Es mag im ersten Moment verwundern, dass ein Verfahren wie die Hypnotherapie, das sich auf die Nutzung von Hypnose gründet, mit der systemischen Therapie vereinbar ist. Systemische Ansätze sehen lebende Organismen als sich selbst organisierende Wesen. Hypnose dagegen wird noch immer mit Fremdsteuerung und Ursache-Wirkungs-Modellen assoziiert. In dieser Vorstellung bewirkt der Hypnotiseur, dass der Hypnotisierte in Trance fällt, er verursacht das, was der Hypnotisierte an Reaktionen zeigt. Dieses Modell der Hypnose ist überholt und mit moderner Hypnotherapie nicht vereinbar. In dem modernen Verständnis der Hypnose ist Trance eine natürliche Fähigkeit des Gehirns, bestimmte Bereiche hochaktiv werden zu lassen, während andere in ihrer Aktivität reduziert werden. Der hochaktive Gehirnbereich kann seine Fähigkeiten und Potenziale optimal entwickeln, da die anderen ihn dabei nicht stören, es zu keinen Interferenzprozessen kommt. Diese gezielte Aktivierung nutzen Menschen und auch höhere Tiere in Anforderungssituationen, in denen alles, was nicht relevant ist, ausgeblendet wird (Halsband 2015). Die Hypnotherapie hilft dem Patienten, diese Fähigkeit für die Veränderung seiner Problematik und für das Finden von kreativen Lösungen zu nutzen.
Hypnotherapie verstehe ich als Systemtherapie nach innen, mit der ein Selbstorganisationsprozess beim Patienten angeregt wird. Dass systemische Therapie und Hypnotherapie vereinbar sind, erweist sich im hypnosystemischen Ansatz von Gunther Schmidt (2015).
Die Fallbeispiele in diesem Buch zeigen, wie der Patient sich selbst auf die Spur kommt, den Zusammenhang zwischen seiner Symptomatik und der zugrunde liegenden Problematik eigenständig erkennt und Lösungen für seine Probleme findet. Innerhalb dieses Selbstorganisationsprozesses ist der Therapeut mehr Begleiter, als dass er führt. Er liefert weniger gute Antworten als gute Fragen. Die Antworten findet der Patient selbst. In dieser Weise arbeitet der Therapeut leicht und ohne Anstrengung.
Gerade die Hypnotherapie kann die systemische Therapie in der Arbeit mit Einzelpatienten erheblich erweitern. Es wird zudem deutlich, dass die Hypnotherapie als das Missing Link zwischen den verschiedenen Ansätzen angesehen werden kann, da sie sowohl ressourcen- und lösungsorientierte als auch tiefenpsychologisch orientierte Ansätze enthält. Sie kann damit einen Beitrag dazu liefern, dass die in Deutschland entstandenen Richtlinienverfahren endlich Geschichte werden und sich ein integrativer Ansatz entwickelt, wo verschiedene Verfahren und Therapiekonzepte zusammenwachsen. Neuere Verfahren wie die Schematherapie, in die auch hypnotherapeutische Konzepte eingeflossen sind, gehen ebenfalls in diese Richtung (Young 2008).
Einführung
Depression als Volkskrankheit
Depressionen gelten als Volkskrankheit. Nach Schätzungen des deutschen Bundesgesundheitsministeriums leiden in Deutschland vier Millionen Menschen unter Depressionen, gut zehn Millionen erleiden bis zum 65. Lebensjahr eine Depression. Die Kosten, die der Volkswirtschaft durch die Behandlung sowie durch Fehlzeiten und verminderte Leistung entstehen, werden auf 21,9 Milliarden Euro geschätzt. Fast 25 % aller Fehltage im Beruf werden mit Depressionen in Verbindung gebracht (Holsboer 2011). Die Krankheitskosten, etwa in Form von Arbeitsunfähigkeiten, stationären Behandlungen und Frühverrentungen, sind in Deutschland in den letzten Jahren stark angestiegen. Dies entspricht einem weltweiten Trend. Glaubte man früher an eine genetische Disposition von Frauen, so geht man heute davon aus, dass Männer genauso oft Depressionen erleiden, die Symptomatik nur weniger offen zutage tritt.
