»Du strickst schon die Ferse? Hast du den anderen Strumpf hier?«
»Drüben bei mir ist er.«
»So lauf hinüber und hole ihn.«
Zögernd ging Pommerle in sein Stübchen, dabei warf es den Pulswärmer, der unordentlich auf dem Stuhl lag, herunter, das Wollknäuel rollte davon, aber Pommerle ließ es ruhig liegen.
Tante Bender legte die beiden Strümpfe aufeinander und schüttelte den Kopf.
»Nein, Pommerle, das geht nicht. Der Onkel hat zwei ganz gleich lange Beine, folglich müssen auch die Strümpfe gleich lang gearbeitet werden. Wenn man ein Geschenk anfertigt, muß es tadellos sein, sonst macht es keine Freude.«
Die begonnene Ferse wurde aufgetrennt, seufzend schaute das Kind der Tante zu. Dann machte es sich wieder an die Strickarbeit, während die Tante nähte. Nach einer Weile fragte die Kleine ganz unvermittelt:
»Tante, wollen wir nicht ein bißchen zusammen spielen?«
»Aber gewiß, Kleines.«
»Wollen wir Mutter und Kind spielen?«
»Auch gut, Pommerle.«
»Darf ich dann mal die Mutter sein und du das Kind?«
»Schön.«
»Nun heißt du also Pommerle, Tante. – Höre mal, Pommerle, Weihnachten kommt bald heran, da haben wir in unserem Haushalt noch viel zu tun. Ich bin schrecklich beschäftigt, ich habe für meinen Mann noch zu nähen und zu flicken, und für die Gäste muß ich Kuchen backen. – Pommerle, willst du mir helfen?«
»Freilich, Mama«, sagte die Tante lächelnd, »was soll ich denn tun?«
»Willst du mein liebes kleines Mädchen sein und mir eine große Arbeit abnehmen?«
»Ja, Mamachen, das will ich tun.«
Da sprang Pommerle wie elektrisiert auf, drückte der Tante den Strumpf in die Hände und sagte strahlend:
»Ätsch, Tante, du hast gesagt, du willst mir helfen, nun strick!«
Frau Bender mußte lachen. »Ja, Pommerle, wenn du das so machst. Wer schenkt denn den Strumpf, du oder ich?«
»Ach, liebe Tante, ich habe noch so viel zu tun. Wenn du mir ein ganz klein wenig helfen wolltest.« Plötzlich nahm das Kindergesichtchen einen strengen Ausdruck an. »Du strickst jetzt! Deine Mutter befiehlt es dir!«
»Oh, ich habe aber eine strenge Mama. Da muß ich mir wohl ein Beispiel nehmen. – Nun gib her, ein Stückchen will ich dir gern stricken.«
»Und die Pulswärmer für den Jule machst du mir auch fertig? Die kleinen Zacken obenauf kann ich nicht.«
»Die sind recht leicht herzustellen, Pommerle, ich will dir gern zeigen, wie man sie macht.«
»Na gut«, meinte das Kind, »dann will ich sie holen.«
Wenige Minuten später vernahm Frau Bender einen lauten, entsetzten Schrei. Darauf die Stimme Annas, dann wieder ihr Pommerle. Was hatte das Kind nur? Es schien dem Weinen nahe zu sein. Und wieder war es Anna, die laut und ärgerlich rief:
»Das ist doch nicht meine Schuld – warum wirfst du alles so liederlich umher!«
»Oh, nun ist alles hin, alles – alles!«
Frau Bender erhob sich. Da mußte sie doch einmal nachsehen, warum ihr Pommerle gar so jämmerlich klagte. Die Stimmen kamen aus dem Schlafzimmer. Sie trat ein. Da stand Pommerle und hielt Jules Pulswärmer in der Hand. Aber von dem langen, schönen Pulswärmer war nur noch ein kleiner Rand vorhanden.
»Sie hat alles kaputt gemacht«, klagte das Kind.
