß vorzeigen läßt. Hat ihr Mann denn konvertiert?“

      „Wir haben nie darüber gesprochen. Ernest ist fünf Jahre älter als ich und hatte es immer schon etwas weiter gebracht. Da verstummen die Fragen.“

      „Und was würdest du tun, Albert?“

      „Alles, was du verlangst.“

      „Evangelisch werden?“

      „Da ich weder an die unbefleckte Empfängnis der Jungfrau und ihre leibliche Himmelfahrt noch an die Unfehlbarkeit des Papstes glauben müßte, wäre nur noch der Kannibalismus mit dem ‚Blut und Fleisch des Herrn‘ zu überlegen.“

      „Selbst an meinem Sterbebette?“

      „Marianne! Lieber will ich alsbald in der nächsten Brandungswelle gemeinsam mit dir ertrinken, als überhaupt jemals denken, daß du mich allein lassen könntest.“

      Und nun stürzen sie Hand in Hand in den sprühenden Gischt der Dünenkante. Sie schreien vor Übermut und Lebenslust und kommen rechtzeitig wieder heraus, um sich mit dem Fischerboot zurück auf die ragende Insel und zum Frühstück tragen zu lassen.

      Mochten ihre oder seine Vorfahren herstammen, wo immer die Welt rund ist: Sie beide waren in Hamburg geboren und aufgewachsen. „Wir sind nüchterne Hanseaten“, sagte Marianne, „und lassen uns nicht mit Phantastereien und Vorurteilen aufhalten, sondern suchen selbstverständlich den Tatsachen das Nützliche abzugewinnen.“

      Sie sprach mit fast geschlossenen Lippen. Die Zähne der Hamburger sind immer etwas zusammengebissen wie von unbewußter Konzentration oder bewußter Energie. Denn jedermann an dieser Weltecke ist immerzu auf dem Quivive, sozusagen auf Ausguck, stets in Habacht und mit steifgehaltenen Ohren, um nicht abgeschleudert zu werden von der Taumelscheibe in dem unaufhörlichen Sog des lautlosen klimatischen Wirbels, der vom Atlantik, golfstrombefiebert, herüberreicht.

      4.

      Die Hapag wird unruhig

      Woermann ist fürs Haben · Weltweite Herzen · Sind Kolonien gut? · Ein Sporenhieb · Zoll und Anschluß · Meyer wird Direktor · Zerplatztes Ruhmesblatt · Die Reitgerte knallt · Gestillter Atlantik · Fusion auf Abruf.

      Adolph Woermann wartet stämmig an der rindsledernen Kante des Sitzungstisches. Seine weißgeblümte graue Pikeeweste wölbt sich wie das Vorgebirge einer neuentdeckten Küsteneinfahrt. Vom Leinwandhandel ist sein Vater Carl einst aus Bielefeld in die Hansestadt eingewandert. Nun dient die griffige Ware den schwarzen Missionszöglingen zwischen Gabun und Windhuk, die Unschuldsblöße mit Hemden der Firma zu verhüllen. Das bißchen Beigeschäft mit Flinten und Schnaps – blaue Glasperlen ziehen kaum noch – allein den Engländern zu überlassen, wäre moralisch ungenügend vertretbar. Es gibt noch manche Möglichkeiten auf dem dunklen Erdteil, der noch vor kurzem solch unermeßliche Umsätze durch den Sklavenhandel gebracht hatte. Das lebendige schwarze Elfenbein hatte sich durch den billigen Transport des toten weißen aus dem Innern des Kontinents doppelt bezahlt gemacht. Nun sind auch die Elefantenzähne teurer geworden wie alles in der Welt.

      Das spürt selbst die Hapag, an deren Verhandlungstisch Woermann sitzt. Sie