Hörigkeit des Herzens. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718902
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ihr bewußt wurde, daß er ihr nicht mehr zuhörte; er hatte aufgelegt.

      Sie merkte, daß sie Hunger hatte, ging in die Küche, strich sich ein Butterbrot und trank noch eine Tasse Kaffee. Bis zum Besuch bei Fabian blieb ihr noch viel Zeit. Sie steckte den Wohnungsschlüssel ein und stieg zum Dachboden hoch, wo sie Wäsche zum Trocknen aufgehängt hatte. Die Blusen waren gerade richtig, bügelfeucht. Sie nahm sie von der Leine, legte sie in einen Wäschekorb und trug sie hinunter. Katrin und sie trugen sehr häufig Blusen, so daß eine beachtliche Anzahl zusammengekommen war.

      In der Küche stellte Eva das Bügelbrett auf, knipste das Eisen an, hing Kleiderbügel an die Schränke und machte sich an die Arbeit. Sie ging ihr leicht von der Hand. Während sie das heiße Eisen über den Baumwollstoff gleiten ließ, dachte sie daran, daß sie die Pflege von Fabians Hemden gut und gern mit übernehmen könnte. Da er meist Pullis oder T-Shirts trug, würden nicht mehr als zwei, drei in der Woche Zusammenkommen. Als sie ihm das einmal vorgeschlagen hatte, war er durchaus nicht erfreut gewesen.

      »Das könnte dir so passen«, hatte er geknurrt.

      Sie hatte ihn nicht verstanden.

      »Meinst du, ich merke nicht, worauf du hinauswillst?« hatte er aufgebracht gefragt.

      Sein unerwartet gehässiger Ton hatte ihr die Tränen in die Augen getrieben.

      »Du willst mich von dir abhängig machen!«

      »Aber nein, Fabian, wirklich nicht«, hatte sie gestammelt, »auf die Idee wäre ich nie gekommen. Ich wollte dir ja nur helfen.«

      »Wenn ich Hilfe brauche, werde ich es dich schon wissen lassen.«

      Eva erinnerte sich gut. Sie war wie vor den Kopf gestoßen gewesen. Sogar ein paar Tränen hatte sie vergossen, obwohl sie sich dabei lächerlich vorkam, und das hatte die Sache nicht besser gemacht. Fabian hatte sie deswegen ausgelacht, und sie wußte, daß sie seinen Spott verdiente.

      Damals, dachte sie, hatte sie nicht gewußt, wie glücklich sie gewesen war. So glücklich, daß ihr ein böses Wort genügte, um es zu einem Problem aufzubauschen. Wie töricht sie gewesen war.

      Erst jetzt, da ein Mensch durch ihr Verschulden im Krankenhaus lag und vielleicht sogar mit dem Tod rang, hatte sie erfahren, was wirkliche Sorgen waren.

      Sie hatte Fabian dazu bewegen wollen, mit ihr zusammen den Verletzten zu besuchen. Aber er hatte ihr nicht einmal zugehört.

      Doch sie würde sich nicht abwimmeln lassen. Wenn sie sich nachher Auge in Auge gegenüberstanden, würde sie ihm verständlich machen, daß es einfach sein mußte. An einem Besuch am Krankenbett führte kein Weg vorbei.

      Eva verfügte über einen Schlüssel zu Fabians Atelier. Trotzdem klingelte sie, bevor sie eintrat, weil er es haßte, überrascht zu werden. Sie öffnete die Tür voller Schwung und blieb dann verdutzt auf der Schwelle stehen.

      Fabian war nicht allein, und er war ungewöhnlich sorgfältig angezogen, in schwarzer Hose, hellblauem Seidenhemd und grauer Kaschmirjacke. Seine Besucherin war älter als er. Sie mochte um die Dreißig sein und hatte das ganz bestimmte Etwas, das sie als Schauspielerin auszeichnete: eine Art, die schönen Beine zur Geltung zu bringen, die anmutige Haltung des ganzen Körpers, das raffiniert geschnittene dunkle Haar, das ihr gar nicht mal stark geschminktes Gesicht scheinbar so natürlich umgab.

      »Oh, hallo!« sagte Eva und kam sich ungewandt vor. »Komm herein und mach die Tür zu!« befahl Fabian. Eva tat, wie ihr geheißen.

      Fabian hatte Tee gemacht. Es war ungewöhnlich, daß er sich für einen Besuch dieser Mühe unterzog. Sie saßen an dem kleinen Tisch mit der Glasplatte, Zucker, Sahne und einen Teller mit Keksen zwischen sich. Die Unbekannte rauchte aus einer langen elfenbeinernen Spitze. »Hast du das Manuskript dabei?« fragte Fabian unnötigerweise, dann stellte er lässig vor: »Eva Silbert, eine Mitarbeiterin … Frau Agnes Hollmann.«

      Eva hätte sich gewünscht, daß er sie als seine Freundin bezeichnet hätte. »Ja, natürlich«, sagte sie und öffnete ihren kleinen Koffer.

