»Es macht großen Spaß, das Rad neben sich herzurollen. Findest du das nicht auch?« fragte Jule die Kleine.
»Wenn es aufwärts geht, muß man es tragen.«
»Es wird aber nachher wieder abwärts gehen. Du müßtest mal versuchen, was das für Spaß macht.«
Jule stellte das Rad quer vor Pommerle hin. Aber dieses Geräusch mochte wohl einige Krähen, die ganz in der Nähe saßen, erschreckt haben; flatternd flogen sie auf. Der Jule erfaßte das Rad, schaute mit ängstlichen Augen um sich. Er glaubte nichts anderes, als daß sich der Rübezahl auf ihn herniederstürze. Er war froh, daß sich nichts ereignete.
Da fragte er nicht mehr wegen des Rades an. Aber so manche leise Verwünschung kam über seine Lippen.
Am beschwerlichsten war es hinauf zum Zackenfall.
»So laß doch das Rad im Gebüsch liegen, Jule. Wir kommen denselben Weg wieder zurück.«
»Und dann hat es einer mitgenommen.«
»Es wird dir niemand das alte Rad fortnehmen, Junge.«
Jule gab nach. Er suchte einen dichten Busch aus, hinter dem er das Rad und den Strauß verbarg. Er atmete erleichtert auf, als das geschehen war.
Andächtig stand Pommerle an dem schönen Zackenfall, der in die tiefe, bewaldete Schlucht hinabbrauste. An der Hand der Tante stieg das Kind die vielen Stufen hinab, um den Fall auch von unten zu bewundern. Inmitten dieser herrlichen Landschaft überkam es wieder das Gefühl, daß es sehr glücklich sein könne, und mit dem Tosen des Wassers vermischte sich der Gesang des kleinen Mädchens:
»Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl mein größtes Gut!«
Man verweilte längere Zeit an dem Fall. Aber endlich drängte Professor Bender zum Heimwege.
»Wir müssen von Schreiberhau den Zug nach Hirschberg bekommen, denn morgen früh muß der Jule wieder an die Arbeit, und auch du, mein liebes Kind, mußt frisch sein, denn dann beginnt wieder das Tagewerk.«
In langer Reihe, einer in den Arm des anderen eingehängt, wanderte man abwärts.
»Jetzt singen wir ein fröhliches Wanderlied, jeder so gut er kann. Was wollen wir singen?«
»Ihr Kinderlein, kommet«, rief Pommerle begeistert.
»Das ist doch ein Weihnachtslied, Pommerle. Wir wollen lieber singen: ›Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.‹«
Alle sangen kräftig mit. Der Jule wohl am lautesten. Hier in seinen geliebten Bergen fühlte er sich so froh, so leicht.
So wanderten die vier abwärts. Drei-, viermal wurde das Lied gesungen. Nun lag Schreiberhau vor den Reisenden. Professor Bender wußte noch einige hübsche kleine Geschichten zu erzählen, auf dem Bahnhof nahm man noch einen kleinen Imbiß ein, dann brauste der Zug heran.
»Fein war es«, sagte der Jule strahlend.
»Und nächstens komme ich zu deinem Meister und der Sabine, und dann bringe ich ihr schönes Tannengrün und Blumen –«
Jule sprang von seinem Platz auf, drehte sich einige Male um sich herum, schaute in das Netz des Wagens, sah aber nur die Rucksäcke und stammelte:
»Mein Rad – meine Tannenzweige!«
Ja, an das Rad und an die Tannenzweige, die schön hinter einem dichten Busch verborgen worden waren, hatte beim Abmarsch keiner mehr gedacht.
»Mein Rad!« jammerte der Jule kläglich.
»Das ist nun freilich dahin«, meinte Professor Bender. »Fünf Stunden lang hast du dich damit herumgeschleppt. Ja, mein lieber Jule, man muß seine Gedanken schon beisammen haben.«
»Und der Meisterin wollte ich die Tannenzweige mitbringen.«
Jule war recht verstört. Kurz vor Hirschberg legte Pommerle den Arm um den Hals des Spielgefährten.
