MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken. Robert Mccammon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Mccammon
Издательство: Bookwire
Серия: Matthew Corbett
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958355026
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Darwin und Davy sowie die korpulente, aber erstaunlich leichtfüßige Mutter Munthunk, und Dr. Artemis Vanderbrocken, der sich mit seinen sechsundsiebzig Jahren damit zufrieden gab, hauptsächlich Punsch zu nippen und die Musik zu genießen. Außerdem war Felix Sudbury, der Besitzer der Schänke Trot Then Gallop mit dabei, der Zeitungsdrucker Marmaduke Grigsby, die Bäckerin Madam Kenneday, Effrem Owles, der Sohn des Schneiders und auch ein guter Freund von Matthew, sowie Jonathan Paradine, der Bestatter – ein dünner und blasser Mann, der mehr über den Boden zu schleichen als zu tanzen schien. Seine Verehrte, eine frisch in New York angekommene Witwe namens Dorcas Rochester, war genauso dünn und blass und schlich ebenso wie ihr Galan herum, sodass sie ein gutes Paar abgaben.

      Matthew Corbett hatte sich mit seinen dreiundzwanzig Jahren schon in so einigen schwierigen Situationen wiedergefunden. Er hatte den Angriff eines Bären überlebt, dessen Klauen eine sichelförmige Narbe von der rechten Augenbraue bis zum Haaransatz zurückgelassen hatten. Er war einem Dreiergespann von Falken entkommen, die entschlossen waren, ihm auf äußerst unelegante Weise die Augen zu entfernen. Und abgesehen von vielen anderen dramatischen Gefahrenmomenten hatte er es im Kampf mit dem brutalen Mörder Tyranthus Slaughter in einer Mühle tatsächlich geschafft, sich sein Gesicht nicht vom Schädel schälen zu lassen. Aber in diesem Moment, im goldenen Kerzenlicht in Sally Almonds Schänke, beim Klang der Musik und den Schritten der Tänzer, dachte Matthew, dass seine eigenen Füße möglicherweise die gefährlichsten Gegner waren, denen er bisher gegenübergestanden hatte. Denn die Achterfiguren des Reels waren von einer heimtückischen Komplexität und der mit einer üppigen Perücke geschmückte Tanzmeister Gilliam Vincent – der zimperliche Besitzer des Dock House Inn – schwang einen Hickorystock mit einem Lederhandschuh am Ende, den er den Unfähigen auf den Kopf klatschte.

      Und kaum, dass Matthew leicht stolperte, fuhren Stock und Handschuh auf ihn nieder. Auf seinem Hinterkopf machte es klatsch. Als Matthew den Kopf drehte, um Gilliam Vincent mit einem finsteren Blick zu bedenken, hatte der Tanzmeister sich schon leichtfüßig davongemacht. Und so bewegte sich auch Matthew davon, weitergedrängt von den anderen Tänzern. Trotzdem trug Mr. Vincent ein Grinsen unter seinem knochigen Riecher, das seine Freude daran verriet, stärker als unbedingt nötig zu korrigieren.

      »Beachte ihn nicht!«, sagte Berry Grigsby, als sie im Zuge der rechten Wende neben Matthew auftauchte. »Du machst das gut!«

      »Gut ist ein relativer Begriff«, gab er zurück.

      »Besser als gut!«, korrigierte sie sich und tanzte an ihm vorbei. »Wunderbar.«

      Also das war, dachte er, während er sich in die von dem Reel vorgeschriebene Richtung bewegte, als schälte man eine Zwiebel und sagte, es sei eine Kartoffel. Er drehte sich und sah sich der zweihundertvierzig Pfund schweren Frau namens Mother Munthunk gegenüber, die ihn unter ihrer vorspringenden Nase mit schwarzen Zähnen angrinste. Ihr Atem hätte eine Ziege von den Hufen reißen können.

      Ein umwerfender Abend, dachte Matthew, als seine Augen nicht mehr tränten. Er bedauerte, Berrys Einladung angenommen zu haben. Zweimal vorher hatte er abgelehnt. Matthew, hatte sie letzte Woche vor seiner Tür gesagt. Ich werde dich nur noch ein einziges Mal fragen und wenn du nein sagst, werde ich nie – nie – wieder fragen.

      Was war ihm da anderes übriggeblieben, als ja zu sagen? Es war ja nicht nur, dass Berry fast eins der zehn Gebote brach, indem sie einen Mann zu einem Treffen einlud, sondern auch, dass der Ton ihrer Stimme und das schwelende Feuer in ihren dunkelblauen Augen andeuteten, sie würde ihn nicht nur nie wieder fragen, sondern auch nie wieder mit ihm sprechen. Was für ihn schwierig werden könnte, da er gleich hinter dem Haus der Grigsbys in einem umgestalteten Kühlhaus lebte und gelegentlich mit Berry und ihrem rundgesichtigen und meist tintenbeschmierten Großvater Marmaduke zu Abend aß. Um also keinen Unfrieden zu säen und aus dem egoistischen Beweggrund heraus, seinen Platz am gastfreundlichen Essenstisch nicht zu verlieren – was konnte er schon tun, außer die Einladung annehmen?

