»Nein, mein Liebling.«
»Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl mein größtes Gut.«
»Du wirst auch wieder gesund werden, kleines Pommerle.«
»Der Jule sagt«, klang es schluchzend, »ich werde nie wieder auf die Berge gehen können und muß immer so laufen wie die Lina. Aber das ist mir ja ganz recht. Ich war so unartig.«
»Der Himmel wird dafür sorgen, mein Kind, daß alles wieder in Ordnung kommt. Du hast nun eingesehen, daß du trotzig und ungezogen warst. Du hast mir versprochen, in Zukunft ein liebes Mädchen zu sein. Ich glaube, der Fuß wird so ausheilen, daß du auch wieder auf die Berge gehen kannst. Freilich wirst du dich noch ein ganzes Weilchen gedulden müssen.«
Mit dem Vati hatte Pommerle eine lange Aussprache im Flüsterton.
»Jetzt kann jeden Sonntag meinetwegen ein Geheimrat Unhold kommen, ich will nicht mehr brummen. Ich weiß, daß du mich furchtbar lieb hast und mir immer Freude machen willst. Ich möchte nur wieder ganz gesund werden, damit ich auf die Berge gehen kann. Und auch wieder mal an die Ostsee, Vati. Ob ich wohl wieder ganz gesund werde?«
»Wir wollen es hoffen, mein Kind.« –
Im Garten wurden die Hecken grün. Da durfte Pommerle mit einem Stock die ersten Gehversuche machen.
Der Jule war gerade dabei, er schluckte mehrfach an den aufsteigenden Tränen. Das alles hatte er verschuldet. Aber das kam davon, daß er den Schlitten in den Arbeitsstunden fertiggemacht hatte und dem guten Herrn Professor gegenüber frech gewesen war.
Auch Sabine war gekommen, um Pommerle zu seinen ersten Gehversuchen zu beglückwünschen. Das Kind ging sehr unsicher und stellte den verletzten Fuß behutsam auf.
»Ach, Sabine, jetzt erst weiß ich wirklich, daß Gesundheit das höchste Gut ist. Das ist noch viel besser und viel schöner, als wenn man Hörnerschlitten fährt. Wenn ich nun erst wieder zum Harfen-Karle gehen könnte, daß er mir das Lied singt. Es war so schön!«
»Ich habe meine Laute mitgebracht, Pommerle, ich weiß, du hörst gern singen. Ich kann zwar keine so schönen Lieder wie der Harfen-Karle, aber ich kann auch eins, das dir bestimmt Freude macht, über das du nachher, wenn du wieder im Bett liegen mußt, ein wenig nachdenken kannst.«
»So singe es«, bat Pommerle.
Die blinde Sabine nahm die Laute, setzte sich auf einer Bank nieder und begann mit ihrem feinen, süßen Sümmchen:
»Was frag' ich viel nach Geld und Gut, wenn ich zufrieden bin,
Gibt Gott mir nur gesundes Blut, so hab' ich frohen Sinn,
Und sing' mit dankbarem Gemüt mein Morgen- und mein Abendlied.«
»Ja«, sagte Pommerle leise, »so ist es. Das ist dasselbe, was der Harfen-Karle sagte. Gesund möchte ich wieder werden, und zufrieden will ich in Zukunft immer sein. Ich habe ja viel mehr als alle die anderen. So viele sind krank, so viele müssen hungern und frieren, und ich habe alles, alles im Überfluß. Ich danke dir, Sabine. Singe mir das Lied noch einmal.«
Sabine tat es. Pommerle winkte Jule herbei.
»Nun hast du es auch gehört, Jule. Ob ich wohl wieder ganz gesund werde und das größte Gut habe?«
Acht Tage später erklärte Doktor Klaus, daß das Bein recht gut geheilt sei, daß Pommerle in kurzem wieder laufen und umherspringen könne, genau wie früher.
Frau Bender umarmte ihren kleinen Liebling zärtlich.
»Ach, Mutti«, sagte das Kind mit feuchten Augen, »es war schlimm, so lange krank zu sein, aber glaube mir, ich habe doch manches überlegt. Du hast so oft gesagt, ich bin dein liebes Töchterchen. Ach, Mutti, ich will von nun an wirklich dein liebes Pommerle sein und bleiben!«
Pommerle, ein deutsches Mädel
Kapitel 1
Der Garten, in dem das Haus Professor Benders lag, prangte im Maienschmuck. Voller Entzücken hingen die Blicke des kleinen Mädchens an den bunten Blumen; liebkosend, mit größter Behutsamkeit, strichen die Kinderhände über die bunten Blütenblätter der Tulpen, die aus ihren hohen Stengeln im Abendwinde leicht hin und her wippten.
»Heute kommt er wieder so spät, dabei habe ich ihm so schrecklich viel zu erzählen! Wenn ich nur wüßte, wo der Jule bleibt. Aber solch Mann kann nie fertig werden.«
Das kleine Hannchen, das in ganz Hirschberg den Namen Pommerle trug, lief ungeduldig zur Gartentür und spähte die Straße entlang. Nach dem Jule hielt Pommerle Ausschau, dem Spielgefährten, dem Freunde, der bei Meister Reichart nun schon im zweiten Jahre in der Lehre war und sich das Tischlerhandwerk erwählt hatte.
Pommerle blinzelte zu der Villa hinauf, in der die Eltern lebten. Was es heute mit Jule zu besprechen hatte, war ein großes Geheimnis, das durfte niemand erfahren. Höchstens der Sabine konnte man sich anvertrauen, der blinden Tochter von Jules Meister. Sabine war sehr klug, sie wußte, obwohl sie nicht sehen konnte, viel mehr als das neunjährige Hannchen und der sechzehnjährige Jule Kretschmar.
Pommerle drückte die Hand auf den Mund und warf eine Kußhand hinauf zu den Fenstern des ersten Stockwerkes. Dort oben mußte die geliebte Mutti sein. Die Mutti, nicht mehr die Tante, wie früher. Pommerle war so froh, daß es den Onkel Bender und die Tante nun Vater und Mutter nennen durfte. Das war erst seit Weihnachten der Fall; vorher hatte es stets nur den toten Vater gehabt, der in der Ostsee beim Fischfang ertrunken war. Aber der gute Onkel und die liebe Tante hatten Pommerle in die schlesischen Berge mitgenommen, es war dort geblieben und hatte hier eine zweite Heimat gefunden.
Als Pommerle wohl zwanzigmal die Gartenpforte aufgemacht und wieder zugeknallt hatte, ließ es einen lauten Jauchzer ertönen.
»Jule, du Bummler, kommst du endlich!«
Ein hochaufgeschossener Knabe, im Arbeitsanzug, kam mit schnellen Schritten die Straße entlang und schüttelte Pommerle derb die Hand.
»Wenn nicht eher Schluß ist, wenn der Meister immer noch was will, kann ich nicht fortlaufen. Du brauchst nicht in der Werkstatt zu stehen, du hast den ganzen Tag Feierabend. – Was willst du nu eigentlich?«
»Oh, Jule, ich habe etwas sehr Schönes auf dem Herzen, und ganz was Neues! – Jule, der Vater wird furchtbar gefeiert.«
»Was wird er?«