Hörigkeit des Herzens. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711718902
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– nimm die Sache nicht zu schwer. Es nutzt weder dir noch dem Opfer …« Sie unterbrach sich. »Es ist ein Mann, nicht wahr?«

      Eva nickte, von Schluchzen geschüttelt.

      »Dachte ich’s mir. Jedenfalls nutzt es gar nichts, wenn du dich jetzt verrückt machst. Wein dich nur aus! Vielleicht wird es dir ja guttun. Aber dann heißt es: klaren Kopf behalten. Nur so kannst du einigermaßen unbeschadet aus dieser unangenehmen Affäre rauskommen. «

      »Und … wenn der Mann … stirbt?«

      »An einem Zusammenprall, von dem du nicht einmal etwas bemerkt hast?«

      Eva schluchzte weiter.

      »Oder hast du doch?« forschte Katrin.

      »Nein! Nein!« stieß Eva heftig hervor.

      »Und was ist mit Fabian? Wie stellt er sich zu der Sache?«

      Eva putzte sich die Nase. »Er hat geschlafen.«

      »Also jetzt erlaube mal! Das nehme ich dir nicht ab. Man kann auf der Heimfahrt von einer feucht-fröhlichen Feier einduseln, zugegeben. Aber es ist unmöglich, in einer solchen Situation zu pennen wie ein Murmeltier.«

      »Er hat’s aber doch getan! Warum willst du mir nicht glauben?«

      Eva schrie es fast heraus. Dabei wußte sie sehr gut, daß die Tante ihr nicht glaubte, weil sie sich nicht an die Wahrheit hielt. Trotzdem meinte sie, ein Recht darauf zu haben, daß man ihr ihre Geschichte abnahm. Sie hatte ja sonst nie gelogen.

      Das wußte auch Katrin. Es war ihr klar, daß Eva einen triftigen Grund haben mußte, um die Tatsachen so zu verdrehen. Sie versuchte krampfhaft, jemanden zu dekken, und dieser Jemand konnte nur Fabian sein.

      »Wenn es dich so aufregt«, schlug sie vor, »sprechen wir lieber nicht mehr darüber.« Sie überlegte schon, ob es nicht besser wäre, den Ausflug aufzugeben. Aber Eva in die Wohnung zurückzubringen hätte bedeutet, sie ihrer Trübsal zu überlassen. Wie sie sie kannte, hätte sie sich sofort in ihrem eigenen Zimmer eingeschlossen, wie sie es früher getan hatte, wenn sie in eine Krise geraten war.

      »Fahren wir nach Hause!« bat Eva.

      »Nein, warum denn? Ein Spaziergang wird uns Leib und Seele entspannen.«

      Damit behielt sie recht.

      Nachdem sie zwei Stunden durch den herbstlichen Stadtwald gestreift waren – es gab genug stille Nebenwege, auf denen sie sich abseits der fröhlichen Masse der Spaziergänger halten konnten –, hatte sich Evas Stimmung zwar nicht aufgeheitert, aber sie war doch erheblich gelassener geworden. Zumindest nahm sie das Mißtrauen ihrer Tante nicht mehr übel und sah ein, daß sie es sich selber zuzuschreiben hatte.

      »Du würdest immer zu mir halten, nicht wahr?« fragte sie, als sie, beide leicht ermüdet, zu dem großen Parkplatz zurückgingen.

      Er hatte sich inzwischen nahezu geleert, und die frühe Dämmerung begann hereinzubrechen.

      »Ja«, erwiderte Katrin schlicht.

      »Du bist so gut zu mir wie niemand sonst auf der Welt. Ich frage mich immer wieder, warum.«

      »Mach dir darüber keine Gedanken, Liebes! Nimm es, wie es ist.«

      »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.«

      »Indem du auf dich aufpaßt, Eva. Dich nicht in unglückselige Geschichten hineinziehen läßt.« Sie sah, daß Evas eben noch ganz offene Züge sich verschlossen, und fügte rasch hinzu: »Aber ich weiß natürlich, daß man sich nicht immer nur nach dem Verstand richten kann. Es gibt Beweggründe, die stärker sind als die Vernunft.«

      »Du verstehst das wirklich?«

      »Ja.«

      Katrin wartete, ob Eva sich zu einer weiteren Erklärung durchringen würde. Aber das geschah nicht.