»Sei mal nicht traurig«, sagte es herzlich, »mein schöner Eimer mit den roten Rosen liegt auch im Gebirge. Wenn wir wieder mal ins Gebirge fahren, holen wir alles.«
»Ach«, meinte der Jule weinerlich, »das schöne Rad hat dann schon lange ein anderer genommen. – Ach, das schöne Rad!«
»Sei nur nicht traurig, Julchen, wenn ich erst groß bin, und wenn ich viel Geld habe, kaufe ich dir ein richtiges Rad.«
Aber dieser Trost nützte nicht viel. Jule blieb in sich gekehrt, und als Hirschberg erreicht war, lag noch immer der Kummer auf seinem Gesicht.
Pommerle dagegen war von dem Ausflug in die Berge vollauf befriedigt, obwohl es den herrlichen Eimer nicht mit hatte heimbringen dürfen. Am Abend umarmte es stürmisch den Onkel und die Tante.
»Oh, meine Ostsee ist sehr, sehr schön, aber das Gebirge ist auch sehr schön, und ihr seid so gut, gerade so gut wie mein Vater!«
Pommerle erlebt etwas ganz Neues
Pommerle hatte den Kopf tief auf den Bogen gesenkt, den es mit Eifer beschrieb. Zeile reihte sich an Zeile. Es war so sehr in seine Arbeit vertieft, daß es das Eintreten des Onkels nicht hörte. Erst als Professor Bender dem Kinde die Hand auf die Schulter legte, blickte es auf.
»So fleißig, kleine Maus?«
»Sieh mal, Onkel, ich habe schon drei Seiten ganz voll geschrieben.«
»Für die Schule?«
»Nein – ein Wunschzettel zu Weihnachten.«
»Aber, Pommerle! Seit wann bist du denn so anspruchsvoll? Bist doch immer unser bescheidenes Pommerle gewesen.«
»In der Schule haben sie mir gesagt, ihr seid sehr reich, du verdienst schrecklich viel Geld. Da habe ich mir gedacht, ihr möchtet eurem Pommerle viel Freuden machen. Und wenn man schenkt, freut man sich doch. Nun schreibe ich alles auf, was ich haben möchte.«
»Wer reich oder arm ist, können deine Mitschülerinnen wohl sehr wenig beurteilen, mein liebes Kind. Dein Onkel ist ein fleißiger Mann, der sich sein Geld verdienen muß, und deine Tante ist eine tüchtige Hausfrau, die alles gut zusammenhält. Ich glaube nicht, daß dir alle deine Wünsche erfüllt werden.«
Pommerle hielt dem Onkel die beschriebenen Seiten hin. »Ich habe mir gedacht, daß es sehr schön wäre, wenn ich das alles bekäme.«
»Recht lange Pulswärmer? – Willst du Pulswärmer tragen?«
»Für den Jule.«
Weiter las der Professor. – Was stand da alles niedergeschrieben! Gewiß, Pommerle war nicht gerade bescheiden; es hatte sich allerlei hübsches Spielzeug ausgesucht. Aber auf dem Wunschzettel stand gar vieles, was für andere bestimmt war.
»Da wollen wir uns den Wunschzettel einmal nehmen und gemeinsam überlegen, was man streichen könnte.«
»Ich bin noch lange nicht fertig, Onkel.«
»Nun gut«, sagte Professor Bender, »so behalte vorläufig deinen Wunschzettel. Aber sprechen werden wir doch noch einmal darüber. Ich glaube, man kann auch glücklich und zufrieden sein, wenn man sich weniger wünscht. Meinst du das nicht auch?«
Pommerle blickte nachdenklich auf das Papier nieder, dann sagte es kleinlaut:
»Aber ein Roller, ein Handball, eine neue Puppe und ein Paar Schlittschuhe müßten es doch sein.«
»Hast du Lust, mich zu Meister Reichardt zu begleiten, mein Kind? Ich