      Agnes Hollmann musterte sie mit unverhohlener Neugier. »Du bist auch Schauspielerin?«

      Fabian verzog den Mund. »Dazu müßte sie sich erst mal die Beine neu einschrauben lassen.«

      Eva konnte nicht verhindern, daß sie schmerzlich errötete. Sie wußte, daß sie X-Beine hatte und daß man es sah, auch wenn sie stets Röcke trug, die die Knie sorgsam bedeckten. Aber daß er sich bemüßigt fühlte, die andere darauf aufmerksam zu machen, verletzte sie tief. Agnes Hollmann lachte auf, es war ein gurrendes, verführerisches Bühnenlachen. »Wie boshaft du doch sein kannst, Fabian! Ich kenne Schauspielerinnen, die wahre Kartoffelstampfer als Beine haben, und die trotzdem erfolgreich sind.«

      »Ich bin keine Schauspielerin und wollte es auch nie werden«, behauptete Eva nicht ganz wahrheitsgemäß, denn es hatte schon eine Zeit gegeben, in der sie mit dem Gedanken an diesen Beruf gespielt hatte, »ich bin Sekretärin und damit ganz zufrieden.«

      Agnes Hollmann wandte sich an Fabian: »Deine Sekretärin?«

      »Könnte ich mir nicht leisten.«

      Eva reichte ihm die Reinschrift.

      »Du schreibst also doch für ihn?« erkundigte sich Agnes Hollmann.

      »Auf freiwilliger Basis«, erklärte Eva.

      »Schön dumm von dir. Wie heißt es doch noch? Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert.«

      »Ich tue es zum Vergnügen.«

      Fabian blätterte die Textseiten durch.

      Agnes Hollmann nahm sie ihm aus der Hand. »Laß sehen!«

      Eva wußte, daß Fabian es absolut nicht leiden konnte, wenn jemand sich mit seinen unfertigen Arbeiten beschäftigte. Gerade deshalb war sie auch so stolz, daß dieses Tabu für sie nicht bestand. Aber der erwartete Einspruch blieb aus. Fabian ließ es ohne Widerstand zu, daß die Hollmann zwei, drei Seiten überflog.

      Dann reichte sie ihm die Blätter zurück.

      »Nun, was sagst du dazu?« fragte er erwartungsvoll. Anmutig zuckte sie die Achseln. »Die Abschrift jedenfalls ist ganz vorzüglich.«

      Das war eine bewußte Kränkung. Einerseits gönnte Eva sie ihm, andererseits war sie wütend, daß die andere ihm das antun konnte. »Ich finde es hochinteressant«, sagte sie mit Nachdruck.

      Agnes Hollmann lächelte sie freundlich an. »Natürlich tust du das. Anderes wäre ja nicht denkbar.«

      Wenn Fabian sich getroffen fühlte, ließ er es sich doch nicht anmerken. »Du müßtest es als Ganzes lesen.«

      »Das werde ich tun, wenn es fertig ist.«

      »Danke«, sagte er sehr zahm.

      Eva stand noch immer, den Koffer in der Hand. Niemand hatte sie aufgefordert, sich zu setzen, und es war ja auch kein Stuhl frei. Sich in ihrem hellen Kostüm auf eines der dicken Kissen auf dem Boden niederzulassen, erschien ihr unangebracht; den Koffer auszupacken und in Anwesenheit der Schauspielerin ihre Unterwäsche, Jeans und Pullis zu verstauen, wäre auch unpassend gewesen. So blieb sie stehen und wartete auf Agnes Hollmanns Aufbruch.

      Endlich schien es soweit zu sein. Mit spitzen Fingern entfernte die Schauspielerin den Stummel aus ihrer langen Spitze und drückte ihn im Aschenbecher aus. Sie ließ die Spitze in ihre Handtasche gleiten, zog, fast gleichzeitig, einen Taschenspiegel heraus und musterte ihr Make-up.

      Fabian gab Eva die Reinschrift.

      »Soll ich sie in den Ordner tun?«

      »Nein. Leg sie einfach auf den Schreibtisch.«

      Eva nutzte die Gelegenheit, ihren Koffer beiseite zu stellen.

      Indes hatte Agnes Hollmann einen Lippenstift aufgeschraubt und verbesserte die Konturen ihres Mundes. »Ich glaube, es wird Zeit für uns, mein Lieber«, erklärte sie

      Fabian stand auf, zog seine Kaschmirjacke