      Katrin entschied, es dabei bewenden zu lassen. »Jetzt freue ich mich auf zu Hause!« sagte sie munter. »Wir machen uns einen schönen Tee, ja? Und dann sehen wir mal, was in der Glotze läuft.«

      Eva dachte an Fabians Manuskript, aber es erschien ihr unfair, die Tante nach allem, was geschehen war, vor dem Fernseher allein zu lassen. »Einverstanden! Irgendwas nach unserem Geschmack werden wir schon finden.«

      Am nächsten Morgen, noch während sie in der Küche ihren Kaffee trank, nahm Eva sich die handgeschriebenen Seiten vor. Aber es gelang ihr nicht, einen neuen Eindruck von Fabians Dichtung zu gewinnen. Seine kleinen, sehr präzise gemalten Buchstaben waren zwar an sich leicht zu entziffern, aber die vielen Streichungen, Einschübe und Verbesserungen empfand sie als total verwirrend. Wirklich verstehen würde sie die drei Szenen des zweiten Aktes wohl erst, wenn sie abgetippt waren.

      Eva wollte sich gleich ans Werk machen, ohne sich erst anzuziehen. Katrin hatte das Haus schon früh verlassen; sie nahm seit einem halben Jahr an einem Malkurs teil, auf den sie die meisten Sonn- und Feiertage verwenden mußte.

      Allein in der Wohnung, konnte Eva sich ausnahmsweise gehenlassen. Sobald sie ihre Tasse geleert hatte, setzte sie sich in Schlafanzug, Hausmantel und Pantoffeln an die Schreibmaschine, legte sich das Manuskript und einen Stapel Papier zurecht und begann mit der Arbeit. Sie kam nur langsam voran. Manche Sätze waren kaum zu entwirren, und immer wieder entdeckte sie zu spät, daß sie ein Wort übersehen hatte, und mußte die Seite neu schreiben. Fabian wollte die Reinschrift klar und fehlerlos vor sich haben, um sie sich dann noch einmal vorzunehmen.

      Je tiefer sie in sein Werk einstieg, desto mehr fesselte es sie. Das Drama handelte von einer Gruppe Terroristen, jungen Leuten mit den verschiedensten Charakteren, die sich aneinander rieben und sich nur einig waren in dem Ziel, das sie anstrebten: die herrschende Gesellschaftsordnung zu zerstören. Die Sprache, in der die Terroristen miteinander umgingen, war knapp, hart, zornig. Eva empfand sie als unnatürlich, aber sie wußte, daß sie nichts vom Theater verstand. Von der Bühne her würde sie wahrscheinlich ihre Wirkung tun.

      Gegen zwei Uhr war sie mit der Abschrift fertig und machte sich daran, die beiden Durchschläge voneinander und vom Original zu trennen, sie zu sortieren und zu lochen. Die Durchschläge kamen in Schnellhefter, die sie in ihrem Schreibtisch aufbewahrte, das Original bekam Fabian.

      Sie rief ihn sofort an.

      Er meldete sich, und seine Stimme klang, als käme sie von weit her.

      »Ich bin’s nur, Eva«, sagte sie. – Warum ›nur‹? fragte sie sich. Das war doch zu albern.

      »Oh, hallo«, sagte er, etwas wärmer.

      »Ich hab’s!«

      »Was?«

      Also wieder hatte sie sich nicht genau genug ausgedrückt. »Melde gehorsam: ich bin mit der Abschrift fertig.«

      Er gähnte hörbar. »Fein.«

      Sie hungerte nach einem Wort der Anerkennung. »Es war ziemlich schwierig.«

      »Wenn es anders wäre, könnte ich es einem Schreibbüro geben.«

      Sie hätte ihn darauf aufmerksam machen können, daß dies auch eine Frage des Geldes war, brachte es aber nicht über die Lippen. »Wann willst du es haben?«

      »Bring es mir, sagen wir …« Er machte eine Pause, als müßte er sich vergewissern, wie spät es war. »…um sechs. Das ist früh genug. Dann können wir vor dem Theater noch in Ruhe eine Kleinigkeit essen.«

      »Darf ich mit?« fragte sie ein wenig atemlos. »Ins Theater, meine ich?«

      »Wenn du es dir noch mal zumuten magst.«

      »Ich könnte es jeden Abend sehen.«

      Er versuchte ihre Begeisterung mit einem skeptischen »Na, na« zu dämpfen.

      »Warum denn nicht? Wenn du es Abend für Abend spielen kannst.«

      »Das ist etwas anderes.«

      »Für mich nicht!«

      »Schäfchen.«