Das verlassene Haus. Louise Penny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louise Penny
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Gamache
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783311701262
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      »Besser, aber sie hat immer noch Rückenschmerzen.«

      »Findest du nicht, dass ihr Mann und ihre Kinder sich mehr um sie kümmern sollten?«

      »Aber das tun sie nicht«, sagte Hazel. Manchmal kam eine überraschende Härte an Madeleine zum Vorschein. Sie hatte dann fast den Eindruck, als würde Madeleine sich nicht für andere Menschen interessieren.

      »Du bist eine gute Seele, Hazel. Ich hoffe, sie hat es dir gedankt.«

      »Ich werde meinen Lohn im Himmel bekommen«, sagte Hazel und legte mit einer dramatischen Geste die Hand an die Stirn. Die beiden lachten. Das gehörte zu den Dingen, die Madeleine an Hazel mochte. Dass sie nicht nur ein herzensguter Mensch war, sondern sich selbst auch nicht allzu ernst nahm.

      »Wir werden noch eine Séance abhalten.« Mad stippte ihren Keks in den Tee und schaffte es gerade noch rechtzeitig, die aufgeweichte und tropfende Masse in den Mund zu stecken. »Sonntagabend.«

      »Waren für das eine Mal zu viele Gespenster da? Müsst ihr sie schichtweise abarbeiten?«

      »Zu wenige. Das Medium meinte, die Atmosphäre im Bistro sei zu günstig.«

      »Sie hat sicher nicht gesagt, zu tuntig?«

      »Möglich.« Mad lächelte. Sie wusste, dass Hazel und Gabri miteinander befreundet waren und seit Jahren im Verein anglikanischer Frauen zusammenarbeiteten. »Trotzdem kamen keine Gespenster. Deshalb wollen wir ins alte Hadley-Haus.«

      Sie beobachtete Hazel über den Rand ihrer Teetasse. Diese starrte sie überrascht an. Es dauerte einen Moment, bis sie die Sprache wiederfand.

      »Bist du sicher, dass das klug ist?«

      »Warst du hier drin?«, rief Clara aus ihrem Atelier.

      Peters Hand erstarrte in der Luft, er war gerade dabei gewesen, Lucy ihr Betthupferl zu geben. Lucys Schwanz schlug immer heftiger hin und her, sie hatte den Kopf zur Seite gelegt, die Augen gebannt auf den leckeren Hundekeks gerichtet, so als könne der Wunsch allein Dinge in Bewegung versetzen. Aber wenn das funktionieren würde, dann ginge auch die Kühlschranktür ständig auf und zu.

      Clara streckte den Kopf aus ihrem Atelier und sah Peter neugierig an. Er fühlte sich sofort angeklagt. Fieberhaft suchte er nach einer Erklärung, wobei er genau wusste, dass er sie sowieso nicht anlügen konnte. Nicht, was das anging zumindest.

      »Ich bin reingegangen, als du bei der Séance warst. Macht dir das etwas aus?«

      »Etwas ausmachen? Ganz im Gegenteil. Hast du etwas Bestimmtes gewollt?«

      Sollte er sagen, dass er etwas Kadmiumgelb gebraucht hatte? Einen breiteren Pinsel? Ein Lineal?

      »Ja.« Er ging zu ihr und legte ihr den Arm um die Taille. »Ich wollte einen Blick auf dein Bild werfen. Es tut mir leid. Ich hätte warten sollen, bis du zurück bist, und dich fragen sollen.«

      Er wartete auf ihre Reaktion. Das Herz wurde ihm schwer. Sie sah lächelnd zu ihm auf.

      »Du wolltest es wirklich sehen? Peter, das freut mich.«

      Er zog die Schultern ein.

      »Komm rein.« Sie nahm seine Hand und führte ihn zu dem Ding in der Mitte des Raums. »Sag mir, was du davon hältst.«

      Sie zog das Laken von der Staffelei, und da war es wieder.

      Das schönste Bild, das er jemals gesehen hatte.

      Es war so schön, dass es schmerzte. Ja. Das war es. Der Schmerz, den er empfand, kam von außen. Nicht von innen. Nein.

      »Es ist erstaunlich, Clara.« Er nahm ihre Hand und sah ihr in ihre leuchtenden, blauen Augen. »Das ist das beste Bild, das du je gemalt hast. Ich bin so stolz auf dich.«

      Clara öffnete den Mund, aber es kam nichts heraus. Sie hatte ihr gesamtes Künstlerinnenleben darauf gewartet, dass Peter eines ihrer Werke verstehen würde, wirklich erfassen. Mehr sah als nur Farbe auf Leinwand. Es tatsächlich empfand. Sie wusste, ihr sollte nicht so viel daran liegen. Wusste, dass es eine Schwäche von ihr war. Wusste, dass andere Künstler, auch Peter, sagten, dass man seine Werke für sich selbst schaffen musste und sich nicht darum kümmern sollte, was andere dachten.