»Ich habe eben ein Knäuel mit Wolle auf der Erde gefunden«, verteidigte sich Anna, »es lag im Schlafzimmer der Herrschaften, da habe ich es aufgenommen und aufgewickelt. Und plötzlich ging es nicht weiter, da bin ich in Pommerles Zimmer gegangen, aus dem der Faden kam. Dann habe ich erst gesehen, daß ich den Pulswärmer aufgetrennt habe.«
»Wo war denn der Pulswärmer?«
Pommerle schwieg. Es erinnerte sich genau, daß es vorhin, als es den Strumpf holte, mit den Füßen das Wollknäuel mitgenommen und nicht aufgehoben hatte. Anscheinend war es ins Schlafzimmer der Tante gerollt. Dann war Anna gekommen, hatte das Knäuel aufgewickelt und die mühsame Arbeit vernichtet.
Ein mahnender Blick aus den Augen der Tante veranlaßte das kleine Mädchen, alle weiteren Vorwürfe Anna gegenüber zu unterlassen. Pommerle war ja selbst an diesem Unglück schuld. Nun mußte es doppelt fleißig sein, um Jule rechtzeitig beschenken zu können. Er sollte seine Pulswärmer haben, denn es wurde von Tag zu Tag kälter.
Am Abend dieses verhängnisvollen Tages hatte Pommerle doch noch eine Freude. Jule kam mit einer Bestellung ins Haus des Professors, und Sabine begleitete ihn.
»Wir haben nicht lange Zeit, Pommerle, ich wollte dir nur guten Abend sagen.«
»Ach, dann kann ich dir etwas ganz Feines zeigen. Komm doch mal mit.«
Geheimnisvoll zog Pommerle die große Freundin in sein Stübchen. Aus dem Schrank holte es die kleine Kommode, das Geschenk für die Tante.
»Ist es nicht herrlich?«
Sabine befühlte das Geschenk, Pommerle gab alle Erklärungen, die Blinde meinte, das sei ein reizendes Geschenk, und Pommerle hätte es gewiß recht hübsch und ordentlich beklebt und bestickt.
»Und dann zeige ich dir noch was anderes«, sagte Pommerle, indem es die kleine Kommode rasch auf einen der Stühle stellte. »Sieh mal, das hier werden Strümpfe für den Onkel. Aber einer ist erst fertig. – Kannst du eigentlich auch stricken?«
»Ja, das kann ich.«
»Ohne hinzusehen? Und wenn dir mal eine Masche herunterfällt?«
»Dann muß ich jemand bitten, mir die Masche aufzuheben. Aber wir stricken langsam, da fallen nur selten Maschen von der Nadel.«
»Kannst du auch eine Ferse stricken?«
»Ja, einen ganzen Strumpf.«
»Ach, Sabine, wenn du mal gar nichts zu tun hast, kommst du mich besuchen, aber noch vor Weihnachten. Dann erzählen wir uns schöne Sachen, und dabei strickst du.«
»Ich will dir gern helfen, kleines Pommerle.«
»Ach, das ist fein«, jubelte das Kind. »Nun setz dich mal ein Weilchen hin, dann zeige ich dir noch die Pulswärmer für den Jule. Den einen hat mir die Anna heute aus Versehen aufgetrennt. So, nun setz dich mal da auf den Stuhl.«
»Ich habe nicht lange Zeit, Pommerle, die Eltern warten mit dem Abendessen auf mich. Der Jule sollte gleich wieder heimkommen.«
»Na, ein Weilchen kannst du dich doch hinsetzen«, meinte die Kleine, indem sie Sabine am Arm nahm und energisch auf den Stuhl niederdrückte. Aber schon schnellte Sabine wieder auf.
»Was ist denn das?« Ihre Hand griff auf den Sitz. »Ach, Pommerle, deine kleine Kommode!«
Die eben noch so niedlich aussehende Handarbeit war vollkommen zerstört. Die kleinen Schachteln völlig zerbrochen, der gestickte Bezug glitt zu Boden.
»Au, die schöne Kommode!« klagte das Kind. »Heute ist alles verhext! Nun habe ich kein Geschenk für die Tante! Warum hast du dich auch daraufgesetzt?«
»Ich habe sie ja nicht gesehen«, sagte Sabine leise.
Da wurde Pommerle ganz still. Es durfte Sabine keinen Vorwurf machen. Wenn es die Weihnachtshandarbeit gleich wieder in den Schrank zurückgestellt hätte, wäre das Unglück nicht geschehen. – Was hatte die Tante gesagt? ›Du wirst dir durch deine Unordentlichkeit manchen Schaden zufügen.‹
»Oh, Pommerle«, klagte Sabine, »sei mir nicht böse. Ich will dir gern helfen, aber das werde ich nicht können.«