Symptome einer Depression
Der Begriff Depression kommt vom lateinischen deprimere »niederdrücken«. Typische Zeichen sind eine anhaltende gedrückte Stimmung, Antriebshemmung und eingeengte Gedanken oder Gedankenkreisen. Es zeigt sich ein Verlust an Freude, Interesse und Antrieb sowie ein Rückgang von sexuellem Verlangen. Vielfach entwickeln sich Schlafstörungen, es kommt zu frühmorgendlichem Erwachen, der Schlafrhythmus ist gestört. Die Betroffenen zeigen ein vermindertes Selbstwertgefühl und eine reduzierte kognitive Leistungsfähigkeit, wie verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit. Die Patienten fühlen sich hilflos und ihren Stimmungen ausgeliefert. Sie haben wenig Hoffnung, dass sich etwas positiv ändert. Es herrscht eine negative und pessimistische Zukunftsperspektive. Sie präsentieren sich ängstlich und davon überfordert, anstehende Aufgaben zu bewältigen. Viele reagieren übertrieben beunruhigt auf äußere Veränderungen oder Bagatellstörungen im Bereich des eigenen Körpers und katastrophisieren Misserfolge und Fehlschläge.
Bei schweren Depressionen kommt es zu völliger Gefühllosigkeit und anhaltender innerer Leere. Bei einer schweren depressiven Episode können Betroffene in ihrem Antrieb so gehemmt sein, dass selbst leichteste Aufgaben zu unüberwindlichen Hürden werden. Selbst einfachste Tätigkeiten wie Körperpflege, Einkaufen oder Abwaschen können sie nicht mehr verrichten. Viele der Patienten sind durch Ansprache und Zuspruch nicht mehr zu erreichen. Dabei kann die äußere Starre mit einer starken inneren Unruhe einhergehen, welche für die Betroffenen extrem quälend sein kann.
Das Empfinden völliger Sinnlosigkeit und innerer Leere führt oft zu latenter oder akuter Suizidalität. Man schätzt, dass die Hälfte der Menschen, die einen Suizid begehen, unter Depressionen gelitten hat.
Larvierte Depressionen
Depressionen können von anderen Erkrankungen überdeckt sein oder sich in diesen ausdrücken. Man spricht in diesem Zusammenhang von larvierten Depressionen. Die Depression versteckt sich wie in einer Larve. Häufig zeigen sich Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Gelenk-, Muskel- und Nervenschmerzen, Beklemmungen im Brustbereich, Schwindel, Appetitmangel, Gewichtsverlust, Schlafrhythmusstörungen, Neigung zu Schweißausbrüchen, morgendliche Erschöpfungszustände, Unterleibsbeschwerden, Störungen der Sexualfunktion, verminderte sexuelle Appetenz.
Es wird vermutet, dass eine Vielzahl derjenigen, die einen Allgemeinarzt aufgrund von körperlichen Beschwerden aufsuchen, unter einer larvierten Depression leiden. Die Tendenz, die Depression auf die körperliche Ebene zu verlagern, wird durch eine Gesellschaft gefördert, die körperliche Erkrankungen toleriert, sich aber gegenüber seelischen Störungen oft intolerant und abwertend verhält. Körperlich Kranke haben es leichter, ihre Leistungseinbußen mit ihrer Krankheit zu rechtfertigen. Die Patienten können eine körperliche Erkrankung auch selbst besser akzeptieren. Die ökonomische Situation der meisten Ärzte lässt zudem ein längeres Gespräch mit dem Patienten nicht zu, sodass somatisch orientierte Behandlungsansätze favorisiert werden.
Diagnosekategorien der Depression
Das Diagnoseschema, nach dem die Depression und das Burnout kategorisiert werden, hat sich im Laufe der Zeit vielfach geändert, was auf seine Abhängigkeit von aktuellen Lehrmeinungen hinweist. Während man früher zwischen endogenen (von innen verursachten), neurotischen (strukturell bedingten) und reaktiven (Reaktion auf äußere Ereignisse) Depressionen unterschied, trennt man heute zwischen depressiven Episoden und rezidivierenden depressiven Störungen und unterscheidet bei Depressionen, je nach Schwere, zwischen leichten, mittelgradigen und schweren depressiven Episoden. Unter dem Begriff Dysthymia versteht man eine chronische Form einer depressiven Verstimmung, die nicht alle diagnostischen Kriterien für das Vollbild einer Depression erfüllt.
Schwangerschaftsdepressionen oder postnatale Depressionen bilden keine eigenen Diagnosekategorien, haben sich aber als Beschreibungsbegriffe eingebürgert.
Darüber hinaus gibt es Depressionen, die infolge von degenerativen Prozessen im Gehirn sowie durch Schilddrüsenfunktionsstörungen, Hypophysen- oder Nebennierenerkrankungen entstehen können. In diesem Zusammenhang spricht man von organischen Depressionen. Diese sind durch psychotherapeutische Methoden nur bedingt beeinflussbar.
Burnout (oder melt down)