      Sie kümmerte sich auch nicht um die anderen, nur um diesen einen. Sie wollte, dass der Mann, mit dem sie ihr Leben teilte, auch ihre künstlerischen Ideen teilte. Wenigstens ein Mal. Ein einziges Mal. Und jetzt war es geschehen. Das Schönste war, dass es bei dem Bild passierte, das wichtiger als jedes andere war. Dasjenige, das sie in wenigen Tagen dem bedeutendsten Galeristen von Québec zeigen würde. Dasjenige, in das sie alles gesteckt hatte.

      »Glaubst du wirklich, die Farben stimmen?« Peter beugte sich vor, dann machte er einen Schritt zurück, sah sie nicht an. »Doch, bestimmt. Ich bin sicher, du weißt genau, was du tust.«

      Er küsste sie und flüsterte »Glückwunsch« in ihr Ohr. Dann ging er.

      Clara trat einen Schritt zurück und starrte die Leinwand an. Peter war einer der anerkanntesten und erfolgreichsten Künstler Kanadas. Vielleicht hatte er recht. Das Bild war gut, aber irgendetwas …

      »Was tust du da?«, fragte Olivier Gabri. Es war mitten in der Nacht, und sie standen in ihrem Wohnzimmer in der Pension. Olivier hatte seinen Arm ausgestreckt und gemerkt, dass Gabris Seite im Bett leer und kalt war. Jetzt zog Olivier den Gürtel seines seidenen Bademantels enger und betrachtete seinen Lebensgefährten verschlafen.

      Gabri stand in ausgebeulten Schlafanzughosen und Schlappen da und schien im Begriff zu sein, mit dem Croissant in der Hand eine Runde im Wohnzimmer zu drehen.

      »Ich versuche, alle bösen Gespenster, die mich von der Séance hierher verfolgt haben könnten, zu bannen.«

      »Mit einem Croissant?«

      »Na ja, wir haben kein Kreuz im Haus, da schien es mir das Nächstbeste zu sein. Ist der Halbmond nicht das Symbol des Islams?«

      Gabri versetzte Olivier immer wieder in Erstaunen. Seine unerwartete Tiefsinnigkeit und seine intellektuellen Abgründe. Olivier schüttelte den Kopf und ging wieder ins Bett, in der sicheren Gewissheit, dass am nächsten Morgen sämtliche bösen Gespenster und Croissants verschwunden wären.

      7

      Der graue Morgenhimmel am Ostersonntag verhieß nichts Gutes, aber es bestand die Hoffnung, dass der Regen warten würde, bis die Eiersuche vorbei war. Während des gesamten Gottesdienstes achteten die Eltern nicht auf die Predigt, sondern lauschten nur darauf, ob es auf das Dach von St. Thomas zu trommeln begann.

      Die Kirche roch nach frühen Maiglöckchen. An jeder Bankreihe waren kleine Sträuße aus den weißen Blüten und den kräftig grünen Blättern angebracht. Es sah bezaubernd aus.

      Bis Paulette Legault mit einem solchen Sträußchen nach Timmy Benson warf. Dann brach die Hölle los. Der Pfarrer ignorierte sie natürlich.

      Kinder rannten den kurzen Gang rauf und runter, und die Eltern versuchten, sie entweder aufzuhalten oder so zu tun, als wäre nichts. Das Ergebnis war dasselbe. Der Pfarrer sprach eine Fürbitte. Die Gemeinde sagte Amen, und alle verließen eilig die Kapelle.

      Die anglikanischen Frauen hatten im Keller unter der Leitung von Gabri ein Mittagessen vorbereitet und auf dem Dorfanger waren Klapptische mit rot karierten Tischtüchern gedeckt.

      »Fröhliche Eiersuche«, rief der Pfarrer und winkte, als er in seinem Auto die Rue du Moulin hochtuckerte, auf dem Weg zur nächsten Kirche in der nächsten Gemeinde. Er war sich ziemlich sicher, dass seine kleine Predigt niemanden gerettet hatte. Allerdings war auch keine Seele verloren, und das reichte ihm.

      Ruth stand auf der obersten Stufe der Kirche und hielt mit beiden Händen einen Teller, auf dem sich ein riesiges Schinkensandwich mit knusprigem Brot aus Sarahs Bäckerei, hausgemachter Kartoffelsalat mit Ei und Mayonnaise und ein großes Stück Osterzopf türmten. Myrna trat neben sie, auf dem Kopf ein Tablett mit Büchern, Blumen und Schokolade. Die Dorfbewohner wanderten