      »Und jetzt halbe Drehungen zu dritt!«, verkündete Gilliam Vincent mit einer Miene, die ans Spöttische grenzte. »Dann drehen wir uns nach links, reichen beide Hände, drehen uns einmal ganz im Uhrzeigersinn und nehmen unsere Plätze für das Mad Robin ein!«

      Dies sollte angeblich Spaß bringen, dachte Matthew säuerlich. Berry hatte ihm die verschiedenen Tanzpositionen und Schritte letzte Woche beigebracht, aber mit dem Gefiedel und Getrommel und Gilliam Vincents zuschlagbereitem, auf kunstvolle Perfektion bedachtem Stock war es für einen jungen Problemlöser die reinste Tortur. Viel lieber würde er sich den nächsten Zug seiner Schachfiguren überlegen oder auch irgendwo für seinen Arbeitgeber unterwegs sein, die ursprünglich in London gegründete Herrald-Vermittlung.

      Weiter!, ermahnte er sich selbst. Seine Füße waren mehr oder weniger so positioniert, wie sie sein sollten. Er überlegte kurz, ob er Gilliam Vincent mit der Faust drohen sollte, falls der Stock sich nochmals seinem Schädel näherte, aber er hatte in letzter Zeit mit so viel Gewalt zu tun gehabt, dass es ihm für ein ganzes Leben reichte.

      In seinen Albträumen plagte ihn noch immer Mister Slaughter. In manchen jagte der Mörder ihn über ein finsteres Moor, wo Matthews Füße und Beine im Schlamm versanken und er sich nicht befreien konnte, um schnell weiter zu rennen. Wenn er sich im rötlichen Dunkel des Albtraums umdrehte, sah er die auf ihn zukommende Gestalt und das Glitzern eines Messers in deren rechter Hand. Und dann kam aus der entgegengesetzten Richtung eine andere Figur auf ihn zu: eine löwenartige Frau mit einer Axt in einer Hand und einem Jutesack mit der roten Aufschrift Mrs. Lekas Würstchen – Äußerst Leka unter dem anderen Arm.

      »Auf die Positionen für das Mad Robin!«, rief Gilliam Vincent. »Findet Eure Plätze!« Ihr dummen Kinderchen, hätte er genauso gut hinzufügen können.

      Matthew bewegte sich, fühlte sich aber immer wieder wie betäubt und unsicher darüber, welches für ihn die richtige Richtung war. Manchmal hatte er das Gefühl, zu einer anderen Welt zu gehören, über die die Menschen in diesem Raum nichts wussten. Manchmal hatte er das Gefühl, als kratzte ein Teil von Mister Slaughter und Mrs. Leka tief innen an seinen Eingeweiden, obwohl beide tot waren, als wäre er der Eingang zu ihrem Grab und als wollten sie ihn verzweifelt öffnen, damit sie zu den Lebenden zurückkehren konnten. Denn in gewisser Weise war er jetzt mit ihnen verbrüdert.

      Er war ein Mörder.

      Sicher, Tyranthus Slaughter war dem Zusammenspiel von Matthews Anstrengungen, denen des rachesüchtigen Jungen Tom Bond und des irokesischen Spurenlesers Wanderer in zwei Welten erlegen. Aber Matthew hatte Lyra Leka mit einer Axt einen wichtigen Teil ihres Kopfes von ihren Schultern abgetrennt, und er würde den hasserfüllten Ausdruck ihres blutüberströmten Gesichts nie vergessen, oder wie diese roten Bäche aus ihr herausgeströmt waren. Jener grausige Keller allein war eine derartig furchtbare Erinnerung, dass ein Mann davon verrückt werden konnte. Seit jeher konnte Matthew nicht mehr im Dunkeln schlafen. Eine Kerze – oder besser noch, zwei – musste die ganze Nacht hindurch neben seinem Bett brennen.

      »Mit mehr Schwung!«, befahl Vincent. Die Locken seiner Perücke waren so voluminös wie Baumwollflocken. »Corbett, wacht auf!«

      Er war doch wach, oder nicht? Wenn er an diese schrecklichen Dinge dachte, legte sich ein Nebel über die Realität wie schmutziges Glas. Er erinnerte sich, mit Sally Almond darüber gesprochen zu haben, wie die begeisterten Anhänger von Mrs. Lekas Würstchen reagiert hatten, seit es keine würzigen Leckerbissen mehr auf den dunkelroten Tellern – Indianerblut wurden sie genannt – von Hiram Stokely gab, mit denen er Madam Almond belieferte. Die meisten finden sich gut damit ab, hatte die Dame ihm erklärt. Aber ein paar, die geradezu versessen auf diese Würstchen gewesen waren, haben mir gesagt, dass sie nachts schwitzen und nicht richtig schlafen können.

      »Sie werden schon darüber hinwegkommen«, hatte Matthew geantwortet. Doch er dachte, dass er sich die Namen dieser versessenen Wurstliebhaber besorgen sollte, damit er sie auf den Straßen und in den Gassen New Yorks unbedingt meiden konnte.

      Es ist äußerst schade, dass Mrs. Leka so plötzlich außer Landes gegangen ist, sagte Sally Almond.

      »Ja, und höchstwahrscheinlich irgendwohin